Privatisierungswahn zurückgedreht: Hamburg wieder Hausherr
2006 verhökerte der CDU-geführte Senat viele städtische Immobilien. Nun drohen der Stadt dort hohe Mieten, weshalb sie erste Immobilien zurückkauft.
![Backsteinfassade der Finanzbehörde Backsteinfassade der Finanzbehörde](https://taz.de/picture/6215652/14/392365475-1.jpeg)
Für 119 Millionen Euro geht das Gebäude am Gänsemarkt in der Innenstadt an die Stadt – zurück, wohlgemerkt: Der denkmalgeschützte Backsteinbau, entworfen von Hamburgs prägendstem Oberbaudirektor Fritz Schumacher, war wie Dutzende weitere Gebäude vom CDU-geführten Senat unter Ole von Beust 2006 verscherbelt worden und drohte nun zur Kostenfalle zu werden. Ob die Stadt jedoch noch eine bedeutende Zahl weiterer Rückkäufe tätigt, ist offen.
Mit dem Rückkauf der Immobilie versucht der Hamburger Senat die Lawine abzumildern, die auf ihn zurollt: Für rund 1 Milliarde Euro verhökerte der damalige Senat in zwei Paketen städtische Gebäude. Das „Projekt Immobilienmobilisierung“ (Primo) sollte Geld in die Stadtkasse spülen. Die Mehrheit der verkauften Gebäude hat er damals sofort wieder zu vergleichsweise guten Konditionen zurückgemietet. Jedoch laufen die meisten Mietverträge 2026 aus. Neuverträge könnten wegen der starken Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt teuer werden.
Das hätte der Stadt beim Gebäude der Finanzbehörde auch gedroht. Außerdem muss das 1926 fertiggestellte Gebäude, in dem auch der Landesrechnungshof untergebracht ist, dringend saniert werden. „Auch da wären für die Stadt als Mieterin Kosten hinzugekommen“, sagte Dressel am Dienstag, da die Stadt konkrete Ansprüche an die Sanierung gestellt hätte und die dann auch zum Teil hätte mitfinanzieren müssen. „Da wäre es wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen, als Mieter in dem erforderlichen Umfang in das Objekt zu investieren.“
119 Millionen Euro für den Rückkauf
Deshalb hält Dressel den Kaufpreis von 119 Millionen Euro auch für gangbar. Auf knapp 110 Millionen Euro sei der aktuelle Verkehrswert der Immobilie taxiert worden. Die zusätzlichen neun Millionen Euro, die die Stadt beim Kauf obendrauf legt, hält er für zu verschmerzen. Schließlich überweist die Stadt hier künftig keinen Euro mehr an einen privaten Vermieter. Wie viel Gewinn der bisherige Eigentümer nun durch Kauf und Verkauf der Immobilie gemacht hat, ist indes unklar: Das Gebäude wurde seinerzeit im Paket mit weiteren Immobilien verkauft.
Wie viel nun die Stadt als neuer alter Eigentümer für die Sanierung aufwenden muss, sei noch nicht klar. Als in den ersten Gesprächen mit dem bisherigen Eigentümer, der PPS Immobilien Holding GmbH, noch über eine Weitervermietung gesprochen wurde, seien mindestens 20 Millionen Euro für anstehende Sanierungsmaßnahmen berechnet worden. Allerdings ist dieser Stand drei Jahre alt, seither sind die Baukosten massiv gestiegen, und aufgelistet worden seien damals auch nur die mindesten Sanierungsmaßnahmen.
Eine Herausforderung werde es außerdem sein, „modernes Arbeiten in einem alten, denkmalgeschützten Bau zu realisieren“, sagte Dressel. Und angesichts der Klimakrise wird eine energetische Sanierung den Preis weiter nach oben treiben.
Ob Hamburg nun im großen Maßstab die Entscheidung des damaligen Senats rückgängig macht, ist jedoch noch unklar. Unbestritten sei, dass die Privatisierung seinerzeit ein „Holzweg“ war, so Dressel. Jedoch wolle die Stadt immer im Einzelfall entscheiden, ob sich ein Kauf anbietet. Bei den Dienstgebäuden der Justiz- und der Innenbehörde etwa, ebenfalls denkmalgeschützte Backsteinbauten in der Innenstadt, sei eine Weitermietung wahrscheinlicher.
Hamburgs CDU hält an Privatisierungfest
Andererseits: Erst Anfang April wurde bekannt, dass die Stadt das Gebäude des Bezirksamts Wandsbek für 25 Millionen Euro zurückkaufen will. Und Dressel hob auch hervor, dass sich auf dem Immobilienmarkt derzeit etwas ändert: „Private Investoren fangen an, ihr Portfolio aufzuräumen.“ Möglich also, dass die Stadt noch weitere Gebäude zurückkauft.
Auch wenn Hamburg seit den Primo-Verkäufen bis Ende des vergangenen Jahres mehr als 570 Millionen Euro für die Anmietung der einstigen Eigenheime berappen musste – und damit mehr als die Hälfte des Verkaufserlöses in nur 17 Jahren, hält die CDU weiter an ihrer Privatisierungsüberzeugung fest. „Die Stadt ist nicht der bessere Bauherr und Eigentümer aller Behördenstandorte“, befand Thilo Kleibauer, haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, am Dienstag.
Und dass es sich beim Gebäude der Finanzbehörde um, so Dressel, „ein Stück Stadtgeschichte“ handelt, über dessen Zustand nun wieder die öffentliche Hand befinden kann, will Kleibauer auch nicht gelten lassen: „Hier kauft der Senat für sehr viel Geld ein sanierungsreifes Gebäude zurück.“
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