Prorektorin über Coronahilfen: „Belastungen haben zugenommen“
Die Uni Bielefeld hat Coronahilfen für ihre Nachwuchs-Wissenschaftler*innen aufgelegt. Viele konnten ihre Studien nicht durchführen, sagt die Prorektorin Marie Kaiser.
taz: Frau Kaiser, die Coronapandemie hat auch Promovierende getroffen: Bibliotheken und Labore waren teilweise geschlossen, Forschungsreisen mussten abgesagt werden. An der Uni Bielefeld gibt es nun ein Programm, mit dem Sie angehende Wissenschaftler*innen unterstützen. Wie genau sieht das aus?
Marie Kaiser: Wir haben drei verschiedene Maßnahmen aufgelegt, mit denen wir unsere Nachwuchswissenschaftler*innen unterstützen: Karrierebrücken-Stipendien für Nachwuchswissenschaftler*innen, deren Verträge bis Ende nächsten Jahres auslaufen und die coronabedingte Verzögerungen im Forschungsablauf hatten. Mit Reisestipendien greifen wir denen unter die Arme, die geplante Forschungs- oder Konferenzreisen nicht antreten konnten und dies in diesem oder im nächsten Jahr nachholen wollen. Und mit Sachmittelzuschüssen ermöglichen wir zum Beispiel, eine studentische Hilfskraft einzustellen, die Aufgaben abnehmen kann. 370.000 Euro haben Fakultäten und Rektorat dafür zusammengelegt, 52 Promovierende und 9 Postdoktorand*innen können wir damit fördern.
Vor welchen Herausforderungen stehen Ihre Nachwuchswissenschaftler*innen vor allem?
Einerseits war es für viele nicht möglich, ihre Forschung wie geplant durchzuführen, weil Archive geschlossen waren oder Studien mit Menschen, zum Beispiel an Schulen, nicht möglich waren. Andererseits konnten viele sich nicht dem wissenschaftlichen Arbeiten widmen, weil sie ihre Kinder zu Hause betreuen mussten. Beratungsstellen berichten uns außerdem, dass die psychischen Belastungen der Nachwuchswissenschaftler*innen, die ohnehin schon unter einem enormen Leistungsdruck stehen, zugenommen haben. In der Isolation des Lockdowns kann schon auch die Motivation sinken, wenngleich der Druck weiter hoch bleibt.
Die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen waren auch schon vor der Pandemie prekär …
Hoher Leistungsdruck, befristete Stellen und Unsicherheit in der Lebensplanung gehörten auch schon vor Corona zur Lebensrealität von Nachwuchswissenschaftler*innen. Aber durch die Pandemie sind die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft noch herausfordernder geworden.
Für Studierende hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Überbrückungshilfe aufgelegt. Können davon auch Promotionsstudierende profitieren?
In der Theorie durchaus. Allerdings müssen Sie sich auch die Lebensphase anschauen, in der sich die Promovierenden befinden. Die meisten von ihnen werden etwas angespart haben und kaum die Kriterien der Coronasoforthilfen erfüllen, für die man nicht mehr als 500 Euro auf dem Konto haben darf.
40, ist Professorin für Wissenschaftsphilosophie und seit 2019 Prorektorin für Personalentwicklung und Gleichstellung an der Universität Bielefeld.
Was haben Bund und Landesregierungen getan, um Nachwuchswissenschaftler*innen gezielt zu unterstützen?
Mit der Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes durch den Bund wurde der gesetzliche Rahmen geschaffen, damit die Universitäten die Verträge ihrer Beschäftigten über die Maximalbefristungsdauer hinaus verlängern können. Eigentlich sieht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nämlich vor, dass Beschäftigte an den Unis pro Qualifikationsphase – also während der Promotion oder der Habilitation – in der Regel für maximal sechs Jahre befristet an den Unis beschäftigt werden dürfen. Durch die Gesetzesänderung können die Hochschulen die Verträge ihrer Nachwuchswissenschaftler*innen nun um ein zusätzliches Jahr verlängern.
So weit die gesetzliche Grundlage. Welche Nachwuchswissenschaftler*innen nun tatsächlich eine Verlängerung bekommen und in welchem Umfang, hängt auch davon ab, wie sie sich finanzieren: über Stipendien, eine von der Uni bezahlte Stelle oder durch Drittmittelgeber. Wie sieht es bei denen aus, die von der Uni bezahlt werden?
In Nordrhein-Westfalen wurde den Unis empfohlen, befristete Beschäftigungen um ein Jahr zu verlängern, für Beamte ist die Verlängerung Pflicht. Zusätzliche Gelder wurden dafür allerdings nicht zur Verfügung gestellt. Hier in Bielefeld folgen die Fakultäten vielfach dieser Empfehlung und machen die entsprechenden finanziellen Mittel locker. Unser Programm ergänzt diese Maßnahme der Arbeitsvertragsverlängerungen und hilft auch denjenigen Promovierenden, die nicht an der Uni beschäftigt sind oder deren Arbeitsverträge nicht verlängert werden können.
Und bei Drittmittelprojekten?
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft als Drittmittelgeber verlängert Verträge in der Regel um sechs Monate, wenn diese sonst bis zum Ende diesen Jahres auslaufen würden. Andere Drittmittelgeber folgen ihrem Beispiel, aber leider nicht alle. Zugleich hat es Verzögerungen in der Forschung, aber natürlich auch bei Wissenschaftler*innen gegeben, die noch nicht kurz vor dem Abschluss ihrer Qualifikationsarbeit stehen. Ich habe Sorge, dass die, deren Verträge erst im nächsten oder übernächsten Jahr auslaufen und die auch coronabedingte Nachteile erlitten haben, dann kurz vor dem Abschluss ohne Unterstützung dastehen. Wir als Hochschulen und auch die Drittmittelgeber müssen das im Blick behalten und gegebenenfalls Maßnahmen verlängern bzw. ergänzende Maßnahmen auflegen.
Wäre ein Anspruch auf Coronahilfen für Wissenschaftler*innen angesichts der prekären Arbeitsbedingungen an den Unis nicht angemessen?
Natürlich wäre es zu begrüßen, wenn die Länder zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Aber ich kann auch nachvollziehen, dass die Politik in der aktuellen Situation schauen muss, wo sie Gelder ausschütten kann. Umfassende Coronahilfen für Wissenschaftler*innen hätten ein enormes Finanzvolumen.
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