Protestbewegung in Iran: Die Alternative ist da
Immer wieder stößt unsere Autorin in der Berichterstattung über Iran auf Narrative des islamischen Regimes. Mit diesen, findet sie, gehört aufgeräumt.
In ihrem Kommentar in der vergangenen Woche in der taz hat die Autorin Charlotte Wiedemann unter dem Titel „Keine spontane Heilung“ dargelegt, weshalb der Sturz des Regimes in Iran ein beängstigendes politisches Vakuum hinterlassen würde: „Weder im Inland noch im Ausland ist eine demokratische Kraft erkennbar, die in Teheran Verantwortung übernehmen könnte, wenn das jetzige System implodiert“, schreibt sie. Das Land, so Wiedemanns Furcht, gehe entweder einer Militärdiktatur oder dem Staatszerfall entgegen.
Mit ihrer Feststellung, ein politisches Folgekonzept sei noch nicht entwickelt, mag Wiedemann recht haben. Und doch: Die Bevölkerung, die Veränderung fordert und bereit ist, dafür zu kämpfen, ist da. Wenn auch ungewollt, übernimmt Wiedemann mit ihrer Argumentation, die der iranischen Bevölkerung eine Mitschuld an der desaströsen Lage des Landes gibt, iranische Staatspropaganda. Und damit steht sie nicht allein. Immer wieder werden von progressiven Menschen im Westen unwissentlich Narrative der islamischen Führung verbreitet.
Angebliche Alternativlosigkeit
Da ist zum Beispiel die Erzählung von der angeblichen Alternativlosigkeit zur Islamischen Republik, die als Angstmacher wirkt. Was westliche Beobachter*innen oft zu vergessen scheinen: Der Staatsapparat selbst verhindert systematisch die Bildung einer Opposition in Iran, indem er jeden Schritt zur demokratischen Selbstorganisierung kriminalisiert. Es gibt unzählige politische Gefangene in Iran, Männer wie Frauen, jung und alt, die nur deshalb inhaftiert wurden, weil sie versucht haben, sich zu organisieren.
Die Veterinärstudentin und Aktivistin Sepideh Gholian, die Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin Nasrin Sotudeh, die Vizepräsidentin des Defenders of Human Rights Center Narges Mohammadi, der Blogger Hossein Ronagh … Die Liste ließe sich immer weiter verlängern, vor allem mit den vielen Namenlosen, die täglich in den Gefängnissen landen, verschleppt oder getötet werden.
Alle sozialen Gruppen, die versuchen sich zusammenzuschließen, trifft diese Repression. Das sind nicht nur Frauen, sondern auch ethnische Minderheiten, religiöse Minderheiten wie Bahais, sexuelle und Genderminderheiten, Arbeiter*innen, links und liberal orientierte politische Aktivist*innen und Feminist*innen. Auch diese Liste ist lang.
Hinzu kommt, dass Betroffene sogar aus den Gefängnissen heraus Widerstand leisten und der iranische Staat auch jede aufkeimende Opposition im Ausland mit unterschiedlichen Vorwürfen zu verhindern sucht. Zu diesen Vorwürfen gehören zum Beispiel: die Zugehörigkeit oder Nähe zu einer terroristischen Organisation, Spionage, das Befürworten eines Kriegs und Korruption. Das Fehlen an politischen Alternativen unter diesen Umständen der unorganisierten Opposition anzulasten, kommt einer Verschiebung des Diskurses gleich.
Fragwürdige Schuldaufteilung
Gleiches gilt für den Versuch einer Schuldaufteilung zwischen Bevölkerung und Staat. Denn der iranische Staat funktioniert wie eine Mafiabande und hat sich als militarisierte Diktatur in der Region etabliert. Diese Position hat das Regime in den vergangenen 43 Jahren durch die systematische „Säuberung“ des Landes von Intellektuellen und politischen Gefangenen gefestigt. Andersdenkende wurden mundtot gemacht.
Dabei gaben die iranischen Machthaber stets vor, sich auf eine große soziale Basis stützen zu können: Die Mehrheit der Iraner*innen sei demnach für ihre Politik mitverantwortlich.
Natürlich war die iranische Mehrheitsgesellschaft Teil der Islamischen Revolution. Aber der Staat hat seither jegliche organische gesellschaftliche Entwicklung strikt verhindert. Eine Entwicklung hin zu einem modernen Land hat das Regime längst nicht mehr vor, wenn es das überhaupt je vorgesehen hatte. So richtig es sein mag, die Schuldfrage zu stellen, sie zu diskutieren, ist trotzdem Teil der staatlichen Propaganda in Iran.
Gleiches gilt für die Behauptung, wonach der Sturz der islamischen Führung Iran zu destabilisieren drohe. Die Mär von der angeblichen Destabilisierung des Landes diente bereits als Grundlage für Todesurteile gegen oppositionelle Iraner*innen. Falsch ist sie allein deshalb, weil mit ihr die Lage des Landes zunächst einmal für stabil erklärt wird – trotz der Korruption, der desaströsen Wirtschaftslage und Menschenrechtssituation.
Falsch ist der Vorwurf auch, weil er die augenscheinliche Stabilität des Staats mit der Stabilität der Gesellschaft gleichsetzt. Politischen Gefangenen und Andersdenkenden, wie den nun Protestierenden, wird so vorgeworfen, sie seien diejenigen, die für die Labilität Irans verantwortlich seien – eine eindeutige Täter-Opfer-Umkehr.
Viele Iraner*innen sagen seit Jahren, welchen Preis sie für die Stabilität des Regimes zahlen: dass sie unter permanenter Angst leben müssen. Ein stabiler Staat? Das ist der Staat, der durch seine militärische Abenteuerpolitik nicht nur Iran, sondern die gesamte Region destabilisiert.
Mein Eindruck ist: Kommentator*innen im Westen, die sich als links verstehen, haben sich all die Jahre damit abgefunden, dass die Iraner*innen keinen Ausweg aus ihrer unmöglichen Situation finden. Sicher, der Kontakt mit den Menschen in Iran wird vom Regime sehr stark erschwert, da es die eigene Bevölkerung nach Kräften versucht von der Außenwelt abzuschotten.
Hinzu kommt, dass viele der westlichen Beobachter*innen mangels Sprache und Zugang weder die Propagandazeitungen des Staats noch die Texte der oppositionellen Akteur*innen lesen können. Das ist ein Grund, weshalb die iranische Führung ihre Ideologie nach wie vor im Westen verbreiten kann.
Iraner*innen, die heute auf der Straße sind, fordern uns im Westen dazu auf, der Propaganda des iranischen Regimes zu widersprechen. Tun wir es!
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