piwik no script img

Proteste in Frankreich und Emmanuel MacronDer verkannte Nachbar

Kommentar von Lea Fauth

Frankreichs Staatschef Macron wird als liberaler Politiker gefeiert, verhält sich aber zunehmend autoritär.

Filmen zukünftig verboten? Polizei in Paris geht gegen Protestierende vor, denen das nicht passt Foto: Jan Schmidt-Whitley/dpa

F angen wir mit einem Ratespiel an: Wer ist dieser Präsident und in welchem Land befinden wir uns? Als die New York Times einen kritischen Bericht schreibt, ruft der Staatschef höchst persönlich bei dem Journalisten an, um sich zu beschweren: Dass es nicht angehen könne, sein Land als rassistisch darzustellen. Dass der Autor da etwas nicht verstanden habe.

Weiterhin sagt dieser Präsident in einem Fernsehinterview, das zunehmend schlechte Image seines Landes habe nichts mit seiner Politik zu tun, sondern mit „falschen Informationen“, die von Jour­na­lis­t:in­nen verbreitet würden. Ein Präsident, der die besorgten Ermahnungen der UNO ignoriert, wenn sie die Menschenrechtslage in seinem Land bemängelt. Der sagt, „Polizeigewalt“ sei ein Kampfbegriff der Linksextremen. Der einen Innenminister ernennt, gegen den nie geklärte Vergewaltigungsvorwürfe vorliegen.

Ein Präsident, der nach einem islamistischen Anschlag die Schließung und verstärkte Überwachung von Grenzen fordert – als ob das eine mit dem anderen zu tun hätte. Es ist ein Land, in dem die Polizei gegen Demonstrant:innen mit explosiven Tränengasgranaten vorgeht, die in den meisten westlichen Ländern als Kriegswaffen gelten.

Nein, dieser Präsident ist nicht Donald Trump oder Wladimir Putin. Wir befinden uns auch nicht in Ungarn oder in der Türkei. Der Präsident, der in dieser platten Manier daherkommt und Journalist:innen erzählt, was sie schreiben sollen, ist Frankreichs Präsident Emmanuel ­Macron. Jener Präsident, der immer noch als liberal gefeiert wird und der vor allem dann in der Berichterstattung vorkommt, wenn er eine pathetische Ansprache an die Nation hält und von europäischen Werten erzählt. Dabei beschreitet Frankreich den Weg zu einem autoritären Staat mit immer schneller werdenden Schritten.

Kamera aus bei Polizeigewalt

Der letzte Schritt so groß, dass man sich fragt, wie ein Land sich dabei nicht die rechtsstaatliche Hüfte ausrenkt. Mit dem „Gesetz für globale Sicherheit“ sieht die Regierung die Überwachung der Bürge­r:in­nen durch Drohnen vor. Vor allem aber ist darin das Verbot enthalten, Polizei, Militär oder sonstige Einsatzkräfte zu filmen und die Aufnahmen auf jeglichem Träger oder auf Plattformen zu verbreiten. Dies gilt auch für Jour­na­list:innen. Wer dagegen verstößt, muss mit einem Jahr Haft oder 45.000 Euro Geldstrafe rechnen.

In den letzten zwei Jahren hat es in Frankreich über 900 Verletzte und mehrere Tote durch Polizeigewalt gegeben. Mehrere Menschen verloren ihr Augenlicht, eine Hand oder einen Fuß. 2018 wird ein Polizist dabei gefilmt, wie er gewalttätig auf Demonstranten losgeht. Später stellt sich heraus: Er ist kein Polizist, sondern ein enger Vertrauter des Präsidenten Macron.

Ein anderes Video belegt, dass Polizisten bei einer Autokontrolle grundlos scharf schießen. Schon mehrfach haben solche Videos Staatskrisen ausgelöst. Zuletzt war es das viral gegangene Video des Musikproduzenten Michel Zecler, der von Polizisten grundlos in sein Tonstudio verfolgt und dort zusammengeschlagen wurde. Ein Gesetz, das Berichterstattung verunmöglicht, ist nur vor dem Hintergrund dieser Vorfälle zu verstehen.

Dass Regierungsfraktionen nach mehrwöchigen Großdemonstrationen den umstrittenen Paragrafen neu formulieren wollen, ist ein Verdienst der unermüdlichen Proteste. Die aber halten nicht inne: Es bleibt höchst fraglich, ob die „Neuformulierung“ tatsächlich auch den Inhalt des Gesetzes ändern wird.

Wer entscheidet, was unerlaubt ist?

Das „Gesetz für globale Sicherheit“ ist nämlich kein Novum, sondern reiht sich ein in eine allgemeine Tendenz der letzten Jahre. Im Mai wurde das wohlklingende „Gesetz gegen den Hass“ erlassen: Online-Einträge jeglicher Art müssen demnach innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden, wenn dort etwas „offensichtlich Unerlaubtes“ steht. Bei Nichteinhaltung ist mit bis zu 1,25 Millionen Euro Strafe zu rechnen.

Nur: Wer entscheidet, welche Inhalte unerlaubt sind? Ähnlich wie bei dem kürzlich vorgestellten EU-Gesetz gegen illegale Online-Inhalte fürchten manche willkürliche Zensur. Wenig später kippte dann auch das Verfassungsgericht große Teile des Gesetzes. Immerhin. Ein Verdienst der Gewaltenteilung allerdings, und nicht der vermeintlich liberalen Gesinnung des Präsidenten.

Nun möchte man hoffen, dieser habe lediglich mit der Presse ein Problem – was ja bedenklich genug wäre. Mitnichten. 2017 ließ Macron den verfassungswidrigen Ausnahmezustand, der nach den Terroranschlägen galt, prompt in die Verfassung aufnehmen. Seitdem patrouillieren in französischen Städten Militäreinheiten. Racial Profiling ist an Bahnhöfen und Flughäfen demnach erlaubt.

Im Dezember erließ die Regierung drei Dekrete, die die polizeiliche Erfassung von politischen und philosophischen Überzeugungen sowie von Religionszugehörigkeit und Mitgliedschaft bei Gewerkschaften auch von Demonstrationsteilnehmenden erlauben. Durften bisher nur Gefährder:innen gelistet werden, kann das ab jetzt mit dem gesamten Umfeld von Gefährder:innen passieren oder auf die Gesamtheit einer Demonstration angewendet werden.

Populismus der bürgerlichen Mitte

Schockierend ist dabei nicht nur der polizeistaatliche Trend. Schockierend ist auch die Stille rundherum. In deutschen Medien sieht man lieber den osteuropäischen Ländern auf die Finger. Und so hat Macron weder von der ausländischen Presse noch von den EU-Partnern allzu viel zu befürchten. Er praktiziert einen Populismus der bürgerlichen Mitte, der darin besteht, möglichst staatsmännisch aufzutreten und zu unterstreichen, wie sehr er für Freiheit und Gerechtigkeit stehe.

Dass so wenig auf Macrons faktisches Regieren geguckt wird, ist auch eine Krise der Berichterstattung – die zwangsläufig auf eine Krise der Werte hinausläuft: Es bleibt weitgehend still. Zu still, wenn im Nachbarland zunehmend die Grundrechte ausgehöhlt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin taz1
Hat Philosophie und Literatur in Frankreich, Brasilien und Portugal studiert und bei der Deutschen Welle volontiert.
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die Darstellung, in dem geplanten Gesetz sei "das Verbot enthalten, Polizei, Militär oder sonstige Einsatzkräfte zu filmen" ist faktisch falsch.

    Diese Darstellung ist entweder schlecht recherchiert, von der Autorin selbst nicht verstanden oder böswillig aufgeblasen. Leider nicht der erste taz-Artikel, der hierzu die Fakten verdreht.

    In Wirklichkeit geht es nicht um das Filmen, sondern nur um das Verbreiten von Aufnahmen. Und auch das soll nur verboten werden, wenn Polizisten individuell erkennbar sind, damit sie nicht in sozialen Netzwerken per Selbstjustiz gejagt werden können.

    Das Filmen von Polizeieinsätzen soll auch weiterhin erlaubt bleiben. Wenn Polizisten übergriffig werden und sich strafbar machen, werden diese Filmaufnahmen auch weiterhin ein wichtiges Beweismittel sein. Die Auswertung soll aber durch die Justiz und den Rechtstaat erfolgen, nicht durch Stimmungsmache und Hetzkampagnen in den sozialen Netzwerken.

    • @Winnetaz:

      "Diese Darstellung ist entweder schlecht recherchiert, von der Autorin selbst nicht verstanden oder böswillig aufgeblasen. Leider nicht der erste taz-Artikel, der hierzu die Fakten verdreht."



      Kann Ihnen nur zustimmen! Ich lebe seit 30 Jahren in Frankreich und wenn ich an die Taz Artikel über das „Anhimmeln „ der Gelbwesten denke, wird mir noch ganz übel. Wenn man bei uns beim Einkauf im Supermarkt nicht eine Gelbweste hinter der Windschutzscheibe liegen hatte, trommelten sie wie die Verrückten auf mein Auto ein und wollten mich nicht weitfahren lassen. Über diese Auswüsche der Gelbwesten, habe ich in der Taz so gut wie nichts gelesen.

  • "Verhält sich zunehmend autoritär."

    Vielleicht hat er keine andere Wahl?

    Der Islamismus ist ein harter, sehr gewalttätiger und weit verbreiteter Gegner.

    Die Franzosen haben zu lange gezögert, ihn zu bekämpfen. Nun haben sie ein massives Problem, dessen Ziel die Zerstörung der Gesellschaft ist.

    • @shantivanille:

      Und was nützt die Einschränkung der Pressefreiheit gegen den Islamismus? Und in wie fern unterstützt es den Kampf gegen Islamisten, wenn Gelbwesten zum Krüppel geschlagen werden?

      Der Islamismus ist eine wunderbare Ausrede. Nicht nur in Frankreich.

  • Als ob FDP, CDU und SPD etwas anderes tun würden, wären sie an der Macht und könnten einfach machen. Die "Liberalen" haben sich am Ende des Tages eigentlich nie für die Rechte des Bürgers sondern immer zuerst für die Rechte des Staates interessiert.

  • Respekt für diesen Kommentar!



    Danke!!!

  • In der Tat sehr besorgniserregend.

    Scheint Teil eines globalen Trends zu sein. Auch hierzulande hat sich es-hat-keine-Polizeigewalt-gegeben-Scholz verdienstvoll darum bemüht.

  • Traurig, aber wahr.



    Daran kann man sich ausrechnen was uns geblüht hätte, wäre die Stichwahl an Le Pen gegangen.



    Inzwischen leben wir nicht in einer Welt von Konjunktiven, will sagen:



    Wir müssen ihm auf die Finger schauen!

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      "Wir müssen ihm auf die Finger schauen!"

      Theoretisch haben Sie natürlich Recht. Es ist aber durchaus problematisch, wenn man aus Deutschland versucht, in Frankreich reinzureden.

      Viele Franzosen haben ja erkannt, dass da mächtig etwas schief läuft. Drücken wir ihnen die Daumen, denn die Probleme In Frankreich können auch nur dort gelöst werden.

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Der Verweis auf Le Pen ist eine relativierende Nebelkerze.



      Sie hätte keine Mehrheit im Parlament gehabt, viel weniger Mitläufer, Cohn-Bendit hätte getobt statt unterstützt - und die Berichterstattung wäre eine gänzlich andere gewesen.

      Kurz: Ihr Kommentar geht an der Realität vorbei, und sie argumentieren konterfaktisch, obwohl Sie das Gegenteil vorgeben ("Welt von Konjunktiven").

  • Man(n) muss nicht aussehen oder reden wie Donald Trump, um so zu ticken wie er.