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Proteste nach Verhaftung İmamoğlusDie Wut der türkischen Jugend

Canset İçpınâr
Kommentar von Canset İçpınâr

Es sind vor allem junge Leute, die gegen Erdoğan auf die Straße gehen. Mit vereinten Kräften und der Jugend voran, kann die Türkei gewinnen.

Stu­den­t*in­nen von der Universität Istanbul ziehen aus Protest gegen die Verhaftung des Oppositionsführers auf die Straße Foto: Murad Sezer/reuters

D ie Luft brennt. Wieder einmal. Und wieder sind es die „Gençler“, die Jungen, die den Ton angeben. Protestbewegungen in der Türkei sind zyklisch. Die von der Verhaftung İmamoğlus ausgelösten Demons­trationen wecken Erinnerungen an die Gezi-Proteste. Erstmals seit Republikgründung taten sich damals Oppositionelle aus allen Lagern zusammen. So wie heute dominierten die Jungen das Geschehen.

Während jedoch Gezi mit seinen vielen kreativen Protestformen gerade am Anfang einen Festival-Charakter hatte, ist der Ton gut zehn Jahre später rauer im Land. Die Jungen sind wütend – endlich! Symbolisch für diese Wut steht ein Video, das im Netz zu sehen ist. Vor laufender Kamera des oppositionellen TV-Senders Halk TV will sich ­Sunay Akın, ein prominenter Schriftsteller, bei einer Begegnung zwischen Demonstrierenden und Polizisten an die Seite der Studierenden stellen und das Wort ergreifen, da springt eine junge Frau zwischen ihn und die Kamera.

Die Studierenden lassen sich ihren Protest nicht länger von Etablierten kapern, stellt sie vehement klar. Gemeint sind Abgeordnete. Das trifft einen wunden Punkt. Auch wenn Akın kein CHP-Politiker ist, so hat die Situation symbolischen Charakter. Man kann der CHP zum Vorwurf machen, dass sie über Jahrzehnte die Minderheiten im Land politisch vernachlässigt hat.

Die säkulare Partei hat seit der Staatsgründung den religiösen Teil der Bevölkerung diskreditiert und sich außerdem mit den Unterdrückern von Minderheiten gemein gemacht, allen voran der kurdischen, die rund ein Viertel der Bevölkerung in der Türkei ausmacht. Die Verhaftung des wichtigsten Oppositionspolitikers, kurz nachdem PKK-Gründungsmitglied Abdullah Öcalan zur Niederlegung der Waffen aufgerufen hat, passt zu Erdoğans letztem Move.

Eine Chance für die CHP

Während ein Gericht die Untersuchungshaft von İmamoğlu vorbereitet, was jahrelange Haft seines größten Rivalen bedeuten könnte, gratuliert Erdoğan zum kurdischen Frühjahrsfest Newroz und spricht von einem Tag der Brüderlichkeit. Natürlich winkt er dem sunnitischen Teil der Bevölkerung. Und natürlich gehört das zu seiner Strategie, mögliche Allianzen zu spalten.

Man muss sich stark auf die Zunge beißen, bei allem, was sich gerade politisch in der Türkei wiederholt. Und bei aller Kritik, die man an der CHP für ihre vergangene Politik haben muss – dieser Moment könnte ihre Chance sein, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Wenn sie ihre knöcherne Parteistruktur öffnet, es schafft, die Jungen zu Wort kommen zu lassen und sich ernsthaft für die Interessen von Minoritäten einsetzt – dann könnte die Türkei tatsächlich gewinnen.

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Canset İçpınâr
Nachrichtenchef*in/Podcast
seit 2010 bei der taz. Themen: Minoritäten/Menschenrechte 2017-2018 Redakteurin von taz.gazete. Seit 2018 Nachrichtenchef*in und CvD für taz.de im Regie-Ressort. Seit 2023 Leitung taz Podcasts.
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5 Kommentare

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  • Der Autorin ist in ihrer Kritik am bisherigen CHP-Kurs zuzustimmen. Man darf auch nicht vergessen, dass die CHP - nach Gründung der Türkischen Republik - die Geschicke des Landes über Jahrzehnte fast durchgehend alleine bestimmte.



    Diese Zeiten waren v.a. durch harte Repressionen gegen die kurdische Bevölkerung geprägt - insofern entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Erdogans AKP sich jetzt bei den Kurden anzubiedern versucht. Ich schätze aber mal, das wird ihnen nicht gelingen.



    Jetzt hängt tatsächlich viel davon ab, ob es der CHP gelingt, ihren streng legalistischen bräsig-sozialdemokratischen Kurs abzulegen, sich entschlossen in die Protestbewegung einzureihen, ohne wiederum die anderen Parteien und Gruppierungen der Opposition dominieren zu wollen.



    Wenn sie sich vom gleichgeschalteten türkischen Justizapparat so einfach wieder nach Hause schicken lassen, ist ihnen auch nicht mehr zu helfen - und auf lange Zeit die Chance vertan, Erdogan zu Fall zu bringen.

  • Ich würde mich sehr über einen Artikel freuen, der erklärt, was denn überhaupt nach Erdogan kommen könnte außer einem neuen autokratischen Präsidenten?

    • @Ernst Lusti:

      Nach Erdogan könnte die Türkei zu einem. demokratischen Rechtsstaat werden.

  • Die CHP müsste sich endlich ohne wenn und aber zu einer aktuellen modernen, demokratischen Türkei bekennen und nicht mehr mit Glanz auf den Augen nur vom alten Atatürk träumen.

    • @vieldenker:

      Genau so ist es. So wie bisher - ohne Abkehr von der Staatsdoktrin des Kemalismus - ist die CHP selbst ein Hemmschuh für die demokratische Erneuerung der Türkei.