Proteste in Lützerath und anderswo: Der Ritterschlag kommt später
Der Kampf um die Deutungshoheit über politische Proteste ist kein Nebenschauplatz der Geschichte. Er ist der Kern der Sache selbst.
W ird es am Ende ziviler Ungehorsam gewesen sein? Sorry, Futur Zwei klingt immer etwas gespreizt. Aber die Frage muss so gestellt werden. Denn noch ist nicht abschließend geklärt, wofür Lützerath steht. Ob der Widerstand gegen die Räumung und Ausbeutung der Braunkohlevorkommen von Lützerath, ob die Straßenblockaden der Letzten Generation oder ihre Schein-Anschläge auf Gemälde als ziviler Ungehorsam legitimiert werden oder als blöde bis gefährlich-kriminelle Störaktionen abgewertet, entscheidet sich erst im Laufe eines Deutungs- und Aushandlungsprozesses.
Der nimmt gerade erst Fahrt auf. Gerichte werden zu ihm zwar beitragen, können ihn aber ebenso wenig beenden wie die Bürger*innen von Keyenberg, denen die zugereisten Aktivist*innen mittlerweile lästig scheinen: Wo die Grenzen der Zivilität verlaufen, das ist keine juristische Frage, sondern eben eine an die gesamte Gesellschaft: Die befindet sich in einer Art hermeneutischem Bürgerkrieg, einem mit Worten ausgetragenen Kampf um die Deutung des Protests, seiner Taten und seiner Aktionsformen: Wie angemessen sind sie? Wie viel Gewalt wird sich ihnen rückblickend zuschreiben lassen?
Dieser Kampf um die Interpretation wird mit schmutzigen Tricks geführt, Pseudoargumenten und Infamie. Er ist dabei aber kein verzichtbares Anhängsel oder Begleitphänomen. Er ist die Sache selbst: Das geballte, polyvalente Zeichen des Protests, das Kommunikation sein soll, übersetzt sich so erst in Rede und Gegenrede, kurz: das, was eigentlich Politik ausmacht.
Zu diesem Kampf gehört, dass die Gegner des Protests und seiner Anliegen ihn bagatellisieren – Lützerath sei das falsche Symbol, hat der Vater des Vaterlandes Robert Habeck (Grüne) die jungen Leute belehrt; ein Gratissatz, der immer stimmt, solange ein Symbol nicht mit dem zusammenfällt, das es symbolisiert – so wie es bei Rosa Parks’ Weigerung der Fall war, den Platz im Bus für einen Weißen freizumachen, und die so durch das direkte Übertreten der Rassentrennung gegen die Rassentrennung protestierte.
Auch gehört zum Kampf, die Protestierenden zu entzweien, gerne entlang überkommener Gegensätze, wie dem Unterschied von Stadt und Land: Sehr wirksam hat die Erzählung vom akademischen Krawalltourismus die Tatsache überschrieben, dass die Antiatomproteste von Wyhl bis Brokdorf ebenso wie jetzt die Lützerath-Blockaden Akte gelebter Solidarität zwischen linken Bürgerkindern und bäuerlicher Landbevölkerung gewesen sind, deren Einsprüche mangels Masse so übersehbar und überhörbar geblieben waren.
Ungutes Gefühl des Verrats
Manchen, und das ist völlig legitim, reicht dann eine Abfindung oder ein Kompromiss, der die eigenen Belange wahrt, und schon beginnt der Widerstand zu nerven; die Präsenz der Besetzer zur Last zu werden; sie fangen an, voll scheiße zu sein. Vielleicht auch, weil da so etwas lauert oder lastet wie ein ungutes Gefühl des Verrats.
Vor allem aber geht es in diesem Kampf darum, ob sich dieser Protest diskreditieren lässt. Wenn er zwar das Richtige, aber an der völlig falschen Stelle fordert, dann erschüttert das seine moralische Legitimation, wenn der Zusammenschluss mit den Betroffenen bröckelt, die moralische Integrität – und beides zusammen verschiebt die Schwelle, ab wann die Aktion als Gewalt gelten wird, sprich: ob sie unberechtigt war oder als ziviler Ungehorsam geadelt wird.
Was macht Zivilen Ungehorsam aus? Wie weit dürfen Protestierende gehen? Darüber wird in einem Hamburger taz Salon diskutiert.
Auf dem Podium sitzen Jana Mestmäcker, Vertreterin der Letzten Generation, Dennis Thering, CDU-Fraktionschef in der Hamburgischen Bürgerschaft, und Christian Volk, Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Es moderiert Gernot Knödler, taz nord.
Denn ziviler Ungehorsam wird in der Regel – am häufigsten mit Jürgen Habermas’ Fortschreibung der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls – als notwendig gewaltfrei definiert: Klingt theoretisch prima, erweist sich aber als ausgesprochen schwammiges Kriterium angesichts der Ahnengalerie des Protests. Denn die Entscheidung darüber, ob es gewaltsam war, ist eine, die dem Ereignis nachträglich zuwächst. Bis heute am schönsten hat die Formbarkeit dieses Grenzverlaufs Anfang der 1980er Jahre Friedrich Zimmermann (CSU) zum Ausdruck gebracht, ein Innenminister der BRD. Sein Spruch „gewaltfreier Widerstand ist Gewalt“ lässt sich als ein meisterhaftes Concetto beschreiben, paradoxal wie aus der Blütezeit des spanischen Barock.
Das Gegenstück war der nonverbale Protest, den ein paar Jahre vorher Beate Klarsfeld ins Gesicht des Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger (NSDAP und CDU) formulierte: Ist jede Ohrfeige ein Gewaltakt? Wie sind die autoaggressiven Formen des zivilen Widerstands zu rubrizieren, Gandhis Hungerstreik, die Selbstverbrennung des Mönchs Thich Quang Duc vor 60 Jahren in Saigon oder der Dichterin Semra Ertan 1982 in Hamburg, ein Fanal gegen grassierenden Rassismus?
Natürlich gibt es Gewalt, physische Gewalt. Und natürlich ist sie unerträglich. Aber ob sie stattgefunden hat, erweist sich eben nicht als entscheidend für die Bewertung des Protests als zivil. Es ist eher eine Frage des Erfolgs, also ob seine Ziele verwirklicht und mehrheitlich als gerecht anerkannt worden sind. So fokussiert zumal in Deutschland die Diskussion um Malcolm X allein auf dessen vermeintlichen Aufruf zu Gewalt – der genau genommen nur das Recht auf Notwehr gegen brutale Übergriffe einer rassistischen und vom Ku-Klux-Klan unterwanderten Polizei vertritt. Seine eher wandel- als greifbare politische Doktrin wird darunter verborgen und völlig vergessen, dass ihm keine Akte politischer Gewalt zuzuordnen sind.
Phosphorbomben per Post
Umgekehrt wird als Beispiel des zivilen Ungehorsams oft und gern die britische Suffragetten-Bewegung erwähnt. Die war aber ab 1905 nicht weniger militant als die frühe Baader-Meinhof-Bande in Deutschland – und ab spätestens 1912 deutlich produktiver, was Gewalt angeht: Dass bei ihren rund 100 Sprengstoffanschlägen in dieser Zeit niemand gestorben ist, grenzt an ein Wunder. Der Tod von Hunderten war bei einzelnen durchaus eingeplant. Nur wird das ebenso selten miterzählt wie die schweren Verbrennungen, die diverse Postboten durch Phosphorbriefbomben erlitten haben.
Das gerechte Ziel, der Erfolg heiligt nicht die Mittel. Aber der Triumph des Protests überzieht ihn mit dem Glanz der fortschreitenden Zivilität. So gesehen muss man dringend hoffen, dass die Klimaproteste ziviler Ungehorsam sind und waren. Denn sonst sieht’s düster aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos