Profifußball als alternativlose Droge: Der Geisterstammtisch
Ist die Bundesliga öde? Woran liegt es? Und warum schauen wir trotzdem immer wieder hin? Ein kleiner Spieltagstalk.
A lina: Ich hatte ja gedacht, dass der Bruch mit dem Männerfußball spannender wäre. Man schmeißt so beziehungskrachmäßig die Fernbedienung an die Wand und das war’s. Aber diese lang erwartete Entfremdung ist ja total unspektakulär. Es schleicht sich so aus. Ach, die spielen heute schon wieder? Wer ist dieser neue Trainer bei Mainz, oder ist der schon seit zwei Jahren da? Man freut sich nicht mal, dass die Bundesliga keinen interessiert, weil es einen halt nicht interessiert.
René: Was mich aber doch überrascht, ist, dass die Motivation der Spieler selbst gar nicht unbedingt sinkt. Ich meine, statt vor 70.000 spielen die jetzt da vor ’n paar Kameras und Betreuern und 0 zahlenden Zuschauern! Und hauen sich trotzdem rein. Sind das Tiere? Sind die gesteuert? Auf Drogen? Psychologisch ist das schon interessant. Es gibt trotz Corona und Geisteratmo keinen offensichtlichen Leistungsabfall. Außer vielleicht bei Schalke.
Alina: Na ja, ein bisschen bräsiger ist es schon. Köln gegen Bayern hätte in einem vollen Müngersdorfer Stadion anders ausgesehen und wäre auch eher mal 2:2 ausgegangen. Aber da ist halt auch dieses irre Pensum schuld. Fußball hat ja mittlerweile etwas von Bahnrad angenommen, er rast und rast im Kreis. Als Spieler kannst du da gar nicht nachdenken oder zur Seite gucken, zack, sonst bist du raus. Diesen Widerspruch zwischen dem strampelnden Fußball und einer Lockdown-Gesellschaft im Stillstand, das ist ja eigentlich hübsch, das könnte mal jemand untersuchen. Und gleichzeitig bewegt er sich halt doch nicht von der Stelle. Die Tabellenspitze ist jetzt schon wieder 1:1 dieselbe wie am Saisonende. Ein Hochgeschwindigkeits-Murmeltiertag.
René: Wobei schon erstaunlich ist, dass da keiner einen Mucks macht. Dass es noch keinen Corona-Deisler gibt oder jemanden, der auf diese Missstände auch mal von innen hinweist. Alle durchneoliberalisiert. Aber ja, du sagtest vorhin: ausschleichen. Die Kehrseite sollte ja sein, dass man sich als Konsument allmählich von der Droge verabschiedet. Sie ausschleicht. Ich weiß aber gar nicht, ob das wirklich passiert. Oder ob man dann doch immer wieder und immer noch hinguckt, ob die Bayern doch mal stolpern und es Dortmund mal schafft, oder wer sich dem Abstiegsdrama hingeben muss. Womit ich ja schon wieder bei Schalke wäre. Bahnrad hast du gesagt. Ein Bahnradfahren, bei dem man immer zugucken muss. Wie einem Mobile über der Wiege.
Alina: Ja, das habe ich mich auch schon gefragt. Ich habe mich ja doch drei Sekunden gefreut, dass Leipzig gepatzt hat und Bayern wieder oben steht. Ich gucke seltener hin und weniger emotional, aber sicher nicht nicht. Wir beide leben ja auch zumindest teilweise davon, hinzugucken, also, wir können uns ganz wörtlich nicht leisten, ganz wegzuschauen. Wie Fußballer eigentlich. Mobile über der Wiege ist ein schönes Bild, wir sind mit diesem Fußball geboren. Und beim Ausschleichen wäre ja die Frage, wohin. Alles existiert in den Strukturen desselben Systems, in DFB, Fifa, IOC, Kapitalismus, außer vielleicht Hütchenspiel. Wir leben quasi als Süchtige in der Meth-Küche. Selbst Hütchenspiel ist schon auch sehr raffgierig. Wohin schleichen wir aus? Und ist das nicht eigentlich auch nur eine Illusion eines Auswegs?
René: Hihi, jetzt wird es schon so richtig philosophisch. Wir sollten so was wie „Trainspotting“ auf Fußball gemünzt schreiben... Es gibt ja die Zurück-zur-Natur-Verfechter. Die meinen, lieber Kreisliga gucken, das wäre noch echter Fußball.
Alina: Oh Gott, da bin ich voll gegen. Diese Romantisierung von Schiri verprügelnden, dicken Männern, die einander mit Bierkästen bestechen und dem Frauenteam keine Platzzeiten geben wollen, das ist doch total regressiv. Aber „Trainspotting“ ist super. Bike-Spotting.
Den Talk führten Alina Schwermer und René Hamann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers