Protest bei Kaeser-Rede: „I will survive“
In Berlin stürmt eine Aktivistin die Bühne und hält eine antikapitalistische Rede vor Siemens-Chef Joe Kaeser. Der gibt sich gelassen.
Sie nennt sich Noe Ito, nach einer japanischen Anarchistin. Ihr Auftritt wurde gefilmt und ist auf YouTube zu sehen: „Sie sind an der Zerstörung unseres Planeten beteiligt“, klagte sie die Anwesenden auf Englisch an. „Und Sie wissen es.“ In ihrem Gesicht und an den Händen klebte grüne Farbe. „Wenn es Ihnen egal ist, dann ist das eben so. Aber wenn Sie einfach nur Angst haben, Angst, Ihren Job zu verlieren, dann hören Sie jetzt zu.“
Hinter der Aktion steht nicht Fridays for Future, nicht Greenpeace oder Extinction Rebellion. Noe Ito gehört zu einer Gruppe, die keine Gruppe sein will. „Wir sind keine Organisation mit Namen“, sagt sie später zur taz auf Deutsch. „Es geht mehr darum, Widerstand als natürliche Haltung anzusehen und zu hoffen, dass viele verstehen, dass es keine Masse braucht, um etwas zu verändern.“ Klimaschutz müsse mit einem Systemwechsel einhergehen, sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen will.
„Das eine lässt sich ohne das andere nicht denken. Wir sind ökologisch orientierte AnarchistInnen. Ohne eine grundsätzlich Veränderung der herrschenden Verhältnisse wird sich auch das Klima nicht verbessern.“ Bei der Aktion vor dem Mittelstand forderte die Aktivistin, dass die Anwesenden Verantwortung übernehmen. „Sie wissen alle, worum es hier geht. Es geht um Leben und Tod. Um ein System, dass Sie miterschaffen haben.“
Gegen den Kapitalismus
Nach 90 Sekunden betrat ein Sicherheitsmitarbeiter die Bühne, ergriff ihren Arm, doch Siemenschef Kaeser signalisierte: Die Frau soll bleiben. „Ich habe noch ein Lied“, sagte Noe Ito. „Dieser Song geht raus an den Kapitalismus!“, rief die Aktivistin, „und an Sie, deutscher Mittelstand!“ Sie begann zu singen, „I will survive“ von Gloria Gaynor, ohne Mikrofon, während sie langsam von der Bühne geschoben wurde. Das Publikum applaudierte.
„Der Refrain passt zu uns widerständigen Bewegungen“, erklärt sie später. „Alles, was wir tun, tun wir aus Liebe, nicht aus Hass, so kitschig das auch klingt.“
Kaeser reagierte gelassen auf die Störung. „Ich hätte der jungen Frau gerne gesagt: Mach doch mit. Komm an den Tisch.“ Doch das will Noe Ito nicht, sagt sie. „Die grüne Farbe in meinem Gesicht sollte ein Handabdruck sein, der den Mund zuhält. So wie Greenwashing.“ Genau das habe Kaeser im Anschluss versucht. „Genau diese Art von Rhetorik, wir sollten uns mit ihnen an einen Tisch setzen, wir wären die Zukunft, blabla. Wir alle wissen, dass das gelogen ist. Dass die Angst haben, ihre Stelle zu verlieren.“
Mit den Protesten anlässlich Siemens' Adani-Projekt habe die Aktion nichts zu tun gehabt. „Der Empfang war eine gute Möglichkeit, ans Herz der Bestie zu kommen.“ Dass es „diesen Kaeser“ getroffen hat, sei tatsächlich Zufall, sagt Noe Ito. „Ich wollte einfach nur auf die Bühne, als die ganzen Securities wegwaren.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Titel Thesen Sexismus
Warum Thilo Mischke nicht TTT moderieren sollte