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Pro und ContraSind die Austritte bei der Linkspartei gerechtfertigt?

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter und Stefan Alberti

Prägende Gesichter haben die Linke verlassen. Ist das angesichts der Antisemitismus-Debatte konsequent? Oder Zeichen mangelnder Kompromissfähigkeit?

Ja

A ustritt. Nichts anderes blieb Klaus Lederer und den anderen prominenten Landespolitikern der Linkspartei übrig, die nun jene Partei verlassen haben, der sie jahrzehntelang angehörten. Ob links, mittig oder rechts im Parlament: Wer guten Gewissens in den Spiegel gucken will, kann nicht in einer Partei bleiben, die sich a) nicht ausdrücklich von Antisemitismus auch in den eigenen Reihen distanziert und b) nicht rechtsstaatlich dagegen vorgehen mag.

Die Zukunft Israels und der Schutz von Jüdinnen und Juden in Berlin ist kein beliebiges Streitthema, bei dem es zum demokratischen Verfahren gehört, auch eine anders ausfallende Parteitagsmehrheit zu akzeptieren. Es geht nicht um ein Bauprojekt oder Haushaltsfragen, es geht um eine Grundhaltung zu einer untrennbar mit der deutschen Geschichte verbundenen Frage: Steht die Partei tatsächlich klar gegen jeglichen Antisemitismus?

Nach dem Verlauf des jüngsten Landesparteitags und einer Landesvorstandssitzung am Dienstag kann die Antwort nur sein: Nein. Da erklärte sich die Parteispitze ausdrücklich mit denen solidarisch, die beim Parteitag für eine Entkernung jenes Antrags sorgten, mit dem Lederer und andere jeglichen Antisemitismus verurteilten. Beantragt hatten die verwässernden Änderungen unter anderem zwei Mitglieder der Abgeordnetenhausfraktion und eine Bezirksstadträtin.

Manche Reaktionen auf das Geschehen arbeiteten sich am Begriff „eliminatorischer Antisemitismus“ ab, mit dem – so der Vorwurf – die Gruppe um Lederer die Shoah verharmlose. Bezug wurde genommen zum US-Autor Daniel Jonah Goldhagen und seinen Bestseller von 1997 „Hitlers willige Vollstrecker“. Alles interessant, aber – wie es die neue Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner in einem Interview sagte – „was für ein akademisches Fachseminar“.

Änderung zentraler Antragspassagen

Fakt ist: Eine Mehrheit der Delegierten stellte sich beim Parteitag hinter drei zentrale Änderungen. So fiel die Formulierung raus, jüdische Menschen „unter Einsatz rechtsstaatlicher Mittel“ zu schützen, genauso wie „konsequente Strafverfolgung“. Aus der Formulierung „sich politisch links verortende Menschen in Berlin“ hätten das Massaker vom 7. Oktober relativiert und mitunter gefeiert, wurde nur „Menschen in Berlin“.

In so einem Umfeld zu bleiben wäre Selbstverleugnung gewesen. Dass etwa Fraktions­chefin Anne Helm nicht ausgetreten ist, die den Lederer-Antrag unterstützte, mag ein Versuch sein, die Partei nicht ganz anderen zu überlassen. Das kann man honorig nennen. Doch letztlich stützt sie so als eines der wenigen verbliebenen breiter bekannten Gesichter nur eine desaströse Entwicklung.

Die Hoffnung kann bloß sein, dass das geballte Potenzial dreier teils noch 2023 im Senat sitzender, überparteilich anerkannter Ex-Senatoren und weiterer kluger Köpfe Berlin in einer neuen politischen Heimat erhalten bleibt.

Konkrete Nutznießerin ist allein die CDU: Mit dem Austritt jener, die vorrangig für die „Regierungslinke“ standen, ist im Abgeordnetenhaus für den Fall eines Zoffs mit der SPD die rechnerische Koalitionsalternative Rot-Grün-Rot kein Thema mehr. Stefan Alberti

Nein

Nun ist es also doch passiert: Die Debatte um Nahost und Antisemitismus, die die gesellschaftliche Linke sefit einem Jahr zerlegt, hat nun mit Verzögerung auch die Partei Die Linke voll erwischt. Zwar hatte der Bundesparteitag am Wochenende in Halle noch einen durchaus tragfähigen Kompromiss gefunden, doch der angestaute Frust war für einige Mitglieder dann doch zu groß.

Nach dem Austritt von Henriette Quade in Sachsen-Anhalt verabschiedeten sich am Mittwoch die ehemalige Führungsriege der Berliner Linken: die Ex-Senatoren Klaus Lederer, Elke Breitenbach und Sebastian Scheel, sowie Ex-Fraktionschef Carsten Schatz und der Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg. Sie reagierten damit auf einen Streit um einen Antisemitismus-Antrag, der auf dem Landesparteitag vor anderthalb Wochen eskaliert war.

Mitten in der größten Krise der Partei reißen die fünf, die dem parteirechten Reformerlager angehören, damit einen der letzten stabilen Landesverbände in den Abgrund. Sie werden zu Kronzeugen für das Zerrbild einer Linken mit Antisemitismusproblem, das die politische Konkurrenz und die mediale Öffentlichkeit so begierig aufgreift. Konservativen und Rechten kommt es gelegen, um sich selbst von jedem Antisemitismusverdacht reinzuwaschen.

Die Ausgetretenen selbst, für die allesamt Israel-Solidarität politisch identitätsstiftend ist, haben ein Bild von der Linken vor Augen, das einer nüchternen Überprüfung nicht standhält. Denn Programmatik und Beschlusslage der Partei sind eindeutig, sowohl bundesweit als auch in Berlin: Antisemitismus wird darin immer und immer wieder entschieden entgegengetreten. Auch prominente Parteimitglieder, die Grenzen überschritten hätten, sind Mangelware. Was es dagegen gibt, sind vereinzelte Mitglieder in Kreisverbänden, die in ihrer blinden Solidarität mit Palästina auch Antisemitismus reproduzieren.

Krisen-Sondersitzung des Vorstands

Richtig ist auch: Die vom Landesvorstand der Berliner Linken in einer Krisen-Sondersitzung am Dienstagabend beschlossene Distanzierung von jenen, die den Hamas-Terror als Widerstand verharmlosen, hätte früher kommen müssen. Dass andererseits aber auch jene Mitglieder verteidigt wurden, die für eine palästinensische Parteinahme mit pauschalen Antisemitismusvorwürfen überzogen werden, ist aber genauso richtig für eine plurale Partei, die um den richtigen Kurs ringt, statt bloß einer Staatsräson zu folgen.

Ein linker Standpunkt denkt den Kampf gegen Antisemitismus zusammen mit der Kritik an Israels entgrenztem Krieg: er macht keinen Unterschied zwischen den Opfern auf beiden Seiten. Es ist zum Verzweifeln, wenn Linke an dieser Erkenntnis scheitern – unabhängig davon, aus welcher Richtung sie auf den Konflikt blicken.

Der Austritt irritiert auch, weil er ohne echte politische Perspektive erfolgt; die Ausgetretenen wollen Teil der Linksfraktion bleiben und hoffen, sich irgendwann wieder in einer erneuerten sozialistischen Partei zu engagieren, wie sie schreiben. Doch das Fortbestehen einer Linken in diesem Land ist mit dem Austritt nicht wahrscheinlicher geworden. Dabei wäre sie nötiger denn je.

Erik Peter

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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2 Kommentare

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  • Muss man/Die Linke Position beziehen? Ja! Aber sie muss nicht in die Falle der Rechthaberei und für die eine oder andere Seite Partei ergreifen, sondern Konsequent für friedliches Miteinander und solidarische Kooperation zwischen allen Völkern und Staaten eintreten. Auch die Forderung nach Gewaltfreiheit steht dann nicht mehr zur Disposition.

    Die Beziehungen zwischen Israel und Palästina, Israelis und Palästinensern sind von Dissens gekennzeichnet. Wer die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt beenden will, darf nicht nach deren Rechtmäßigkeit fragen, er muss von allen Konfliktparteien mehr konkrete Anstrengungen für ein friedliches Mit- oder mindestens Nebeneinander einfordern. Dritte können da nur als ModeratorInnen fungieren, die Bereitschaft zum Dialog muss von Beteiligten kommen und der Dialog von ihnen geführt. Wer einseitig Postion bezieht, die Rechte der einen gegen die der anderen ausspielt, hat sich bereits als Moderator delegitimiert. Die Antisemitismus-Definition der IHRA macht genau diesen Fehler und sie macht fast jeden kritischen Dialog mit einem Staat Israel, der durch die Regierung Netanjahu repräsentiert wird, unmöglich.

  • Letztendlich ist es doch lediglich eine Trennung von unterschiedlichen politischen Interessen. Ohne gemeinsame Ziele auch keine gemeinsame Partei. Es sind die Fehler der Vergangenheit, die sich hier auswirken.