Proteste in Ägypten: „Stürzt den Pharao“
Die Proteste in Kairo weiten sich auf das ganze Land aus. Ein Oppositionsbündnis fordert eine neue verfassungsgebende Versammlung.
KAIRO taz | Als der ägyptische Präsident Mohammed Mursi am Mittwochmorgen zur Arbeit in den Präsidentenpalast fuhr, fand er immer noch einige Dutzend Demonstranten vor dem Palast vor, die dort über Nacht ihre Zelte aufgeschlagen haben. Seit die Opposition am Vorabend vor seinem Amtssitz zu einer Massendemonstration mit dem Motto „Die letzte Warnung“ zusammengekommen war, hüllt sich Mursi in Schweigen.Die Demonstranten ließen keinen Zweifel daran, was sie über ihren Präsidenten denken.
„Stürzt den Pharao“ stand auf einem ausgerollten Transparent nur wenige Schritte vom Palast entfernt. Andere hielten eine vergrößerte Karikatur aus einer der unabhängigen Tageszeitungen hoch. Eine überdimensionale Hand mit der Aufschrift „Das ägyptische Volk“ schubst Mursi über eine Klippe, „in den Mülleimer der Geschichte“, wie es hieß.
„Sie haben die Verfassung ohne das Volk geschrieben, nur mit Muslimbrüdern und Salafisten“, sagt die Regisseurin und Tahrir-Aktivistin Aida al-Kaschef. „Wir wollen nicht Ja oder Nein zu der Verfassung sagen, wir wollen, dass das Referendum gar nicht erst stattfindet.“ Langfristig, meint sie, müsse daran gearbeitet werden, Mursi wieder loszuwerden, da er „weder die revolutionären Ziele der sozialen Gerechtigkeit vorangebracht noch die persönlichen Freiheiten der Ägypter verwirklicht hat“.
Kurzfristig kam es zu Rangeleien mit der Polizei und einem Tränengaseinsatz, bevor die wenigen anwesenden Polizisten den Demonstranten das Feld überließen. Zu Protesten kam es auch in Alexandria, im Nildelta, in Oberägypten und auf Sinai.
Das Volk hat das letzte Wort
Erwartungsgemäß zeigen sich die Unterstützer des Präsidenten, Muslimbrüder und die Salafisten, von den Protesten unbeeindruckt. In einer gemeinsamen Erklärung ließen sie verlauten, „dass die gegenwärtigen Differenzen sich nur an der Wahlurne lösen lassen“. Der Vizechef der den Muslimbrüdern zugehörigen „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“, Essam al-Erian, erklärte, dass die Protestierenden „einer elitären Klasse angehören, die weit von der Straße entfernt ist“ und dass „dass das ägyptische Volk das letzte Wort hat“.
Unterdessen hat sich ein großer Teil der Opposition, der sich zu einer Nationalen Rettungsfront zusammengeschlossen hat, auf drei Forderungen geeinigt: Mursi soll sein Verfassungsdekret zurücknehmen, in dem er seine Entscheidungen für gerichtlich unanfechtbar erklärt hat; der Verfassungsentwurf selbst soll für nichtig erklärt werden.
Außerdem fordert das von Mohammed al-Baradei und den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Hamdin Sabahi und Amr Mussa angeführte Bündnis die Einberufung einer neuen verfassunggebenden Versammlung, in der sich alle politischen und gesellschaftlichen Gruppen wiederfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione