Projekt „Get Our Stories Back“: Digitales riecht man eben nicht

Vertreter der Chugach aus Alaska begutachten Objekte aus ihrer Heimat im Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem. Und würden sie gerne mitnehmen.

Historische hölzerne Objekte aus dem Ethnologischen Museum Berlin werden während einer Veranstaltung präsentiert. Die früheren unrechtmäßig entnommenen Grabbeigaben stammen aus Chenega Island an der Südküste Alaskas und werden nach einem Beschluss des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz an die Chugach Alaska

Diese einst unrechtmäßig entnommenen Grabbeigaben wurden 2018 an die Chugach übergeben Service Foto: dpa/Ralf Hirschberger

BERLIN taz | Pamela Jean Smith war erst nicht sicher, ob sie kommen wollte. Es ist schließlich ein weiter Weg von Alaska nach Berlin – und was würde sie dort finden? „Ich hatte keine Angst, aber es war einfach nicht real. Mein Volk ist nicht vertraut mit seinen Artefakten. So vieles wurde uns weggenommen“, erzählt die 65-Jährige. Aber nun ist die Älteste vom Stamm (tribe) der Eyak aus Alaska froh, hier zu sein.

Sie hat fern der Heimat Dinge kennen gelernt, die zu ihrer Kultur gehören. Etwa das 20 Zentimeter lange, hölzerne Kajakmodell, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Und sie hat damit begonnen „Verbindung zu ihnen herzustellen“, wie sie sagt. Auf Smith’ Wunsch gab es daher erst einmal eine Zeremonie: Alle haben zusammen gebetet, gesungen und die verlorenen Berliner Objekte gesegnet, wie die Ahnen es von ihr verlangt hätten. „Das war sehr emotional für mich“, erzählt Smith.

Sie und sechs andere Älteste (Elders) von First Nations aus der Chugach-Region sind derzeit auf Einladung des Ethnologischen Museums in Dahlem, um sich die Sammlung von Objekten aus ihrer Heimat in Südalaska anzusehen. Mit dem Projekt „Get Our Stories Back“ will das Museum seine Zusammenarbeit mit Ver­tre­te­r*in­nen der Chugach-Region vertiefen. 2018 hatte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) als Träger des Museums neun Grabbeigaben an die Chugach Alaska Corporation zurückgegeben – sie waren vom Abenteurer und Sammler Johan Adrian Jacobsen aus Gräbern geplündert worden.

Auch die meisten anderen der heute noch 482 Objekte aus der Chugach-Region in Berliner „Besitz“ kamen durch Jacobsen nach Berlin. Der norwegische Seefahrer bereiste in den 1880er Jahren die Pazifikküste von Kanada und Alaska, um im Auftrag des Königlichen Museums für Völkerkunde eine Sammlung aufzubauen. Anhand seiner Reiseberichte könne man heute auch die zum Teil illegalen Methoden nachvollziehen, mit denen er dabei vorging, erklärt Projektkoordinator Hauke Zießler.

Lücken- und fehlerhafte Informationen

Mit dem Projekt soll zum einen das Wissen der Chugach über die Objekte in die Museumsdatenbank aufgenommen werden. Viele Informationen von Jacobsen seien lücken- oder fehlerhaft, erklärt John Johnson, Vizepräsident der Chugach Alaska Corporation. „Einmal hat er über ein Objekt geschrieben, die Chugach würden es in ihrer Sprache ‚gift‘ nennen. Aber sie hatten Jacobsen nur erklären wollen, dass es ein ‚gift‘ (Geschenk) sei!“

Auch über den Zweck mancher Dinge wissen die Ethnologen nicht alles. So klärt Brandon Moonin, Lehrer für die Sprache der Aleuten, Zießler darüber auf, dass die Schalen mit stilisierten Seehund- oder Seevogelköpfen nicht nur als Öllampen dienten, sondern auch zum Essen. „Das Seehund-Öl wurde darauf mit Speisen vermischt und die Schale herumgereicht“, erklärt er.

Aber was haben die Chugach davon, ihr Wissen mit dem Berliner Museum zu teilen? Sie sollen, so die Idee, vom zweiten Teil der Zusammenarbeit profitieren, in dem die Sammlung den Mitgliedern ihrer Communities vor Ort in Alaska zugänglich gemacht wird. Wer nun an umfangreiche Rückgaben denkt, liegt allerdings falsch: Es geht um „digitale Methoden“ und „digitale Lernwerkzeuge“, wie es in der Presseerklärung heißt – wie Scans der Objekte, virtuelle Projekt- und Ausstellungsräume und didaktische Materialien „für indigenes Storytelling“.

Für diese Möglichkeiten zeigt sich der Besuch aus Alaska wiederholt dankbar. Es sei so wichtig, dass die junge Generation mit ihrer Geschichte in Kontakt komme, damit nicht alles vergessen werde, sagt Johnson. Natürlich wäre dies einfacher, wenn man echte Objekte zur Verfügung hätte. „Die Frage von Rückgaben haben wir immer im Hinterkopf“, bestätigt er. „Fotos sind nett, Videos sind nett, aber erst wenn du Dinge aus erster Hand siehst, werden sie real.“ Johnson nimmt eine der Schalen in die Hand und schnuppert daran: „Man kann das Seehund-Öl sogar noch riechen.“

John Johnson, Vizepräsident der Chugach Alaska Corporation

„Die Frage von Rückgaben haben wir immer im Hinterkopf“

Doch ein so großes Vorhaben wie Rückgaben, fährt Johnson fort, brauche viel Zeit, Vertrauen „und ein Gebäude“ – und Letzteres haben sie noch nicht. Immerhin: Das Geld für ein Museum ist vorhanden: Der Konzern ExxonMobil, der für die Ölkatastrophe vor Alaskas Küsten durch einen Tankerunfall 1989 verantwortlich war, habe 20 Millionen Dollar dafür zur Verfügung gestellt.

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