Pressefreiheit in der Ukraine: Gefährliche Persönlichkeitsrechte
In der Ukraine soll ein neues Gesetz Persönlichkeitsrechte stärken. Doch es könnte freie Berichterstattung einschränken, besonders über Korruption.

Ein umfassendes Gesetzespaket, eingebracht unter anderem vom Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk, hat in der Ukraine eine breite Debatte über die Einschränkung der Pressefreiheit ausgelöst. Dabei soll mit dem Gesetz 14057 offenbar ein modernes System zum Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Privatsphäre im Einklang mit europäischen Standards geschaffen werden. Das Gesetz soll die medienrechtlichen Rahmenbedingungen ändern.
Konkret sieht der Entwurf vor, dass Personen, die in den Medien erwähnt werden, künftig ein umfassendes Recht auf Gegendarstellung erhalten und auf die Löschung von Informationen über sich aus öffentlich zugänglichen Quellen. Auch Suchmaschinenbetreiber sollen verpflichtet werden können, bestimmte Links aus den Suchergebnissen zu entfernen – etwa dann, wenn die zugrunde liegenden Informationen unwahr, veraltet oder unvollständig sind oder rechtswidrig bearbeitet wurden. Auch wenn kein öffentliches Interesse mehr besteht oder eine weitere Verbreitung persönliche Rechte verletzen würde, sollen die Links entfernt werden.
Bisher ist nicht klar, wann über das Gesetz abgestimmt werden soll. Doch es wird bereits stark kritisiert. Besonders problematisch sei eine Bestimmung, so der Abgeordnete Oleksij Honcharenko, wonach Informationen, die nicht durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil bestätigt sind, nicht veröffentlicht werden dürfen. „Das bedeutet konkret: Wenn ein der Korruption Verdächtigter vor Gericht steht, dürfen Journalisten darüber nicht berichten, solange kein Urteil vorliegt“, kritisiert Honcharenko. „Dabei können sich Gerichtsverfahren über Monate oder sogar Jahre hinziehen.“
Inzwischen hat der Abgeordnete Jaroslaw Jurtschyschyn, Vorsitzender des Ausschusses für Pressefreiheit von der Fraktion Holos, seine Unterschrift unter den Entwurf zurückgezogen. Seine Kollegin Maryana Besuhla sieht in dem Gesetzentwurf gar den Versuch, Zensur einzuführen.
Besonders umstritten ist auch eine Erweiterung des Schadenersatzrechts bei „moralischen Schäden“. Künftig können Klagen wegen bloßer Meinungsäußerungen oder eines „unangenehmen Tons“ möglich sein.
„Der Gesetzentwurf zielt eher darauf ab, Freiräume in den Medien einzuschränken und Angst vor Kritik an Beamten oder Personen in Machtpositionen zu schüren“, kritisiert Sergi Tomilenko, Chef der Journalistengewerkschaft. „Deshalb unterstützen wir ihn nicht.“ Auch das Institut für Medieninformation sieht in dem Gesetzentwurf eine reale Gefahr von Zensur. So kritisiert die Direktorin Oksana Romaniuk: „Dies würde die redaktionelle Kontrolle und die professionellen Standards des Journalismus zerstören und die Medien zu bloßen Mikrofonständern machen, die verpflichtet wären, jedem, der auch nur beiläufig erwähnt wurde, aber der Meinung ist, dass die Erwähnung in den Medien seine oder ihre ‚persönlichen Rechte‘ verletzt, Sendezeit zu gewähren.“
Das in Wien ansässige International Press Institute, die älteste internationale Organisation zur Stärkung der Pressefreiheit, fürchtet, dass die vorgesehenen Gesetzesänderungen den Anwendungsbereich der Verleumdungsgesetze erheblich ausweiten und somit die Arbeit unabhängiger Journalistinnen und Journalisten massiv behindern würden.
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