Protest gegen Bouleclub-Schließung: Aux boules, citoyens!
In Paris muss ein traditionsreicher Bouleclub schließen. Das ist für ältere Spieler fatal. Denn ihnen fehlen in Großstädten Orte der Gemeinschaft.
B eim In-die-Knie-Gehen knackst es. Ein Auge zugedrückt, visiert das andere das „Cochonnet“, das kleine Holzkügelchen, an. Dann fliegt die schwere Metallkugel aus der Hand in seine Richtung – oft begleitet von einem leichten Grunzen des ja meist nicht mehr ganz jungen Spielers. Die Kugel landet, wirbelt etwas Staub auf, „pas mal“, „nicht schlecht“, dann ein Pastis, noch eine Zigarette und das gerne stundenlang. Boule, auch bekannt als Pétanque, ist schließlich französischer Nationalsport.
Einer der Orte, wo die Metallkugeln durch die Luft fliegen, wo sich Nachbar_innen treffen und austauschen, ist nun selbst zum „Cochonnet“ im Auge der Pariser Abrissbirnen geworden. Ein 1971 gegründeter Bouleclub muss nach Beschluss der Bürgermeisterin Anne Hidalgo (Parti Socialiste) schließen, um einem schicken Gartenprojekt zu weichen. Ein Fehler. Denn in Frankreich, wo besonders alte Menschen in Städten unter Einsamkeit leiden und sie zu einer regelrechten Lebensgefahr werden kann, braucht es genau diese Treffpunkte.
Darüber, was genau es an dem Sport ist, das ausgerechnet Senior_innen so attraktiv finden, kann man nur spekulieren. Die frische Luft? Das Geplausche nebenbei? Die nicht allzu anstrengende körperliche Betätigung? All das muss Pétanquisten begeistern. Dazu ist die Kugelwerferei gesund. Sie soll gegen Krankheiten wie Osteoporose und Arthrose vorbeugen, förderlich für die Augen-Hand-Koordination sein und das Konzentrationsvermögen steigern. Ein wahrhaftiges Wundermittel, das zumindest an einem Ort in Paris nicht mehr wirken kann.
Etwa 80 Demonstrierende des traditionsreichen Pétanque-Club CLAP (Club Lepic Abbesses Pétanque) im Viertel Montmartre transportierte die Pariser Polizei am Montag von den heiligen Kiesplätzen ab. Seit zwei Jahren drohte dem sogenannten Boulodrome in der Avenue Junot die Schließung. Im April begannen Mitglieder den Bouleplatz zu besetzen, ketteten sich an und schliefen dort in Zelten, um den Ort zu überwachen und einer möglichen Räumung vorzubeugen. Bis sie am 184. Morgen die Polizei weckte.
Hotel bestreitet Pläne
Ein beliebter Versammlungsort in Montmartre muss nun einem Gartenprojekt weichen, dem Jardin Junot, das die Stadt mit dem angrenzenden Luxushotel L’Hôtel Particulier erbauen will. Der CLAP fürchtet, dass das Hotel den Platz als Terrasse nutzen wird, um dort für „25 Euro Gin und Tonics“ zu verkaufen, wie ein Pétanquespieler in einem Video sagt. Auch französische Medien berichten, dass das Hotel den Platz anmieten wird.
Das Hotel jedoch bestreitet das auf Anfrage der taz, es habe lediglich vor, das Gartenprojekt zu unterstützen. Auch wenn die genauen Pläne für das Grundstück nicht durchsichtig sind, ist eines sicher: Boule wird dort so nicht mehr gespielt und die CLAP-Herrschaften müssen nach Hause gehen.
Eine wirkliche Schande, löst der Ort doch zumindest für manche ein verbreitetes Problem: epidemische Einsamkeit. Die gemeinnützige Organisation Petits Frères des Pauvres, die sich für ältere Menschen einsetzt, veröffentlichte 2019 eine Studie, die Einsamkeit im Alter beleuchtet: 4,6 Millionen Französinnen und Franzosen über 60 gaben an, sich einsam zu fühlen – verstärkt besonders in Städten. Und sie drückten einen klaren Wunsch aus: einen besseren Zugang zum öffentlichen Raum.
Orte wie das Boulodrome zumindest nicht zu schließen, wäre also das Mindeste, was die Stadt Paris leisten könnte. Auch wenn das CLAP besonders stolz auf seine Vielfalt ist, auf sein Frauenteam und seine Mitglieder aus allen sozialen Schichten, beeindruckt vor allem eines: Bis zu 90 Jahre alt sind einige Pétanquisten des CLAP, die sich dort regelmäßig trafen und letztlich, ja, Sport trieben. Welche öffentlich zugänglichen Orten können das schon von sich behaupten?
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