piwik no script img

Proteste bei Vuelta-Radrennen in SpanienBreite Solidarität bis zum raschen Ende

Bei der spanischen Fahrrad-Rundfahrt Vuela sorgen die Proteste gegen das israelische Vorgehen in Gaza und einen israelischen Rennstall für einen Teilabbruch.

Proteste an der Strecke: Bilbao, 3.9. 2025 Foto: Miguel Oses/ap

Radsport wird nicht auf einem fernen Planeten ausgetragen, unberührt von allen politischen Entwicklungen. Lange konnte sich das Sportgeschäft mit den radelnden Werbeträgern der Illusion hingeben, in einem politikfreien Raum unterwegs zu sein. Spätestens mit den massiven Protesten von Gegnern des israelischen Krieges in Gaza, die am Mittwoch zur sportlichen Teilannullierung der 11. Etappe der Spanienrundfahrt führten, ist diese Vorstellung nicht mehr haltbar.

Tausende Menschen hatten die letzten 500 Meter der Etappe in der Innenstadt Bilbaos in Besitz genommen. Ein textiles Meer aus Palästina-Fahnen beherrschte diesen Teil der Rundfahrt. Auch akustisch setzte sich der Chor der Protestierenden mit seinen laut skandierten Sprüchen durch. Sie forderten Solidarität mit Palästina und bezichtigten Israel des Genozids in Gaza. Der Streckensprecher versuchte zwar, mit seinen durch große Lautsprecherboxen verstärkten Informationen noch durchzukommen. Aber auch er gab schließlich auf.

Wie auch die Veranstalter. „Angesichts der Geschehnisse bei der ersten Zieldurchfahrt der 11. Etappe hat die Organisation entschieden, das Rennen drei Kilometer vor dem Ziel abzubrechen, um dort die Zeiten für das Gesamtklassement zu nehmen. Es wurde auch entschieden, keinen Tagessieger zu küren und keine Punkte für die Punktewertung im Ziel zu vergeben“, hieß es später in einem Kommuniqué.

Tatsächlich hatten bei der ersten Zieldurchfahrt Demonstranten die Absperrungen durchbrochen. Ein massives Polizeiaufgebot schuf eine Gasse, durch die das Peloton fahren konnte. Behinderungen des Rennens hatte es bereits an einigen Stellen zuvor gegeben, einmal versperrte ein Protestbanner den Weg. Und beim Mannschaftszeitfahren auf der 5. Etappe wurden die Athleten von Israel-Premier Tech sogar angehalten.

Ausschluss gefordert

Gegen die Teilnahme des Rennstalls richten sich die Proteste. Die Vereinigte Linke Spaniens hatte sogar offiziell den Ausschluss von Israel-Premier Tech gefordert. Das ist insofern nachvollziehbar, als dass sich Teamgründer Sylvan Adams bei der öffentlichen Vorstellung des Rennstalls – damals noch Israel Star-Up Nation – als Botschafter und Werbeträger Israels inszenierte. Jetzt bei der Vuelta ist Adams auch vor Ort. Zur aktuellen Situation wollte er sich aber nicht äußern, eine Teamsprecherin blockte eine Anfrage der taz ab.

Inzwischen hat Óscar Guerrero, Sportdirektor des Teams, von Morddrohungen gegen den Rennstall berichtet. „Wir haben Angst“, sagte er dem spanischen Radiosender Onda Cero. Er bat darum, „das Team nicht anzugreifen“. Der Rennstall beabsichtigt, das Rennen fortzusetzen: „Jede andere Vorgehensweise würde einen gefährlichen Präzedenzfall im Radsport schaffen, nicht nur für Israel-Premier Tech, sondern für alle Teams“, heißt es in einem offiziellen Statement.

Die Fahrer waren vor allem enttäuscht, ihrem Sport nicht nachgehen zu können. „Es ist schade, dass wir heute nicht um den Sieg fahren konnten. Ich hätte gern für meinen Sohn gewonnen, er hat heute Geburtstag“, sagte der Gesamtführende Jonas Vingegaard. Er startete auf den letzten Kilometern eine Attacke, setzte sich mit dem Briten Thomas Pidcock ab. Auch der war sauer: „Ehrlich gesagt, ist es schwer, die Enttäuschung zu beschreiben. Ich hatte das Gefühl, das heute wäre mein Tag“, meinte er nach dem Rennen.

Die Fahrer wussten, was auf sie zukommen könnte. „Wir waren in ständigem Austausch mit den Organisatoren. Und sie haben auch getan, was sie konnten. So viel Polizei“, meinte der italienische Sprinter Elia Viviana. „Die Entscheidung zum Rennabbruch wurde uns auch rechtzeitig übermittelt. Die Ansagen waren klar und unmissverständlich. Wir haben das dann an unsere Fahrer weitergegeben, und ja, die Teamtaktik etwas angepasst“, sagte mit leicht gequältem Lächeln Jesper Morkov, sportlicher Leiter von Vingegaards Team Visma – Lease a Bike.

Vor allem für die Organisatoren war es ein herausfordernder Tag. „Wir sind nicht gegen politische Proteste, aber die Sicherheit des Rennens, aller Fahrer und des Begleitpersonals muss gewährleistet sein“, sagte Kiko Garcia, technischer Direktor der Vuelta. „Wir müssen den Regularien folgen und sind verpflichtet, Israel-Premier Tech hier fahren zu lassen. Würden wir das nicht akzeptieren, würden wir viel Ärger bekommen. Wir haben auch alles getan, eine extra Polizeieskorte für das Team, auch mehr Polizei für die anderen Teams. Jetzt müssen sich aber alle Beteiligten im Radsport zusammensetzen und eine gute Lösung finden. Die Zeit rennt“, meinte er.

Sie rennt bei der Vuelta, sie rennt aber vor allem in Gaza, mit täglich immer neuen Toten. Im Fahrerfeld geht man allerdings davon aus, dass die Proteste abebben. Zur 12. Etappe verlässt die Vuelta das Baskenland. „Mir wurde gesagt, dass Mittwoch der Tag mit den meisten Protesten sein würde, also könnte es von jetzt an besser werden“, meinte Radprofi Pidcock.

Die Bevölkerung im Baskenland, traditionell sehr begeisterungsfähig für den Radsport, hat ein Zeichen gesetzt. In Zukunft komme es darauf an, die richtige Balance aus Protest und Sicherheit zu finden, nahm sich Vuelta-Direktor Kiko Garcia als Aufgabe für die kommenden Tage vor.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare