Proteste in China: In der Null-Covid-Sackgasse
Mit Polizeipräsenz und Einschüchterung versucht Peking, weiteren Protest im Keim zu ersticken. Die Coronapolitik Präsident Xis ist gescheitert.
Die ersten landesweiten Proteste in China seit den 1990er Jahren haben Staatschef Xi Jinping vor ein Dilemma gestellt: Soll die Regierung, die sich nach außen hin keinen Hauch Schwäche erlauben will, mit Kompromissen auf das demonstrierende Volk zugehen? Oder wendet sie erneut jene Repressionstaktiken an, wie sie es in den letzten Jahren wiederholt getan hat?
Die Antwort fällt spätestens seit Dienstag eindeutig aus. Mehrere Universitäten haben ihre Studierende in Busse gesteckt und – unter dem Vorwand des Schutzes vor Corona – in ihre Heimatstädte gefahren. In Schanghai stoppten die Sicherheitskräfte ohne Vorwarnung Passanten, um ihre Smartphones zu filzen: Sämtliche „sensiblen“ Fotoaufnahmen oder westliche Messengerdienste mussten gelöscht werden. Wer sich weigerte, wurde abgeführt.
Mit Big Data und Überwachungskameras sucht die Staatssicherheit zudem eifrig nach Teilnehmern der friedlichen Proteste. Mehrere Chinesen haben bereits beklagt, dass sie bei ihrem Arbeitgeber oder ihrer Universität gemeldet wurden. Andere wurden rückwirkend von der Polizei in Gewahrsam genommen.
Die Pandemie ist zurück
„Ich rechne in den nächsten Tagen nicht mit vielen groß angelegten Protesten. Die Regierung hat ausreichend Durchsetzungskraft, um diese zu verhindern“, kommentiert Taisu Zhang, Professor für Rechtswissenschaften und Geschichte an der Yale-Universität, auf Twitter. „Aber den chinesischen sozialen Medien nach zu urteilen, ist der Verlust des politischen Vertrauens in der Bevölkerung ziemlich weit verbreitet und wahrscheinlich nachhaltig.“
Um die Wut etwas zu mildern, hat der Staatsrat am Dienstag eine Pressekonferenz einberufen. Wer sich eine Lockerung der Null-Covid-Politik erhoffte, wurde allerdings weitestgehend enttäuscht. Doch immerhin sprach die Regierung nach langer Zeit endlich wieder von einer Impfkampagne.
„Wir sollten die Impfung gegen Covid-19 beschleunigen, insbesondere bei älteren Menschen“, sagte Mi Feng, Sprecher der Pekinger Gesundheitskommission – und signalisierte damit zumindest mittelfristig eine Öffnung des Landes. Wie man die niedrige Booster-Rate der über 80-Jährigen, die nach wie vor bei nur 40 Prozent liegt, konkret erhöhen will, ist bislang aber offen.
Viele Demonstranten werden sich ohnehin durch eine bloße Lockerung der Pandemiemaßnahmen nicht zufriedenstellen lassen. Insbesondere die jungen Demonstranten erwarten sich eine Öffnung der Gesellschaft, mehr Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und politischen Wandel. Ihre Stimmen werden jedoch im Pekinger Regierungsviertel Zhongnanhai auf wenig Gehör treffen.
Dabei sollten der Parteiführung die Entwicklungen mehr als zu denken geben. Der Staatsapparat mag die Protestbewegung zwar mit Polizeigewalt und Einschüchterung unterdrücken können, nicht jedoch die Gründe für den Volkszorn auflösen. Immer deutlicher wird die Null-Covid-Sackgasse, in die Xi Jinping sein Land geführt hat: Schon Ende 2020 hatte die Regierung den „Sieg über das Virus“ propagiert, wobei es sich in Wahrheit aber vielmehr um einen vorübergehenden Waffenstillstand handelte. Spätestens mit der hochansteckenden Omikron-Variante ist die Pandemie in China mit aller Wucht zurückgekehrt, während in der Zwischenzeit der Rest der Welt längst versucht, mit dem Virus zu leben.
Die Volksrepublik China hat es allerdings versäumt, die gekaufte Zeit der Nullinfektionen für eine Impfkampagne zu nutzen oder gar die Anzahl an Notfallbetten in den Krankenhäusern zu erhöhen. Stattdessen flossen sämtliche Ressourcen in tägliche Massentests und Quarantänezentren. Die Bevölkerung wurde mit endlosen Lockdowns und dystopischer Überwachung drangsaliert.
Die Null-Covid-Politik stellt Chinas Staatsführung noch vor ein weiteres Dilemma: Sie ist ganz unmittelbar mit der Person Xi Jinpings verknüpft, der die Maßnahmen allesamt als weltweit einmalige Erfolgsgeschichte gepriesen hat. Diese nun als gescheitert zu erklären, dürfte selbst für die chinesische Propagandabehörde eine überaus große Herausforderung darstellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört