Prostituiertenschutzgesetz ist in Kraft: Jetzt sprechen die Sexarbeiterinnen
Aufhören, ins Ausland gehen oder illegal weitermachen? Prostituierte entwickeln neue Strategien. Das Gesetz lässt Platz für Interpretation.
Vielleicht war die Abschiedsorgie von Sexy Susi etwas verfrüht: Am Dienstagabend gab es die letzte Gangbangparty des Pornostars in Berlin. Denn Exfrauenministerin Manuela Schwesig hatte lange den Eindruck erweckt, dass das neue Prostituiertenschutzgesetz, das am 1. Juli in Kraft getreten ist, diese Praktik, bei der meist eine Frau Sex mit mehreren Männern gleichzeitig hat, verbieten würde.
Auf der Homepage von Sexy Susi jedenfalls wird getrauert: „Eine lange Reihe von schönen Partys geht zu Ende.“ Jetzt will Sexy Susi ihre Aktivitäten ins Ausland verlegen, Niederlande, Schweiz und so. Auch der bekannte Gangbanganbieter Erlebniswohnung Berlin bietet ab sofort nur noch „Sexpartys“ an.
Dabei hätte Sexy Susi wohl noch in Deutschland bleiben können. Zwar verbietet das neue Gesetz Betriebskonzepte, die gegen die „Wahrnehmung der sexuellen Selbstbestimmung von Prostituierten“ verstoßen. Oder anders ausgedrückt: Wer gleichzeitig mit mehreren Leuten Sex hat, könne keinen Spaß haben, dahinter stecke doch Zwang, und der gehöre verboten.
So kann man das sehen.
Sexy Susi aber ist über diese Sicht empört. Auch bei Gangbang sage sie, Susi selbst, wo es langgeht: „Die Frau bestimmt alles.“ Sie findet, Frau Schwesig bestreite die sexuelle Selbstbestimmung von Sexarbeitenden.
Vielleicht ist es mit dem Prostituiertenschutzgesetz ja ähnlich wie mit anderen Gesetzen: Sie lassen Spielraum für Interpretationen.
Prostituierte müsssen sich anmelden
Auf Nachfrage bei der Berliner Senatsgesundheitsverwaltung, die für die Umsetzung des Gesetzes in der Hauptstadt zuständig ist, wird rasch klar, dass das an vielen Punkten schwierig werden könnte. Gangbangpartys sind so ein Punkt. Sprecher Christoph Lang gibt zu bedenken, dass eine Prostituierte behaupten könne, sie mache das freiwillig und gerne. Er sagt: „Dann ist der Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung natürlich kaum nachweisbar.“
In anderen Paragrafen ist das Gesetz eindeutiger. So müssen sich Prostituierte künftig anmelden. Dann erhalten sie eine Anmeldebestätigung, in der Szene „Hurenpass“ genannt. Fabienne Freymadl, die als Lady Velvet Steel in einem Dominastudio in Berlin ihre Dienste anbietet, fragt sich, was das soll: „Geht es um mehr Schutz von Sexarbeitenden? Oder eher um Kontrolle und den Zugriff des Staats auf eine stark stigmatisierte Branche?“
Freymadl muss sich demnächst anmelden, sonst kann sie als Sexarbeiterin nur illegal weitermachen. Aber das wäre in ihrem Fall unmöglich. Lady Velvet Steel ist ein Promi in der Szene, sie hat eine Website, Männer buchen sie online oder telefonisch. Die Behörden wissen das.
Am 1. Juli will sich Fabienne Freymadl alias Lady Velvet Steel aber noch nicht anmelden. Sie kann es auch nicht. Sie sagt: „Es ist in manchen Bundesländern noch nicht klar, welche Behörde zuständig ist.“ Sie rechnet damit, dass die Ordnungsämter diese Dienste übernehmen müssen.
Sie rechnet auch damit, dass viele ihrer KollegInnen den Job aufgeben werden. „Manche Frauen sind als Sexarbeitende nicht geoutet“, sagt sie. Deren Familien, die Nachbarn, Freunde wissen nichts vom Job, mit dem „Hurenpass“ könnte der auffliegen. „Die Behörden sind untereinander vernetzt“, sagt sie, „da gibt es immer jemanden, der sich verquatscht.“ Deshalb hat Hamburgs bekannteste Domina, Undine de Rivière, ihr Studio aufgegeben. „Ich weiß nicht, ob sich meine Kolleginnen anmelden“, sagt sie, „ich will das aber auch nicht kontrollieren.“ Sie macht fortan als Soloselbstständige weiter.
In der Sexbranche wird geschätzt, dass sich nur ein Drittel der Prostituierten anmelden. Andere würden ihre Dienste verschleiern als Massage, Personal Training, so was. Wie früher, als Prostitution in Deutschland verboten war. Manche würden illegal arbeiten. Laut Schätzungen soll es zwischen 400.000 und 1.000.000 Sexarbeitende in Deutschland geben und täglich 1,2 Millionen Freier. Den Jahresumsatz der Branche beziffert das Statistische Bundesamt auf 14,6 Milliarden Euro.
Das Gesetz habe, so sieht es Freymadl, weitere Tücken: Prostitutionsstätten wie Bordelle, Swingerklubs, SM-Studios oder Wohnwagen müssen fortan ein Betriebskonzept vorlegen, wenn die Einrichtungen bestehen sollen. In so einem Betriebskonzept steht zum Beispiel, wer Chefin oder Chef im Bordell ist. Darin soll auch stehen, was in der Prostitutionsstätte stattfindet: Bondage, oral, anal, solche Sachen.
Getrennte Toiletten
Das kann man amüsant finden. Oder okay, weil auch jede Currywurstbude so ein Papier vorlegen muss. Mit dem Unterschied, dass das neue Gesetz den Bordellen Auflagen erteilt, die sie vielfach nicht umsetzen können. So muss es fortan getrennte Toiletten für die Prostituierten und die Kunden geben. „Viele Kleinbordelle können allein aus Platzgründen keine zweite Toilette einbauen“, sagt Freymadl. Ebenso müssen die Sexeinrichtungen künftig feuerfeste Türen haben. Freymadl sagt: „Die können viele Sexarbeitende gar nicht bezahlen.“ Die Folge: Drei Viertel der kleinen Bordelle würden schließen müssen, schätzt die Domina.
Und dann ist da noch die Sache mit der Gesundheitsberatung, die das Gesetz zur Pflicht macht. Die sei komplett einseitig, klagt Freymadl: „Freier müssen sich nämlich nicht beraten lassen.“ Dahinter stecke eine abwertende Haltung gegenüber Prostituierten, sagt Freymadl: „Du dumme Nutte, du weißt nicht, was gut für dich ist.“
„Das Gesetz ist unfair“, findet auch Huschke Mau. Aber die Exprostituierte, die das Ausstiegsprojekt Sisters mitgegründet hat, steht auf der anderen Seite. Sie gehört zu den GegnerInnen der Prostitution und möchte, dass Sexarbeit verboten wird. „Prostitution ist Gewalt“, meint sie, „eine Frau hat Sex, obwohl sie es nicht will“.
Absicherung der Frauen und Männer
Mau glaubt, der Staat verbiete Prostitution deshalb nicht, weil er damit leicht Geld verdiene. Mit der Anmeldung würden viele Steuern eingenommen, aber für die Absicherung der Frauen und Männer werde nichts getan. So würden jene, die aussteigen wollen, nicht ohne Weiteres Hartz IV beziehen können. Das Sozialministerium widerspricht: Stimmt nicht.
Einzig die Pflicht zur Gesundheitsberatung hält Mau für „erprobenswert“: „Viele Frauen kennen ihre Rechte nicht und haben auch keinen Kontakt nach außen.“ Die Beratung sei eine Chance, ihnen etwa Kontakt zu Hilfsorganisationen zu verschaffen. Auch gegen Menschenhandel, der oft mit dem Sexgewerbe in Verbindung gebracht wird, werde nicht konsequent vorgegangen, findet Mau.
364 Fälle von Menschenhandel im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung hat das Bundeskriminalamt 2015 festgestellt. Mau sagt: „Die meisten Frauen werden nicht gefunden.“ Freymadl aber hat einen anderen Blick darauf: „Wenn Polizei und Justiz es nicht schaffen, Menschenhandel einzudämmen, wie soll denn ein einziges Gesetz das verhindern?“
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