US-Sonderbeauftragter zur Kongo-Gewalt: „Am Rande des Abgrunds“
Tom Perriello, US-Sonderbeauftragter für das Afrika der Großen Seen, fordert Druck auf die Regierung Kabila. Nur so könne es Wahlen statt Gewalt geben.
taz: Herr Perriello, als Sie im September im Kongo waren, wurden Sie am Flughafen Kinshasa bedrängt und verbal angegriffen. Kann man mit Kongos Regierung noch diskutieren, wenn sie einen Diplomaten so behandelt?
Tom Perriello: Das war ein unglücklicher Vorfall, aber noch viel schlimmer war das, was am nächsten Tag passierte, als Sicherheitskräfte Demonstranten angriffen und Dutzende von Menschen starben, meist wurden sie hingerichtet. Erst wenige Wochen zuvor, Ende Juli, waren eine Million Menschen auf der Straße, um Oppositionsführer Etienne Tshisekedi zuzujubeln, und es gab keine Gewalt, weil Regierung und Opposition sich verantwortungsvoll verhielten. Wir hofften, dass das so bleiben würde. Aber dann gab es die Tage der Gewalt im September. Wir standen am Rande des Abgrunds.
War das der Grund, warum die USA nicht nicht unbedingt benötigte Mitarbeiter und Familienangehörige von Diplomaten aus Kinshasa abberief?
Wir, die UNO und die Länder der Region sind sehr besorgt über die Lage, es gibt ein Gefühl der Dringlichkeit. Der Zeitpunkt ist gekommen, auf den Kongo zu schauen. Es gibt zwei mögliche Auswege. Einer ist, dass es schlimm endet, und man muss mit dem Risiko von Gewalt und Instabilität offen umgehen. Der andere ist, dass es gut ausgeht und der Kongo die erste friedliche Machtübergabe seiner Geschichte erlebt. Ich denke, der positive Weg hat noch eine Chance. Aber die Chance verringert sich.
Die USA verhängen über Menschenrechtsverletzer im Kongo gezielte Sanktionen: Einreiseverbot, Kontensperrung. Das scheint Ihre Gesprächspartner in Kinshasa nicht zu beeindrucken …
Wir verhängen Sanktionen über die Hauptverantwortlichen für Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. Wir haben Hinweise, dass das dazu beitrug, dass es bei der Rückkehr von Oppositionsführern aus dem Ausland keine Gewalt gab. Wir halten das für sinnvoll. Wir hoffen, dass Europa individuellen Druck ausübt – nicht auf das Volk insgesamt, sondern auf Verantwortungsträger.
42, ist seit 2015 US-Sonderbeauftragter für das Afrika der Großen Seen und die Demokratische Republik Kongo. Von 2009 bis 2011 war er Abgeordneter der Demokraten im US-Repräsentantenhaus. Die taz traf ihn am 10. Oktober in Brüssel.
Welchen Druck schlagen die USA vor?
Der UN-Sicherheitsrat ist ganz klar: Die Präsidentschaftswahlen müssen stattfinden. Die Frage ist, ob bei Kongos Präsident Kabila und der Regierung der politische Wille dafür vorhanden ist. Alle sind sich einig, dass Kabilas Amtszeit am 19. Dezember endet. Selbst wenn er dann weiter im Amt bleibt, wie es das Verfassungsgericht erlaubt hat, wird ein Großteil der Bevölkerung das nicht anerkennen. Deswegen müssen wir dringend bis Dezember einen Kompromiss finden, der das Land auf den Weg des Machtwechsels führt. Wenn es das bis Mitte Dezember nicht gibt, stehen wir vor einer sehr ernsten Lage. Wir wollen die Krise verhindern, nicht auf sie reagieren.
Wie soll das gehen?
Wir müssen die richtigen Anreize schaffen, damit jeder Beteiligte einen Vorteil darin sieht, sich an den Geist der Verfassung zu halten. Einzelne Strafmaßnahmen gegen Verantwortliche für Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und Aushöhlung demokratischer Institutionen spielen dabei eine Rolle. Zugleich müssen wir einen echten inklusiven Dialog befördern, um die Möglichkeiten für einen Kompromiss auszuloten, dem alle Seiten zustimmen können.
UN-Warnung: Der Chef der UN-Mission im Kongo, Maman Sidikou, hat vor um sich greifender Gewalt gewarnt, wenn der Streit über Kongos Wahlen nicht gelöst wird. „Akteure auf allen Seiten scheinen immer mehr bereit zu sein, Gewalt anzuwenden“, so der Diplomat am Dienstag im UN-Sicherheitsrat. Die Lage könne „sehr schnell kippen“.
Wahlstreit: Am 19. Dezember 2016 endet die laut Verfassung letzte Amtszeit von Präsident Joseph Kabila, aber es sind keine Neuwahlen angesetzt. Die Opposition lehnt Kabilas Amtsverbleib ab. Am 19. September kam es zu schweren Unruhen in Kinshasa.
Woher soll dafür das Vertrauen kommen? Es gibt ja gerade einen Dialog darüber, wann Wahlen stattfinden sollen und was bis dahin geschieht. Aber die wichtigsten Oppositionsparteien nehmen daran nicht teil, und Kabila hat nicht durch Freilassung von Gefangenen Vertrauen gebildet.
Zunächst ließ die Regierung einige zivilgesellschaftliche Führer frei, und das begrüßten wir. Dann verhaftete sie andere, erhob Anklage gegen Oppositionsführer und gab den Medien keinen Freiraum. Letztendlich trägt hier die Regierung die Verantwortung, denn sie hat die Macht, den Prozess voranzubringen. Dies ist eine künstlich herbeigeführte Krise, nicht irgendein unlösbares regionales oder ethnisches Problem. Wenn die Regierung Wahlen abhalten würde, gäbe es keine Krise. Die Verfassung ist eindeutig und es ist der klare Wille des kongolesischen Volks. Das einzige Problem ist, dass die Regierung keine Wahlen organisiert und der Präsident nicht sagt, was er anstrebt. Wenn der Präsident sich klar über seine Zukunft äußern würde, könnte das die Spannungen sofort verringern. Es gibt immer noch Zeit dafür.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service