Protest gegen rechte Buchmesse: Mit Kästner gegen „Compact“ und Kubitschek
Das „Wir-Festival“ in Halle will ein Zeichen für den Zusammenhalt der Gesellschaft setzen. Am Wochenende soll es eine rechte Buchmesse überstrahlen.
Bunte Kreidespuren belebten im September den grauen Marktplatz in Halle an der Saale. 41 Meter lang, ein Wort: „Wir“. Für die Initiator:innen des gleichnamigen Festivals ist es ein Statement für den Zusammenhalt in der Stadt. Seit Wochen wollen sie diesen mit Lesungen, Workshops, kreativen Aktionen oder auch Tanzabenden stärken. Außerdem ist das „Wir-Festival“ eine Protest-Form. Denn an diesem Samstag beginnt in der Stadt die rechte Buchmesse „Seitenwechsel“. Das „Wir-Festival“ solle sie „überstrahlen“, heißt es von der Initiative.
Seitdem das Kreidebild auf dem Marktplatz entstand, seien täglich Unterstützer:innen in der Stadt zu sehen, berichtet Mitinitiatorin Petra Reichenbach der taz. Sie ist Buchkünstlerin, Grafikerin und von Anfang an dabei. Laut Reichenbach stehen in den Schaufenstern von 24 Läden literarische Zitate, mit denen sich die Betreiber:innen gegen die rechte Messe positionieren.
Ein Beispiel ist das Café Hafenmeister & Docks. In großen weißen Lettern mahnt Erich Kästner: „Was auch immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“ In 200 weiteren Schaufenstern beziehen Läden mit kleineren Sprechblasen Position.
Insgesamt umfasst das Programm mittlerweile 365 verschiedene Veranstaltungen. Nicht alle wurden explizit für das „Wir-Festival“ geplant. Veranstalter:innen konnten sich bei den „Wir“-Initiator:innen melden, damit ihre Lesung, ihr Theaterstück oder Workshop in der Liste auftaucht. „Bei manchen passte es einfach“, erklärt Reichenbach.
Projektwoche und Höhepunkt
Ein Beispiel dafür ist die Projektwoche „In Verteidigung der Demokratie“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Von der Politikprofessorin Petra Dobner ins Leben gerufen, legen dort Vorträge und Diskussionen einen besonderen Fokus auf die politische Lage in Sachsen-Anhalt und die Landtagswahl 2026. In Umfragen führt die AfD, eine Alleinregierung der rechtsextremen Partei ist nicht ausgeschlossen. Am Montag waren etwa der Omnibus für direkte Demokratie und sein Gründer Johannes Stüttgen an der Universität. Sie fahren seit der Dokumenta 1987 durch die Republik, um die Idee von Basisdemokratie zu verbreiten. Kunstgeschichte zum Anfassen. Die Veranstaltung stand ebenfalls im Kalender des Festivals.
Der Höhepunkt des „Wir-Festivals“ steht am Wochenende an. Freitag und Samstag sind in dichter Folge Vorträge, Lesungen, Konzerte und Podiumsgespräche geplant. Der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent und die Journalistin Gilda Sahebi treten auf, am Samstagabend steht ein veganer XXL-Mettigel im Programm.
Am Sonntag, dem 9. November, ist ebenfalls Programm geplant, allerdings als Gedenktag. Erinnert wird an die Novemberpogrome von 1938 und den Terror der deutschen NS-Diktatur. Neben mehreren Demonstrationen bildet das den Gegenprotest zur Buchmesse „Seitenwechsel“.
Messe für rechte Szenegrößen
Die rechte Messe initiiert hat die Dresdnerin Susanne Dagen. Die Buchhändlerin ist seit August 2024 Mitglied der AfD-Fraktion im Dresdner Stadtrat. Das Programm kündigt in Halle allerlei Szenegrößen der Neurechten und auch neonazistische Verlage an: den Antaios Verlag des extrem rechten Vordenkers Götz Kubitschek, das „Compact“-Magazin von Jürgen Elsässer sowie den Sturmzeichen Verlag des Neonazis Sascha Krolzig.
„Die Buchmesse ist zwar der Anlass“, sagt Petra Reichenbach zum „Wir-Festival“ und dessen Programm. Für wichtiger halte sie aber, dass das Festival zeige, welcher Zusammenhalt in der Stadt möglich sei.
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