Protestbewegung in Belarus: Digital überrannte Diktatoren

Diktatoren sind machtlos gegen dezentral organisierte Demonstrationen. Lukaschenko macht die Menschen höchstens nur noch wütender.

e Frauen mit Siegs-,Faust- und Liebeszeichen

Zepkalo, Tichanowskaja und Kolesnikowa, bevor sie auseinandergerissen wurden Foto: Natalia Fedosenko/imago

Diktatoren hatten es früher leichter. Sie ließen die führenden Köpfe der Opposition einsperren oder vertreiben, schlossen ein paar Zeitungen und wiesen das Staatsfernsehen an, Heldenhaftes über die Staatsführung zu berichten. In den meisten Fällen waren die Proteste und Demokratiebewegungen damit erledigt und liefen alsbald ins Leere.

Der belarussische Präsident Lukaschenko ist schon so lange im Amt, dass auch für ihn diese analogen Methoden zur Grundausstattung eines funktionierenden Unterdrückersystems gehören. Routine sozusagen. Also zielten seine Schergen auf die drei Frauen im Rampenlicht der Bewegung: Swetlana Tichanowskaja, Veronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa, von der wir derzeit nicht wissen, was ihr genau widerfahren ist.

Natürlich hilft es, wenn Führungspersönlichkeiten regimekritischen Demonstranten wie in Belarus ein Gesicht geben. Doch die jüngsten Erfahrungen in vielen Ländern mit langanhaltenden Protesten zeigen sehr deutlich, dass die Digitalisierung solche Bewegungen zu einem bedeutenden Teil von Leitfiguren an der Spitze entkoppelt hat. Die Unzufriedenen organisieren sich überall dezentraler und basisorientierter als in früheren Zeiten. Es braucht nicht mehr den großen Organisator, das nationale Koordinierungsbüro oder die zentrale politische Botschaft einer Führung.

Dieser Trend ist nicht nur bei den politischen Demokratiebewegungen in Hongkong, Iran, Libanon oder Irak sichtbar. Auch die Gelbwestenproteste in Frankreich oder der Aufstand gegen Rassismus in den USA zeigen, dass gewaltige Protestwellen sich weitestgehend führungslos entwickeln können und keineswegs Strohfeuer sind.

Oppositionelle aus Belarus schauen nach Hongkong

Die moderne Technik ermöglicht politische Bewegungen, wie sie zuvor so nie möglich waren. Von den Oppositionellen in Belarus weiß man, dass sie sich so einiges aus Hongkong abgeschaut haben. Bei den Aufständischen dort gilt die Taktik von Bruce Lee: sei formlos wie Wasser. Mächtig, aber nicht zu greifen.

Die Stärke der modernen Protestbewegung ist deshalb gerade ihre „Kopflosigkeit“, sie ist schwerer auszuschalten, zu verhaften und einzuschüchtern als einzelne Oppositionelle. Der Werkzeugkasten der Diktatoren alter Schule ist nicht für spontane und dezentral per Messengerdienst organisierte Demonstrationen gemacht.

Lukaschenko gibt sich deshalb Illusionen hin, wenn er glaubt, dass er die Protestwelle in Belarus brechen kann, indem er sich der drei Frauen entledigt, die im Wahlkampf gegen ihn angetreten sind. Es wird die Menschen auf der Straße höchstens noch wütender machen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik

Mehr Geschichten über das Leben in Belarus: In der Kolumne „Notizen aus Belarus“ berichten Janka Belarus und Olga Deksnis über stürmische Zeiten – auf Deutsch und auf Russisch.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.