Pro und Contra Abrisspolitik: Kann der Koloss an der Urania weg?
Der einstige Sitz des Landesrechnungshofs in Schöneberg gilt als Ikone der Nachkriegsmoderne und soll demnächst abgerissen werden. Muss das sein?
J a
Hier also soll Wohnungsbau in großem Stile auch nicht möglich sein. Diesmal nicht wegen Artenschutz oder Freizeitfläche, sondern weil angeblich eine „Ikone der Berliner Architektur“ verloren zu gehen droht, die unbedingt zu erhalten sei. Schauen wir doch mal vorbei an der Urania 4–10 im nördlichen Schöneberg: zehn Stockwerke und das, was sich durchaus als schmucklose Fassade bezeichnen ließe – wobei „schmucklos“ natürlich genauso interpretierbar ist wie der Begriff „Ikone“.
Hätte Berlin Platz für Wohnungsbau im Überfluss, könnte man es sich vielleicht leisten, auch an derartige Architektur zu erinnern. Berlin hat diesen Platz aber nicht. Oder genauer: nur in beschränktem Maße. Ja, man könnte ihn Privaten wegzunehmen versuchen, könnte enteignen. Doch für Wohnungen stünde dieser Platz, wenn überhaupt, erst nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten zur Verfügung.
Auf dem Gelände an der Urania ist das anders: Es gehört dem Land, niemand ist rauszuklagen oder rauszukaufen. Auf einen zügigen Abriss soll schnell auch eine Wohnbebauung folgen. Die Berliner Immobilienmanagement (BIM), eine Art Kümmerin für die rund 1.800 landeseigenen Immobilien, hat vor einigen Wochen sehr anschaulich gemacht, dass nur ein kleiner Teil der geplanten Wohnungen entstehen könnte, bliebe das Ex-Bürogebäude stehen.
Es wirkt in aktuellen Debatten nicht so, als sei Wohnungsnot wirklich berlinweit als das die meisten Menschen der Stadt bewegende Thema anerkannt. Bausenator Christian Gaebler (SPD) bekam jüngst vom Umweltverband Nabu vorgehalten, er wolle die „Axt an das Naturschutzrecht legen“. Tatsächlich bastelt die schwarz-rote Koalition an einem Schneller-bauen-Gesetz und will nach eigener Aussage bloß Landesrecht der Bundesgesetzgebung angleichen, was schnelleres Planen und Bauen ermöglichen soll.
Demonstration Ein Bündnis aus Architekt:innen, Stadtplaner:innen und Umweltschützer:innen demonstrierte am Samstag gegen den geplanten Abriss des ehemaligen Bürohauses An der Urania 4–10 in Schöneberg.
Leerstand Der 1967 fertiggestellte Stahlbetonkoloss geht auf Entwürfe von Werner Düttmann zurück, einem wichtigen Vertreter der Westberliner Nachkriegsmoderne. Später wurde festgestellt, dass der Bürokomplex schadstoffbelastet ist. Seit dem Auszug des Rechnungshofs Mitte 2017 steht er leer.
Sanierung Das Gebäude gehört dem Land Berlin, nach Abschluss der rund 600.000 Euro teuren Schadstoffsanierung soll es nun für 1,5 Millionen Euro abgetragen werden. Für die Abrissgegner:innen auch ein architekturpolitischer Frevel. Sie sprechen von einer „Ikone der Berliner Architektur“.
Schutz Die Finanzverwaltung betonte Anfang 2023 hingegen, dass der einstige Verwaltungskasten weder unter Denkmalschutz stehe noch „besondere Merkmale schützenswerter Gebäudeteile“ aufweise.
Neubau An der Urania 4–10 sollen – basierend auf Plänen von 2018 – unter Federführung der landeseigenen Degewo Büros und Wohnungen errichtet werden. (rru)
Und wenn das Tempelhofer Feld tatsächlich auch am Rand unbebaut bleiben soll, wofür es viele Gründe gibt, dann muss dieses Bauen anderswo möglich sein. Wenn dann keine oder möglichst wenige andere Grünflächen dazu dienen sollen, sind innerstädtische Grundstücke mit seit Jahren ungenutzten Gebäuden eine zwangsläufige Alternative. Wenn sich nutzen lässt, was darauf steht – umso besser. Aber auf möglichst viel Wohnbebauung auf nicht üppig vorhandenen schnell verfügbaren Grundstücken zu verzichten, um an Bausünden der Vergangenheit zu erinnern, das kann und darf sich Berlin nicht leisten. Stefan Alberti
Nein
Wenn im April wie geplant die Bagger anrücken, um den Stahlskelettbau An der Urania 4–10 abzureißen, werden wohl nur wenige dem Klotz nachtrauern. Das Bündnis Urbane Praxis, das am Samstag gegen den Abriss demonstrierte, dürfte eher die Ausnahme sein. Der schmucklose, aber architektonisch wertvolle Stil der Nachkriegsmoderne wird in Berlin kaum wertgeschätzt.
Dabei sollte der Abriss alle auf die Palme bringen. Seit Jahren fordern kritische Architekt:innen und Klimaaktivist:innen, keine Bestandsgebäude ohne Not zu schleifen. Das ewige Spiel aus Abriss und Neubau ist tödlich fürs Klima, allein die Produktion von Beton stößt gewaltige Mengen CO2 aus. 13.000 Tonnen könnten gespart werde, wenn das Verwaltungsgebäude aus den 60ern nicht abgerissen wird, rechnet Urbane Praxis vor. Das entspricht in etwa der Menge CO2, die der Tiergarten in 27 Jahren absorbieren kann. Aber der Senat weigert sich, eine Machbarkeitsstudie für den Erhalt durchzuführen, und verweist zugleich auf die Schadstoffbelastung, die das Gebäude unsanierbar machen soll.
Das ist nicht nur wegen der nie durchgeführten Machbarkeitsstudie unglaubwürdig, sondern auch weil der Senat sich nirgendwo sonst für den Erhalt von Bestandsgebäuden einsetzt. Das ehemalige Sport- und Freizeitzentrum SEZ ist ein anderes Beispiel, bei dem der Senat ein im Grunde funktionsfähiges Gebäude abreißen will. Hier wie dort soll mit der Abrissbirne Platz geschaffen werden für neue Wohnungen.
In Zeiten der Klimakrise muss Klimaschutz auch in der Stadtentwicklungspolitik oberste Priorität haben. Das Argument, es handele sich hier um einen Zielkonflikt, weil Berlin ja dringend Wohnraum benötigt, ist nur vorgeschoben. Schließlich ließe sich der ehemalige Verwaltungsbau An der Urania auf viele Arten sinnvoll nutzen, neben Wohnraum braucht es auch Platz für Bildung, Kultur und soziale Infrastruktur.
Zudem lässt sich bezahlbarer Wohnraum nicht nur durch Neubau schaffen, sondern auch durch gerechtere Verteilung des bestehenden Angebots, ob durch Verbot von Zweitwohnungen oder Mietobergrenzen. Eine Perspektive, die der Senat komplett ignoriert, weil er sich weigert, in Eigentumsverhältnisse einzugreifen.
Mit dem Erhalt des Gebäudes An der Urania könnte der Senat einen Beitrag leisten zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Um mit Blick auf die ohnehin unrealistischen Neubauziele am Ende etwas besser dazustehen, setzt man stattdessen auf den klimapolitischen Wahnsinn eines Abrisses. Jonas Wahmkow
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