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Professorin über Radverkehr„Öffentlichen Raum neu aufteilen“

Sichere Radwege brauchen laut Deutschlands erster Radprofessorin Jana Kühl Platz. Die Situation der Autofahrenden müsse sich ändern.

Bisher verkehrte Welt: Rad­fah­re­r*in­nen in Berlin bei der Sternfahrt des ADFC Foto: Sebastian Wells
Interview von Franziska Schindler

taz: Frau Kühl, Sie unterrichten seit November 2020 an der Hochschule Ostfalia als erste Professorin für Radverkehr in Deutschland. Was macht man als Radverkehrsprofessorin?

Jana Kühl: Meine Hauptaufgabe ist es, die Lehre zum Thema Radverkehr auszugestalten. In Theorie und Praxis: Zum Beispiel haben meine Studierenden ein Alltags-Radwegenetz für zwei Gemeinden entworfen. Wir machen uns aber auch gemeinsam darüber Gedanken, welche unterschiedlichen Bedürfnisse im Straßenverkehr bestehen und wie die Verkehrswende mit der Lebensrealität von Menschen auf dem Land, die keine ÖPNV-Anbindung haben, vereinbar ist.

Die ersten zwei Semester sind um. Wie haben die Studierenden reagiert?

Ich bin positiv überrascht, wie interessiert sie das Thema aufgenommen haben. Erst war ich ein bisschen skeptisch, weil die Ostfalia ja in einer sehr automobilgeprägten Region platziert ist. Hinzukommt, dass der Standort der Hochschule wirklich sehr abgelegen und die ÖPNV-Verbindung dahin nicht ernst zu nehmen ist. Wer Interesse an einem nachhaltigen Lebensstil hat, wird wohl eher wo anders studieren. Aber meine Gruppen waren immer voll. Dabei muss hier niemand was über den Radverkehr lernen, alle Kurse dazu sind fakultativ.

Ostfalia/M.Nickel
Im Interview: Jana Kühl

36, ist Geografin und lehrt Radverkehrsmanagement an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter.

Wie viel Fahrrad kommt im klassischen Verkehrsmanagementstudium vor?

Bisher haben Kol­le­g*in­nen einzelne Projekte zu dem Thema gemacht und versucht, es in die bestehenden Lehrpläne zu integrieren. Aber für die Studierenden ist es häufig ein bisschen Glückssache, ob man was zu Radverkehr hört oder nicht.

Seit der Pandemie hat sich viel in der Entwicklung der Radinfrastruktur getan. Oder?

Ja und nein. Die Infrastruktur zu entwickeln kann man durch politische Entschlossenheit sehr gut beschleunigen – das hat man dank der Pandemie gesehen. So vieles wurde einfach mal ausprobiert und gezeigt: Liebe Leute, es geht, man muss es eben nur wollen! Das war schon toll. Aber jetzt ist die Verstetigung das große Thema. Beispielsweise ist ein Pop-up-Radweg, der an einer Kreuzung endet, problematisch in puncto Sicherheit.

Die Unfallzahlen in Deutschland steigen …

Das liegt auch daran, dass immer mehr Menschen aufs Rad steigen, auch Ältere und Menschen, die lange nicht gefahren sind. Was bedeutet, dass es noch mehr Konflikte gibt: mit dem KfZ-Verkehr, unter Radfahrenden und mit zu Fuß Gehenden.

Was ist die Lösung?

Wir müssen verhandeln, wie wir die öffentlichen Räume neu aufteilen. Um sichere Wege zu schaffen, brauchen wir Platz. Aber gerade in den Städten ist der begrenzt und vielfach auch belegt durch Infrastrukturen, die vor allem auf Automobilität ausgerichtet sind, mit Fußwegen und Radwegen als Nebenanlagen. Diese komfortable Situation der Autofahrenden werden wir zugunsten anderer Verkehrsteilnehmer ändern müssen.

Themenwoche Straßenkampf

Die Bundestagswahl ist eine Klimawahl. Ab dem 28. Juni stellen wir deswegen eine Woche unsere Berichterstattung unter den Fokus Mobilitätswende: Straßenkampf – Warum es eine Frage der Gerechtigkeit ist, wie wir mobil sind. Alle Texte: taz.de/klima

Der neue Nationale Radverkehrsplan vom April klingt, als ob er das auch will.

Ich finde auch, dass ganz zentrale Themen und Aspekte aufgegriffen werden. Zum Beispiel taucht das unsagbare Wort der Neuaufteilung des öffentlichen Raums auf. Es ist schon ein Fortschritt, dass das Bundesministerium sich öffentlich zum Radverkehr bekennt und einen Wandel der Mobilitätskultur anspricht. Aber: Es bleibt alles sehr vage und unverbindlich.

Inwiefern?

Als Kommune habe ich noch immer die Möglichkeit, gar nichts für den Radverkehr zu tun. Es gibt keinerlei Verbindlichkeit, bestimmte Problemsituationen wie plötzlich endende Radwege komplett zu beseitigen. Aber eigentlich bräuchte es eine verbindlichere Planung ebenso wie konkrete Ziele.

Schön, dass wir mehr Kilometer radeln sollen – aber was heißt das zum Beispiel für die Infrastrukturangebote? Und das zweite ist: Die Umsetzung scheitert an personellen Kapazitäten, weil Radverkehr oft unter ferner liefen mitbearbeitet wird. Aber so lassen sich die Anforderungen an die Radverkehrsplanung nicht erfüllen. Da müssen Personalstellen und unbürokratisch Mittel verfügbar gemacht werden.

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Bund, Länder oder Kommunen – wer entscheidet, wie es um die Radwege steht?

Das kommt darauf an. Wenn es darum geht, Bundes- und Landesstraßen auszubauen, beauftragt der Bund das Land. Für Radwege entlang der kommunalen Straßen sind die Kommunen zuständig. Radwege nur als Zusatz zu bestehenden Straßen zu denken ist aber schon eines der Probleme. Eigentlich ist es viel sinnvoller, auch außerhalb dieser Hauptverkehrsachsen Radschnellwege zu bauen oder bestehende Wege abseits der Hauptstraßen zu ertüchtigen.

Was sollte die neue Bundesregierung als erstes für den Radverkehr tun?

Wir brauchen neue Standards für Radinfrastrukturen, damit Radfahren sicher und zur Selbstverständlichkeit wird. Dazu gehört neben der Radwegeoptimierung zum Beispiel auch, Radwege konsequent von parkenden PKW freizuhalten und Gefahrenstellen präventiv zu beseitigen.

Sie sind selbst leidenschaftliche Fahrradfahrerin?

Auf jeden Fall! Wenn ich die Wahl habe, fahre ich am liebsten außerhalb des Autoverkehrs – dort, wo es schön ist. Aber das ist dann eher was für die Freizeit. Im Alltag muss man es dann eben häufig hinnehmen, dass die Wege nicht ganz optimal sind.

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6 Kommentare

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  • Die Forderung nach mehr Radwegen geht im Wesentlichen in eine falsche Richtung.



    Radwege sorgen nicht für eine größere Sicherheit für Radler*innen.



    Im Gegenteil: Auf Radwegen, bzw auf Radverkehrs-Führungen, die wesentlich auf Radwegen beruhen, sind Radler*innen signifikant höher gefährdet, als im Mischverkehr auf den Fahrbahnen der Straßen.



    Radwege wurden in Deutschland seit den 30er Jahren und bis Heute gebaut, um die Fahrbahnen von "lästigen" Fahrrädern frei zu halten, und nicht um mehr Sichereit für Radler*innen zu gewährleisten.

  • Die skizzierte Lösung ("Diese komfortable Situation der Autofahrenden werden wir zugunsten anderer Verkehrsteilnehmer ändern müssen.") ist völlig richtig und muß Vorrang haben vor allen kosmetischen Verbesserungen wie dem (Aus-)Bau von Radwegen. Verkehrsflächen sind für alle da und sollten für die Schwächsten sicher genug sein. Das lässt sich auf 90% der Stadtstraßen realisieren durch Rückbau von Fuß- und Radwegen, gemeinsame Nutzung von Verkehrsflächen, Reduzierung der Parkplatzflächen und eine konsequente Gesetzgebung und Rechtssprechung zugunsten der verletzbarsten Verkehrsteilnehmer.

  • Die Grafik zeigt schön, wie die Realität so in Deutschland ist. Meine Eltern wohnen in Rhein-Land-Pfalz. Weg zum Arzt minimum 12 Kilometer. Einkaufen, Minium, 10 Kilometer Steigungen und Gefälle von mehrfach 7-10 % dazwischen. Ohne E-Motor für Menschen jenseits der 80 Jahre also kaum zu bewältigen. Es bleibt nur das Auto übrig.

    Der Fokus der Regierungen liegt immer auf den Großstädten, wobei dort der öffentliche Nahverkehr wie auch die Erreichbarkeit so gegeben sind, dass man meist einfach kein Auto mehr benötigt. Aber "Hallo in Berlin?", es gibt das "platte" Land. Wir müssen weg von den Gedanken, dass weniger Autos in Städten = Eine positive Gesamtentwicklung nach sich ziehen würden. In Frankfurt war das schon zu meinen Arbeitszeiten dort gang und gäbe. Park and Ride.

    Damit weniger Autos in die Innenstadt fahren, sollte man vor der Stadt auf riesigen Parkflächen den Pkw abstellen und dann mit S-Bahnen, Bus usw. in die Stadt fahren. Ergebnis waren einfach nur weitere Verzögerungen und das man oftmals noch später nach Hause gekommen ist, als man eh schon angekommen wäre.

    Die Menschen würden, auch wenn Sie von weiter anreisen, auf den Pkw verzichten, wenn Bus und Bahn so pünktlich und zuverlässig verkehren würden, das man auch zu 100 % pünktlich und mit dem gleichen Zeitaufwand ankommen würde.

    Ich bin später ewig lange Bahn + Rad gefahren. In einer fahrradfreundlichen Stadt wohlgemerkt.

    Die Realität: Faltrad Diskussionen mit dem Schaffner wegen Mitnahme. Danach Stellplatz am Bahnhof und nach mehrmaligen Vandalismus, das Rad in einer Radstation untergebracht.

    Monatliche Extrakosten, Schweiß und jeden Tag bei Wind und wetter gefahren. Irgendwann auf das Auto umgestiegen, da dieses definitiv bequemer und zuverlässiger ist. Also Umstellen der Städte zu mehr Fahrrad? Dann sorgt dafür das erst einmal der ÖPNV funktioniert in Kopplung mit dem Rad. Radwege, Parkräume usw. sind schnell gebaut!

    • @VigarLunaris:

      Keine Frage, die Fahrrad-Nutzung hängt auch ganz erheblich von der Topographie der Landschaft ab.



      Wobei gerade für diese Herausforderung die Erfindung der Pedelecs eine wirklich geniale Lösung bietet.



      Faltrad: Diskussionen /ob/ es mitgenommen werden kann sind seit mehreren Jahren und in Nahverkehrs-/ Regionalzügen sowiso, erledigt.



      Ich nehme meinen Falter z.b. auch im ICE regelmäßig mit und Diskussionen gibt es nur noch höchst selten, z.b. bei ignorantem Personal, ob ich das Rad, zwecks einfachem 'raustragen schon bei der Einfahrt in den Bahnhof ausfalten darf, oder es gefaltet und damit die Packtaschen separat vom Zug auf den Bahnsteig tragen muss.

    • @VigarLunaris:

      "Dann sorgt dafür das erst einmal ..."



      Und was wenn nicht? Wenn, ja wer denn eigentlich? Die da Oben, die Politik, die die nun mal dafür zuständig sind bzw. von ihnen für zuständig gehalten werden, eben nicht dafür sorgen können oder wollen, dass die Dinge erst einmal so geregelt werden wie sie es gern hätten? Ist das dann die Rechtfertigung dafür einfach immer so weiter zu machen wie bisher und sein Verhalten und Lebensstil nicht so anzupassen wie es zur Begrenzung des Klimawandels notwendig wäre auch wenn das in der Konsequenz auf eine Erderwärmung von 3,4 bis 5,5° bis 2100 und darüber hinaus noch mehr bedeutet?

  • Alles aufs Rad zu setzen bedeutet zwangsläufig die Innenstädte noch weiter unter Druck zu setzen.



    Radfahrer und ÖPNV-Nutzer machen definitiv deutlich weniger Umsatz - das verwundert ja auch nicht denn die Transportkapazität ist halt deutlich geringer.

    Der stationäre Handel ist durch den Online-Boom ohnehin schon stark geschwächt - und wenn dann der Einkauf im stationären Handel noch unattraktiver wird ist es mit vielen Läden schlicht aus und vorbei.



    (Oder was glauben sie, warum die Innenstädte langsam aber sicher verwaisen)

    Also hat es keinen Sinn die Autonutzung unattraktiver zu machen ohne Alternativen in den Innenstäden bereitzustellen. Man muss den ÖPNV und die Radnutzung zumindest attraktiver machen. Breite und mehr Radwege entlang der Einfallstrassen sind dabei natürlich reine Augenwischerei (und das wissen auch alle Beteiligten)

    Helfen würden z.B. Radwege in den Fußgängerzonen, kostengünstigen oder gar kostenlosen Lieferservice der lokalen Geschäfte durch lokale Dienstleister, flexibelere und häufigere Bustakte. Wohlfühlzonen in den Innenstädten in denen man "verzehrfrei" rasten kann usw.

    Und dabei darf man nicht vergessen, dass die Parkraumbewirtschaftung für die meisten Städte eine mehr als willkommene Einnahmequelle ist - der ÖNPV und Radverkehr hingegen ein Zuschußgeschäft ist.

    Aber das sind alles alte Kamellen - nur will sie keiner wirklich sehen.