Proteste im Kongo: Mit Pfeil und Bogen
Nach der Gewalt in Kinshasa bekämpft die Armee Milizionäre in Kananga. Die Millionenstadt ist eine Hochburg der Opposition.
Die Hauptstadt der Provinz Kasai-Central ist Geburtsort des wichtigsten kongolesischen Oppositionsführers, Etienne Tshisekedi, dessen Protestaufruf für den 19. September zu verbreiteter Gewalt in Kinshasa geführt hatte. Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und einer Miliz in Kananga haben nun nach jüngsten Berichten über 100 Tote gefordert, mehr also als in Kinshasa.
Die Milizionäre in Kananga, die kurzzeitig sogar den Flughafen der Provinzhauptstadt besetzten, berufen sich auf den traditionellen Führer Kamwina Nsapu, der unter mysteriösen Umständen im August den Tod gefunden hatte.
Nsapu hatte seine Volksgruppe, eine Untergruppe der in Kasai dominanten Luba-Ethnie, zum „Widerstand“ dagegen aufgerufen, dass ein „Konglomerat von Abenteurern“ an der Spitze des kongolesischen Staates das Land der Einheimischen von Kasai stehle und der Bevölkerung „Salz, Licht, Wasser und Nahrung“ nehme – eine an die lokale Bauernbevölkerung angepasste Version der üblichen Kritik von Kongos Opposition an Korruption und Misswirtschaft.
Kamwina Nsapus Tod
Nsapu starb unterschiedlichen Angaben nach am 9. oder 12. August. Einer Version zufolge folgte er einer Einladung zu Gesprächen mit der Provinzregierung in Kananga und wurde dort getötet. Anderen Berichten zufolge starb er, als seine wütenden Anhänger sich in Tshimbulu, der zweitgrößten Stadt der Provinz, Kämpfe mit der Polizei lieferten.
Die offizielle Version lautet, Nsapu habe sich der Festnahme widersetzt; eine unabhängige Untersuchung lehnen die Behörden ab.
Tshimbulu ist ein strategisch wichtiger Ort, denn dort verläuft die mehrere tausend Kilometer lange Hochspannungsleitung, die Strom aus Kongos Inga-Staudamm nahe Kinshasa in den Süden des Landes zum Weiterexport nach Südafrika liefert, ohne allerdings die Bevölkerung in Kasai selbst mit Strom zu versorgen. Ein lokales Staudammprojekt, seit Jahren immer wieder angekündigt, kommt nicht voran, weil die Straßen zu schlecht sind, um die Baumaterialien anzuliefern.
Kongos Regierung kann sich nicht leisten, die Kontrolle in einer Region zu verlieren, die eine Hochburg der Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) von Etienne Tshisekedi ist.
Machtdemonstration mit Leichen
Zwischen dem 8. und 12. August starben nach offiziellen Angaben 19 Menschen bei der „Wiederherstellung der Ordnung“ in Tshimbulu. Die Leichen der Toten, einschließlich die von Nsapu, wurden in die 180 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Kananga geflogen und im Sportstadion der Bevölkerung vorgeführt – eine klare Machtdemonstration des Staates zur Einschüchterung der Menschen.
Angeblich wurde Nsapus Leiche kastriert und dann an einem geheimen Ort verscharrt. Seitdem sinnen seine Anhänger auf Rache.
Am vergangenen Donnerstag 22. September besetzten junge Kämpfer, zumeist mit Pfeil und Bogen ausgerüstet, den Flughafen von Kananga. Die überrumpelte Armee brauchte bis Freitagabend, um ihn wieder zurückzuerobern. Der Polizeichef der Stadt, Oberst Tshimpanga, wurde von den Milizionären erschossen, eine Flugbegleiterin von Congo Airways in der Abflughalle totgeschlagen.
Die Milizenrevolte wurde rabiat beendet. Am Sonntag erklärte Provinzgouverneur Alex Kande, es seien 27 Milizionäre und 16 Sicherheitskräfte getötet worden; man habe 185 Kämpfer verhaftet und sechs Flinten, drei Sturmgewehre und viele „traditionelle Waffen“ sichergestellt. Medienberichten vom Montag zufolge liegt die wahre Zahl der Toten bei mindestens 100.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation