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Proteste bei der Automobilmesse IAADie Zeit zum Zurücklehnen ist vorbei

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Die Blockade der IAA in Frankfurt hat ihr Ziel erreicht: Das Thema Klimaschutz wird so schnell nicht mehr von der Verkehrsagenda verschwinden.

Nach Atomenergie und Kohleindustrie knüpft sich die Klimabewegung nun die Autoindustrie vor Foto: ap

S ie sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Die Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung haben die Verkehrsindustrie in den Fokus genommen. Die Atomenergie strahlt ihrem Ende zu und auch die Kohleindustrie ist eine sterbende Branche. Demnach ist dieser Schritt folgerichtig. Denn im Verkehrssektor bewegt sich kaum etwas, die Emissionen sind seit fast 30 Jahren auf dem gleichen hohen Niveau.

Am Wochenende vor dem von Greta Thunberg und Fridays for Future ausgerufenen globalen Klimastreik haben nun rund 1.000 Aktivist*innen die Eingänge der Internationalen Automobilmesse (IAA) in Frankfurt blockiert. Die Besucher*innen mussten Umwege in Kauf nehmen, sich durch die Demonstrant*innen drängeln, sich ihren Protest anhören. Sie mussten an behelmten Polizist*innen mit Schlagstöcken vorbeigehen, um in die Oase des unreflektierten Konsums einzutauchen. Das luxusträchtige Hochglanz-Event hat ein paar Kratzer bekommen.

Auch wenn die Blockade symbolischer Natur war, hat sie ihre Wirkung entfaltet. Die Aktivist*innen haben die Eingänge nicht komplett dichtgemacht – sie wollen keine Eskalation um jeden Preis. Ihr Ziel haben sie erreicht: sich in den Diskurs einzumischen und das Thema Klimaschutz auf die Verkehrsagenda zu setzen.

In den vergangenen Wochen war es Journalist*innen nicht möglich, über die IAA zu berichten, ohne die Kritik daran zu erwähnen. Selbst konservative Medien räumten den Argumenten der Sprecherin des Protestbündnisses „Sand im Getriebe“, Tina Velo, Platz ein. Auch die Bundesregierung kann das Thema nicht länger aussitzen. Zwar dürften die Maßnahmen, die das Klimakabinett am Freitag verkünden wird, weit hinter dem Nötigen zurückbleiben. Aber wenigstens bewegt sich was.

Es reicht nicht, von Elektroautos zu reden

Auch die Autoindustrie bekommt das zu spüren. Zwar ist die Nachfrage nach besonders klimaschädlichen SUVs in Deutschland so hoch wie nie. Gleichzeitig standen sie aber auch noch nie so stark in der Kritik wie heute. Die Zeiten, in denen die Autohersteller sich entspannt zurücklehnen und Geld zählen können, sind vorbei.

Sie müssen etwas ändern, und es reicht nicht, unentwegt von Elektroautos zu reden, sobald jemand das Wort „CO2“ erwähnt. Der Öffentlichkeit ist nicht entgangen, dass es die gefühlt hundertste Messe ist, die unter dem Motto Elektromobilität stehen soll, während sich die CO2-Bilanz nicht verbessert.

Es kommt langsam im öffentlichen Bewusstsein an, dass eine wirkliche Verkehrswende hermuss. Angesichts der Betrügereien und der Skandale der Autoindustrie ist es dafür zwar ziemlich spät. Aber das Thema wird so schnell nicht von der Agenda verschwinden.

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Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
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6 Kommentare

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  • Deutschland scheint aktuell keine anderen akuten Probleme als Öko und Klima zu haben. Altersarmut? (Drohende) Arbeitslosigkeit? Konjunkturschwäche? Hartz 4? Fehlende Kitaplätze? Wohnungsmangel? Firmeninsolvenzen? Zu hohe Wohnungsmieten? Geringer Mindestlohn? Kränkelndes Sozial-/Pflegesystem? Scheinbar spielen diese Themen, bei denen dringend gehandelt werden müsste, kaum noch eine Rolle in den Köpfen vieler Leute, Medien und Politiker. Oder gibt es sie nicht mehr?! Haben sie sich in Luft aufgelöst?

  • Ich bin sehr froh, dass der Individualverkehr mit PKW endlich in den Fokus des Protestes rückt.



    Leider fehlt noch das Verständnis dafür, dass Elektro keine Lösung ist. Das Auto muss überwunden werden.

    Wenn jeder Haushalt, wie bisher 1-2 PKW hat, dann löst Elektro gar nicht.



    Privatpersonen sollten nur dann PKW fahren, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen keine Alternativen haben.

    Autos versiegeln Boden, Autos verbrauchen Rohstoffe, Autos verstopfen Straßen, Autos machen Lärm. Und Strom kommt auch nicht aus dem Nichts.

    Aber die Hersteller sind nicht das eigentliche Problem. Das Problem sind die Autofahrer. Denen muss das versalzen werden. Über die Kosten.

    Steuern auf die PKW und das Benzin sollten verzehnfacht werden, dann wird der Dreck gezehntelt.

    Und mit der Kohle kann man den ÖPNV ausbauen und die ländlichen Infrastruktur.

  • Klimaschutz...da bin ich dabei, aber bitte nur wenn es mich nicht direkt betrifft oder ich gar Unannehmlichkeiten auf mich nehmen muss. Das ist doch das größte Problem, wenn es bequemer und vor allem billiger ist das Auto zu nehmen, wird sich kaum was ändern. Da hilft auch kein E Auto. Bus und Bahn muss viel mehr ausgebaut und günstiger werden und der Radverkehr VOR den Auto berücksichtigt werden. Sonst wird das nichts

  • Würde ich im Zentrum Berlins wohnen, wo man fast neben jeder Haustür eine Haltestelle findet, würde ich auch eine Verkehrswende fordern. Bis dahin fahre ich weiter Auto.

    • @Zven:

      Bin mir ziemlich sicher daß für fast alle wirklich notwendigen Autofahrten ein Kleinstauto mit max 40 PS völlig ausreicht.



      Das wäre auch schon eine goldener Schritt zur Verkehrswende.



      Was meinen Sie ?