Pressefreiheit in China: Wer nicht spurt, wird diffamiert
Chinas Propaganda-Apparat bedient sich immer dreisterer Methoden. Kritische Korrespondenten werden gezielt aus dem Land geekelt.
Sein Abgang offenbart die absurde Gängelung, die mittlerweile auch ausländische Korrespondenten in China erfahren, wenn sie zu sensible Themen wie den Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang recherchieren. Sudworth, seine Frau Yvonne Murray, die für den irischen Sender RTÉ News berichtet und ihre drei Kinder wurden bis zum Flughafen-Gate von Sicherheitskräften in Zivil verfolgt.
„Dies ist der jüngste Fall eines ausländischen Korrespondenten, der als Ergebnis anhaltender Schikanen und Behinderung seiner Arbeit aus China vertrieben wurde“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in klaren Worten am Freitag. Tatsächlich setzen sich die meisten europäischen Regierungen und insbesondere ihre diplomatischen Vertretungen in Peking für die Situation von Korrespondenten ein, doch Änderungen können sie keine herbeiführen.
Mit immer fanatischerer Sturheit wettert Chinas Regierung gegen sämtliche Berichterstattung, die nicht auf Linie ist. Am Donnerstag hat Außenministeriumssprecherin Hua Chunying den Pekinger Korrespondentenclub FCCC als „illegale Organisation“ diffamiert, der nicht zwischen „richtig und falsch“ unterscheiden könne. „Weniger als die Hälfte der Auslandskorrespondenten in China sind Mitglied des FCCC, und die meisten sind westliche Journalisten aus den USA und Europa“, sagte Hua – und fügte ominös an: „Ausländische Journalisten in China sollten sich glücklich schätzen“.
Das Narrativ der potenziellen Spione
Ihre Anschuldigungen wirken umso verlogener, als dass Pekings Staatsmedien derzeit mit immer dreisteren Methoden ihre Lügen in die Öffentlichkeit schleudern. Noch im letzten Frühjahr schickte der Staat seine Propaganda-Journalisten nach Wuhan, um positive Nachrichten aus dem damaligen Corona-Epizentrum mitzubringen. Dieser Tage hingegen sind die PR-Leute der Regierung in der Provinz Xinjiang unterwegs, um das Bild von glücklichen Uiguren zu zeichnen – und Völkermord-Vorwürfe zu entkräften. „Sehen Sie irgendwelche Anzeichen von Genozid? ICH NICHT!“, postet etwa Fernsehjournalistin Liu Xin auf ihrem Twitter-Account – unter einem beliebigen Handy-Schnappschusses eines uigurischen Restaurants in der Provinzhauptstadt Urumuqi.
Im Land hat die autoritäre Regierung ihren Propagandasieg bereits längst gewonnen. Die meisten Chinesen haben keine Ahnung darüber, dass Hunderttausende Uiguren in Internierungslagern weggesperrt und einer ideologischen Gehirnwäsche unterzogen werden. Diejenigen hingegen, die mit einer illegalen VPN-Software die Internetzensur umgehen und freie Informationen beziehen können, schweigen zu dem Thema – aus Angst vor Repressionen, schlichter Ignoranz oder weil sie die Menschenrechtsverbrechen für eine rein ausländische Verschwörung halten.
Mit der neuen Jugend wächst zudem eine chinesische Generation heran, die unter der Herrschaft Xi Jinpings sozialisiert wurde und mit einem Narrativ großgeworden ist, in dem ausländische Journalisten potenzielle Spione sind und Chinesen, die mit ihnen reden, Volksverräter.
Wenn Korrespondenten über die dunklen Seiten der Regierung berichten, dann streitet sie sämtliche Berichte mit dem immer selben Verweis ab: Man verbitte sich eine „Einmischung in innere Angelegenheiten“. Doch Ausländer, die sich dem Propaganda-Narrativ beugen, werden regelrecht hofiert: Als die französischsprachige Kollegin Laurène Beaumond ihren leidenschaftlichen Leitartikel „Mein Xinjiang“ verfasste, wurde dieser letzten Sonntag mit Handkuss vom staatlichen Propagandasender „CGTN“ publiziert. Darin beschreibt Beaumond ihre Erfahrungen in der muslimisch geprägten Provinz, wo sie „ein Gefühl der völligen Harmonie, des Respekts voreinander und vor allem der Verbundenheit mit der Natur“ erfährt.
Erfundene Korrespondentin?
Viele Leser dürften bei dem Text ins Stocken geraten. Schließlich ereignet sich im westchinesischen Xinjiang eines der schlimmsten Menschenrechtsverbrechen der Gegenwart. Doch Beaumond hingegen will davon keinerlei Anzeichen bemerkt haben: Alle Straßenschilder in Xinjiang seien schließlich zweisprachig verfasst, die öffentlichen Kantinen bieten halal-Gerichte an und jeden morgens wird sie vom Muezzin von der naheliegenden Moschee geweckt.
So steht es in ihrem Text geschrieben, und tatsächlich muss es Laurène Beaumond wohl am besten wissen: Sie hat laut der Autoren-Biografie auf der Homepage von CGTN Familienangehörige in Xinjiang und sieben Jahre lang in Peking gelebt. Zuvor arbeitete sie in mehreren Pariser Redaktionen und studierte Kunstgeschichte an der renommierten Sorbonne. Eine ganz schön kredible Journalistin also.
Doch wie sich nun herausstellt, existiert Laurène Beaumond gar nicht. Die französische Tageszeitung „le monde“ versuchte ihren Namen vergeblich in der Datenbank des Journalistenverbandes zu finden. Und auch in Peking hat unter den Kollegen noch niemand von der mysteriösen Reporterin gehört. Ihr Twitter-Account, der Ende 2020 wie aus dem Nichts auftaucht, strotzt nur so vor Pekinger Regierungspropaganda – von den Themen Taiwan bis Hongkong.
Bedient sich etwa Pekings Staatsfernsehen eines fiktiven Charakters, um ihr Narrativ scheinbar glaubwürdig unter die Leute zu bringen? Pekings Außenministerium behauptet felsenfest, die Journalistin würde existieren – und deutet an, dass sie unter einem Pseudonym schreiben würde. Doch selbst Mitarbeiter des Propagandasenders CGTN haben noch nie von ihr gehört und gehen – off the record – von einem Fake-Profil aus. Möglicherweise hat die Lügerei ein bitterböses Nachspiel, denn ausgerechnet in Frankreich hat „CGTN“ seine Ausstrahlungslizenz für Europa erhalten, die dem Sender zuvor in Großbritannien entzogen wurde.
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