Professorin über Radverkehr: „Öffentlichen Raum neu aufteilen“
Sichere Radwege brauchen laut Deutschlands erster Radprofessorin Jana Kühl Platz. Die Situation der Autofahrenden müsse sich ändern.
taz: Frau Kühl, Sie unterrichten seit November 2020 an der Hochschule Ostfalia als erste Professorin für Radverkehr in Deutschland. Was macht man als Radverkehrsprofessorin?
Jana Kühl: Meine Hauptaufgabe ist es, die Lehre zum Thema Radverkehr auszugestalten. In Theorie und Praxis: Zum Beispiel haben meine Studierenden ein Alltags-Radwegenetz für zwei Gemeinden entworfen. Wir machen uns aber auch gemeinsam darüber Gedanken, welche unterschiedlichen Bedürfnisse im Straßenverkehr bestehen und wie die Verkehrswende mit der Lebensrealität von Menschen auf dem Land, die keine ÖPNV-Anbindung haben, vereinbar ist.
Die ersten zwei Semester sind um. Wie haben die Studierenden reagiert?
Ich bin positiv überrascht, wie interessiert sie das Thema aufgenommen haben. Erst war ich ein bisschen skeptisch, weil die Ostfalia ja in einer sehr automobilgeprägten Region platziert ist. Hinzukommt, dass der Standort der Hochschule wirklich sehr abgelegen und die ÖPNV-Verbindung dahin nicht ernst zu nehmen ist. Wer Interesse an einem nachhaltigen Lebensstil hat, wird wohl eher wo anders studieren. Aber meine Gruppen waren immer voll. Dabei muss hier niemand was über den Radverkehr lernen, alle Kurse dazu sind fakultativ.
36, ist Geografin und lehrt Radverkehrsmanagement an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter.
Wie viel Fahrrad kommt im klassischen Verkehrsmanagementstudium vor?
Bisher haben Kolleg*innen einzelne Projekte zu dem Thema gemacht und versucht, es in die bestehenden Lehrpläne zu integrieren. Aber für die Studierenden ist es häufig ein bisschen Glückssache, ob man was zu Radverkehr hört oder nicht.
Seit der Pandemie hat sich viel in der Entwicklung der Radinfrastruktur getan. Oder?
Ja und nein. Die Infrastruktur zu entwickeln kann man durch politische Entschlossenheit sehr gut beschleunigen – das hat man dank der Pandemie gesehen. So vieles wurde einfach mal ausprobiert und gezeigt: Liebe Leute, es geht, man muss es eben nur wollen! Das war schon toll. Aber jetzt ist die Verstetigung das große Thema. Beispielsweise ist ein Pop-up-Radweg, der an einer Kreuzung endet, problematisch in puncto Sicherheit.
Die Unfallzahlen in Deutschland steigen …
Das liegt auch daran, dass immer mehr Menschen aufs Rad steigen, auch Ältere und Menschen, die lange nicht gefahren sind. Was bedeutet, dass es noch mehr Konflikte gibt: mit dem KfZ-Verkehr, unter Radfahrenden und mit zu Fuß Gehenden.
Was ist die Lösung?
Wir müssen verhandeln, wie wir die öffentlichen Räume neu aufteilen. Um sichere Wege zu schaffen, brauchen wir Platz. Aber gerade in den Städten ist der begrenzt und vielfach auch belegt durch Infrastrukturen, die vor allem auf Automobilität ausgerichtet sind, mit Fußwegen und Radwegen als Nebenanlagen. Diese komfortable Situation der Autofahrenden werden wir zugunsten anderer Verkehrsteilnehmer ändern müssen.
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Der neue Nationale Radverkehrsplan vom April klingt, als ob er das auch will.
Ich finde auch, dass ganz zentrale Themen und Aspekte aufgegriffen werden. Zum Beispiel taucht das unsagbare Wort der Neuaufteilung des öffentlichen Raums auf. Es ist schon ein Fortschritt, dass das Bundesministerium sich öffentlich zum Radverkehr bekennt und einen Wandel der Mobilitätskultur anspricht. Aber: Es bleibt alles sehr vage und unverbindlich.
Inwiefern?
Als Kommune habe ich noch immer die Möglichkeit, gar nichts für den Radverkehr zu tun. Es gibt keinerlei Verbindlichkeit, bestimmte Problemsituationen wie plötzlich endende Radwege komplett zu beseitigen. Aber eigentlich bräuchte es eine verbindlichere Planung ebenso wie konkrete Ziele.
Schön, dass wir mehr Kilometer radeln sollen – aber was heißt das zum Beispiel für die Infrastrukturangebote? Und das zweite ist: Die Umsetzung scheitert an personellen Kapazitäten, weil Radverkehr oft unter ferner liefen mitbearbeitet wird. Aber so lassen sich die Anforderungen an die Radverkehrsplanung nicht erfüllen. Da müssen Personalstellen und unbürokratisch Mittel verfügbar gemacht werden.
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Bund, Länder oder Kommunen – wer entscheidet, wie es um die Radwege steht?
Das kommt darauf an. Wenn es darum geht, Bundes- und Landesstraßen auszubauen, beauftragt der Bund das Land. Für Radwege entlang der kommunalen Straßen sind die Kommunen zuständig. Radwege nur als Zusatz zu bestehenden Straßen zu denken ist aber schon eines der Probleme. Eigentlich ist es viel sinnvoller, auch außerhalb dieser Hauptverkehrsachsen Radschnellwege zu bauen oder bestehende Wege abseits der Hauptstraßen zu ertüchtigen.
Was sollte die neue Bundesregierung als erstes für den Radverkehr tun?
Wir brauchen neue Standards für Radinfrastrukturen, damit Radfahren sicher und zur Selbstverständlichkeit wird. Dazu gehört neben der Radwegeoptimierung zum Beispiel auch, Radwege konsequent von parkenden PKW freizuhalten und Gefahrenstellen präventiv zu beseitigen.
Sie sind selbst leidenschaftliche Fahrradfahrerin?
Auf jeden Fall! Wenn ich die Wahl habe, fahre ich am liebsten außerhalb des Autoverkehrs – dort, wo es schön ist. Aber das ist dann eher was für die Freizeit. Im Alltag muss man es dann eben häufig hinnehmen, dass die Wege nicht ganz optimal sind.
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