Protest von Lieferando-Fahrer*innen: Ausgeliefert, angenervt
In Berlin-Kreuzberg haben am Freitag Lieferando-Fahrer*innen und Gewerkschafter für bessere Arbeitsbedingungen protestiert.
Sie kritisieren insbesondere das Bonussystem von Lieferando, mit dem der Essens-Lieferdienst den Stundenlohn von aktuell 11 Euro rechtfertigt: Ab 200 ausgelieferten Bestellungen im Monat erhalten die Fahrer*innen zwei Euro pro Lieferung, ab 100 Fahrten einen Euro, ab 25 Fahrten 25 Cent.
Für Till Nüsse, Lieferando-Fahrer und NGG-Mitglied, ein gefährlicher Anreiz: „Der Bonus verleitet zu unsicherem Fahren“, sagt der Kölner am Seitenrand der Demo, für die er extra angereist ist. „Die Fahrer stehen unter Druck, damit sind sie auch eine Gefahr für den Straßenverkehr. Bei Lkw-Fahrern ist Akkordarbeit aus genau diesem Grund verboten.“
Durch die Ausweitung des Liefernetzes werden zudem die Distanzen immer größer, berichtet der Betriebsratschef Semih Yalcin. Für die Fahrer*innen bedeute das: Gleiche Arbeitszeit, gleiche Wegstrecke, weniger Boni. Hinzu komme, dass Minijobber*innen und Teilzeitkräfte, die einen Großteil der Belegschaft ausmachen, durch die Zusatzzahlungen strukturell benachteiligt werden.
Wie groß der Frust in der Lieferando-Belegschaft sein muss, wird an diesem Freitag in Kreuzberg sehr deutlich. Am Mikrofon steht Leo, seit einem Jahr Kurier, in seiner orangen Arbeitskleidung: „Wir fordern nicht nur mehr Geld, wir wollen vor allem echte Wertschätzung“, sagt er.
Als er die Weihnachtsgeschenke anspricht, sorgt er für Gelächter unter seinen Kolleg*innen: 2020 habe es einen 20 Euro Lieferando-Gutschein gegeben, im vergangenen Jahr dann eine Packung Nudeln, in Form des Lieferando-Logos. „Wenn ich ehrlich bin, wäre mir ein anständiges Gehalt zu Weihnachten deutlich lieber.“ Stattdessen schicke das Management ihnen Mails mit Tipps, wie sie mehr Trinkgeld bekommen oder ihre Schichten so legen können, dass sie 47 Stunden pro Woche schaffen, berichten die Fahrer*innen.
Profit auf dem Rücken der Fahrer*innen
Essenslieferungen sind ein wachsender Markt, die Corona-Pandemie hat den Trend noch einmal verstärkt: Nach Angaben des niederländischen Mutterkonzerns Just Eat Takeaway steigerte die deutsche Tochter Lieferando ihren Umsatz im ersten Halbjahr vergangenen Jahres auf 284 Millionen Euro – ein Plus von 76 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der Gewinn erhöhte sich von 58 auf 94 Millionen Euro.
Für die Mitarbeiter*innen, die den Umsatz buchstäblich eingefahren haben, ändert sich durch den Erfolg nur wenig: Für unbefristete Verträge, eine angemessene Arbeitsausstattung und die Einhaltung der Corona-Maßnahmen mussten die Fahrer*innen jüngst immer wieder rechtlich gegen ihren Arbeitgeber vorgehen. Gemeinsam mit der NGG haben sie im vergangenen Jahr erstritten, dass Lieferando ihnen ein Smartphone und zwei Gigabyte Datenvolumen stellen muss. Zahlreiche Klagen vor dem Arbeitsgericht haben das Unternehmen außerdem dazu bewegt, alle Verträge zu entfristen.
Personalmangel setzt Unternehmen unter Druck
Unterstützung gibt es auch aus der Politik: „Gerade wenn eine Branche wächst, ist es ganz entscheidend, das gute Löhne und gute Standards erkämpft werden und dass das nicht auf dem Rücken der Beschäftigen passiert“, sagt Katja Kipping (Die Linke), die an diesem Freitag ebenfalls zur Lieferando-Zentrale gekommen ist. Als Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales sei sie mit beiden Tarifparteien im Gespräch, in die Verhandlungen wolle sie sich aber nicht einmischen.
Die Gewerkschafter und Lieferando-Fahrer*innen wirken an diesem Freitag wütend, aber optimistisch. In der Branche herrsche weiterhin Personalmangel, das stärke ihre Position: „Ob wir in Flink, Gorilla oder Lieferando-Uniform fahren, ist uns am Ende des Tages egal. Was zählt, sind die Bedingungen, unter denen wir arbeiten,“ sagt Till Nüsse. Eine Einigung in den Tarifverhandlungen sei also auch im Interesse von Lieferando.
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