Probleme mit Approbationen in Berlin: Steine in den Weg gelegt
Ein Zahnarzt aus Syrien darf nach drei Jahren Anstellung nicht mehr arbeiten. Die Berufserlaubnis gilt nur drei Jahre. Über einen Berliner Sonderweg.
Doch seit mehreren Monaten ist A. nun arbeitslos – nicht, weil er entlassen wurde, sondern weil er nicht mehr arbeiten darf. Denn die Berufserlaubnis ist auf maximal drei Jahre befristet. Und eine Approbation, also die offizielle Anerkennung als Zahnarzt, will das Lageso dem aus seiner Heimat Geflüchteten nicht erteilen.
Im Sommer 2015 sind Hunderttausende Menschen auf der Suche nach Schutz nach Deutschland und in andere Länder Europas geflohen. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich vor die Kameras und versprach: „Wir schaffen das.“ Was ist seither passiert? Was haben „wir“ geschafft? Wie geht es den Menschen heute? Ein taz-Dossier über Flucht und Ankunft. Alle Texte finden Sie in unserem Schwerpunkt Flucht: taz.de/flucht
Human- und Zahnmediziner unter den syrischen Geflüchteten, die seit 2014 nach Berlin kamen, müssen, wie alle Ärzte, die im außereuropäischen Ausland studiert haben, ihre Ausbildung in Deutschland einer Gleichwertigkeitsprüfung unterziehen. Das Verfahren dazu ist in jedem Bundesland anders. In Berlin ist das Lageso die zuständige Behörde, auch für die Organisation und Durchführung der Kenntnisprüfung, die die Mediziner*innen ablegen müssen, deren Ausbildung vom Lageso nicht allein aufgrund ihrer Zeugnisse und anderer Dokumente als gleichwertig anerkannt wird.
In der Humanmedizin bestünden die meisten Teilnehmer*innen diese Prüfung, sagt Bassel Allozy. „Im zahnmedizinischen Bereich liegt die Durchfallquote allerdings bei 80 bis 90 Prozent.“ Es sei aber in beiden Fällen „immer ein bisschen Glückssache, bei wem man geprüft wird, denn die Prüfung ist nicht standardisiert“. Allozy stammt selbst aus Syrien, kam aber bereits als Student nach Deutschland. Heute berät der in Berlin niedergelassene Psychiater und Psychotherapeut mit seinem Verein Alkawakibi geflüchtete syrische Mediziner*innen.
Die Bundesagentur für Arbeit weist für Berlin im August 2015 3.188 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus den hauptsächlichen Asylherkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria und Syrien aus. Bis zum Dezember 2019 stieg deren Anzahl auf 16.804.
Die Zahl der Arbeitslosen bzw. Arbeitsuchenden aus diesen Herkunftsländern lag im August 2015 bei 4.042, im Dezember 2019 bei 10.752 Personen.
Von den erfassten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verfügt ein knappes Viertel (24,3 Prozent) über einen akademischen Berufsabschluss. Am höchsten ist dieser Anteil bei den Geflüchteten aus dem Iran (44,3 Prozent), Pakistan (40,2 Prozent) und Nigeria (25 Prozent). Bei den Syrer*innen, der zahlenmäßig größten Gruppe in der Kategorie Asylherkunftsländer, sind es 21,4 Prozent. Die Prozentangaben beziehen sich nicht auf den Anteil von Akademiker*innen an diesen Flüchtlingsgruppen generell, sondern nur auf die, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen gefunden haben. (akw)
Mehr als das Vierfache an Kosten
Höchstens drei Mal dürfen Ärzt*innen in Berlin an der Kenntnisprüfung teilnehmen. Wer dann nicht bestanden hat, hat nur in einem anderem Bundes- oder EU-Land noch die Chance auf Anerkennung seiner Qualifikation. Während die Kosten für die Prüfung bei den Humanmediziner*innen 450 Euro betragen, müssen Zahnärzt*innen jeweils 1.950 Euro bezahlen – mehr als das Vierfache. Das Lageso erklärt dies mit „dem hohen Aufwand, insbesondere auch Materialbedarf für die klinisch-praktischen Prüfungsteile“.
Weiter teilt das Amt auf taz-Anfrage mit: „Zwischen dem 01.01.2015 und dem 31.12.2019 haben nach Auswertung der im Fachverfahren erfassten Daten insgesamt 387 Ärzte und Ärztinnen mit syrischer Staatsangehörigkeit und syrischer Ausbildung einen Antrag auf Erteilung einer Approbation gestellt.“ Für Antragsteller aus diesem Zeitraum seien 213 Approbationen erteilt worden. Von dem im selben Zeitraum eingegangenen Approbationsanträgen syrischer Zahnärzt*innen wurden demnach bislang positiv 22 beschieden: 17 Prozent gegenüber 55 Prozent bei den Humanmediziner*innen.
Hier gehe es eben „nicht um Gleichwertigkeit ausländischer Qualifikationen, sondern um deutsche Arbeitsmarktpolitik“, sagt einer, der selbst im Auftrag des Senats Geflüchtete bei der Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse berät und deshalb namentlich nicht in der Zeitung stehen will. Bei den Zahnärzten sei schlicht der Fachkräftemangel nicht so groß wie bei Humanmedizinern, die in deutschen Krankenhäusern dringend gebracht würden.
In dieselbe Richtung denkt Bassel Allozy: „Wir vermuten, dass die Kammern nicht so viele neue Zahnärzte auf den Markt lassen wollen“, sagt er. Anders als bei Humanmedizinern könne bei den Zahnärzten jeder eine Praxis eröffnen, der eine Zulassung bekäme: „Und wenn viele neue Kollegen diese Möglichkeit nutzten, stiege die Konkurrenz.“
Zahnärztekammer mit Situation nicht glücklich
Eine Nachfrage bei der Berliner Zahnärztekammer bestätigt dies allerdings nicht. Auch dort sei man mit der Situation nicht glücklich, zuständiges Amt sei jedoch das Lageso, erklärt deren Vizepräsident Michael Dreyer schriftlich: „Die Zahnärztekammer Berlin ist mit der geringen Bestehensquote bei der Gleichwertigkeitsprüfung nicht zufrieden, hat aber weder Einfluss auf das Prüfgeschehen, noch auf dessen Kosten oder auf die Wartezeiten im Rahmen des allein vom Lageso durchgeführten Verfahrens.“
Berlin sei das einzige Bundesland, bei dem die Durchführung der Gleichwertigkeitsprüfung der fachlichen Überprüfung durch die Zahnärztekammer ausgegliedert worden sei. Man bedauere das, so Dreyer, sei aber mit Versuchen, das zu ändern, „bisher nicht erfolgreich“. 84 Stellenangebote für Zahnärzt*innen in Berlin standen Ende Juli auf der Webseite der Kammer 58 Suchenden gegenüber.
Bashar A. will sich nun auf die Kenntnisprüfung vorbereiten, obwohl er Angst hat, dass er, wie er es von vielen anderen gehört hat, auch erst beim dritten Versuch bestehen wird: „Dann verliere ich wieder viel Zeit!“ Prüfungstermine gibt es nur zwei Mal im Jahr. Seinen Traum, noch eine Facharztausbildung zu machen, sieht der mittlerweile Anfang 30-Jährige deshalb schwinden.
Doch erneut flüchten, diesmal vor dem Lageso, kommt für ihn nicht infrage: „Ich habe Stellenangebote hier“, sagt er. Die Praxis, in der er zuletzt arbeitete, würde ihn gerne weiter beschäftigen, sagt A., eine Klinik habe ihm die gewünschte Facharztausbildung angeboten.
Und in einem anderen arabischen Land arbeiten, wie A. es nach seiner Flucht aus Syrien kurz getan hat, könnte er mittlerweile auch nicht mehr: „Zwar würde meine Ausbildung dort anerkannt, aber mein syrischer Pass ist abgelaufen.“ Den kann er als anerkannter Flüchtling nicht verlängern lassen. Und auf den deutschen Pass, den A. als Berufstätiger bereits hätte beantragen können, hat er als Arbeitsloser keine Chance mehr: ein Zahnarzt in der Sackgasse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach