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Pressefreiheit im Ukraine-KriegHinter den Kulissen des Krieges

Korruption läuft in der Ukraine weiter, Jour­na­lis­ten geraten unter Druck. Lokale Produzenten riskieren ihr Leben im Auftrag internationaler Medien.

Ein Screenshot des Films „Fixers in Wartime“ zeigt Kirill bei der Arbeit an der Front Foto: RSF

Perugia/Berlin taz | „Ist die Wahrheit das erste Kriegsopfer?“ So lautet ein Panel mit drei ukrainischen Jour­na­list*in­nen, die Mitte April beim internationalen Journalismus-Festival in Perugia in Italien über Pressefreiheit im Krieg berichten. „In den ersten Kriegsmonaten herrschte in der Ukraine eine ziemlich einheitliche Berichterstattung in allen Medien“, erzählt Segil Musaieva, Chefredakteurin der Online-Zeitung Ukrayinska Pravda.

Von einer Art staatlichem Informationsmonopol spricht Natalie Sedletska, die Chefredakteurin der ukrainischen Rechercheplattform Schemes, eines Projekts des von den USA finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL). Vor dem Ukraine­krieg recherchierte Sedletska hauptsächlich zu Korruption, später mehr über Kriegsverbrechen in der Ukraine. „Nach einer Weile haben wir den Fokus unserer Recherchen wieder auf Korruption gelegt.“

Doch das immer noch geltende Kriegsrecht erschwere das, sagt Sedletska vor den internationalen Jour­na­lis­t*in­nen in Perugia. „Eine rote Linie wurde überschritten“, fügt Olga Rudenko, Chefredakteurin von The Kyiv Independent, hinzu, als sie über eines der jüngsten Beispiele von Überwachung ukrainischer Jour­na­lis­t*in­nen berichtet.

Besonders erschütternd ist der Fall der ukrainischen Plattform Bihus.info: Ihre Jour­na­lis­t*in­nen wurden vom ukrainischen Sicherheitsdienst mit versteckten Kameras bei der Party in einem Hotel überwacht. Dreißig Beamte waren involviert. Im Nachhinein musste Sedletska feststellen, dass die Öffentlichkeit sich mehr um den Ruf des ukrainischen Sicherheitsdienstes (SBU) sorgte, als an Aufklärung interessiert zu sein. „Dass es ein Angriff auf die Pressefreiheit war, wurde gar nicht thematisiert“, beschwert sich Sedletska.

Mithilfe des Kriegsrechts haben ukrainische Sicherheitskräfte in den letzten Monaten Journalisten auch mit der Einberufung an die Front gedroht. So jüngst geschehen im Fall der Investigativplattform Slidstvo.info. Am Abend vor der Veröffentlichung einer Recherche zu Korruptionsvorwürfen gegen den Leiter der Cybersicherheiteinheit beim SBU wurde ein beteiligter Investigativjournalist in einem Supermarkt in Kyjiw angesprochen und ihm das Einberufungsschreiben vor Ort persönlich ausgehändigt.

Ukrainische Journalisten in Russland inhaftiert

Viel wurde in den ukrainischen Medien in den vergangenen Wochen indes über die Verhaftung von ukrainischen Jour­na­lis­t*in­nen berichtet, die nach Russland überstellt werden. Ein Beispiel: Serhiy Tsyhypa. Er wurde in einem angeblichen „Spionagefall“ auf der von Russland annektierten Krim verurteilt.

Seine Frau, die ihn seit zwei Jahren nicht gesehen hat, sprach darüber bei der OSZE und im Europarat und ist dazu auch im Kontakt mit dem Internationalen Roten Kreuz. Trotz ihrer Bemühungen ist ihr Ehemann noch in Haft. Zivile Gefangene können im Gegensatz zu militärischen auf staatlicher Ebene nicht ausgetauscht werden. In Russland wurden allein in den letzten zwei Monaten rund 20 russische Jour­na­lis­t*in­nen festgenommen, verhaftet oder verurteilt.

Auf einem anderen Panel des International Journalism Festival in Umbrien tritt der italienische Fotoreporter Lorenzo Tondo auf: „Ich kann in der Ukraine ohne Zensur arbeiten, aber ich vermute, das geht nur, weil ich nicht über die Korruption im Lande berichten will.“ Für den erfahrenen Reporter bedeutet Journalismus im Krieg vor allem Leid und Schmerz. „Es wird zu wenig über die Traumata der Kriegsberichterstatter gesprochen.“ Dann regt sich der Fotograf über Desinformationskampagnen zum Ukrainekrieg in der italienischen Presse auf: „Ich war in Butscha und Irpin, die Bilder sprechen für sich und zeigen die Wahrheit. Keiner kann sie verleugnen.“ Doch weil das immer wieder versucht werde, fühle er sich manchmal ziemlich frustriert.

Ohne lokale Helfer*in­nen, auch „Fi­xe­r*in­nen“ genannt, können internationale Reporter wie Tondo ihre Arbeit im Ukrainekrieg nicht erledigen. Menschen wie Andrii Kolesnyk und Kyrylo Sirchenko. Beide sind keine 30 Jahre alt – und erst im Februar 2022 Fixer geworden. Nach über zwei Jahren Krieg haben sie gute Kontakte zu Medien aus der ganzen Welt. Reporter ohne Grenzen (RSF) begleitete die zwei in dem Dokumentarfilm „Fixers in Wartime – The invisible Reporters“ und lud sie Ende März zur Premiere nach Berlin ein – als junge ukrainische Männer brauchten sie eine Sondergenehmigung, um überhaupt das Land verlassen zu dürfen.

„Als der Angriffskrieg begann, wollte ich etwas gegen meinen Stress und meine Ängste tun. Gleichzeitig wollte ich den ausländischen Jour­na­lis­t*in­nen helfen“, sagt Kolesnyk in Berlin. Für Medienschaffende wurde die Ukraine in drei Zonen aufgeteilt. Die grüne: ohne Einschränkungen, die gelbe: nur in Begleitung von Presseoffizieren, und die rote: ganz verboten für Jour­na­list*in­nen. „Nur im Süden der Ukraine ist es unmöglich, über militärische Angelegenheiten zu berichten – so wurde es uns von den lokalen Behörden stets kommuniziert“, fügt Kolesnyk hinzu. Er kann gut nachvollziehen, dass die ukrainische Regierung von Wolodymyr Selenskyj ihre Informationskamapgnen aus Sicherheitsgründen genau zu steuern versucht.

Auch im Krieg im eigenen Land wachsam bleiben

Für Kolesnyks Kollege Kyrylo Sirchenko bedeutet der Job als lokaler Helfer vor allem einen Risikozustand, den er sonst so nicht erlebt. „Meine engsten Freunde sind jetzt an der Front. Ich gehe als Fixer ein anderes Risiko ein, indem ich ausländische Medien an Kriegsschauplätze bringe. Als Held will ich aber nicht betrachtet werden.“

Beim Journalismus-Festival in Perugia endet Schemes-Chefredakteurin Sedletska mit der Beobachtung, dass der Journalismus in der Ukraine aktuell komplett vom Kriegsverlauf abhänge. „Das Schlimmste wäre, den Krieg zu verlieren. Doch noch schlimmer wäre die russische Besatzung, weil es dann keine Redefreiheit mehr gäbe“, sagt Sedletska. „Aber auch im Krieg müssen wir als Jour­na­lis­t*in­nen wachsam bleiben und die Meinungsfreiheit schützen.“

Segil Musaieva, Chefredakteurin der Ukrayinska Pravda, erhofft sich wiederum mehr Pressefreiheit durch den möglichen EU-Beitritt der Ukraine, die seit 2022 EU-Beitrittskandidatin ist: „Um ein demokratisches und europäisches Land zu werden, müssen wir für unser Recht auf Pressefreiheit kämpfen.“

Ukraine: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 61

Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos hier.

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8 Kommentare

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  • Danke für diese neuen Einblicke!



    Es ist erfreulich, dass nun bereits der zweite Artikel zum Thema Meinungsfreiheit bei der Kriegsberichterstattung erscheint.



    Allerdings haben wir über das Thema innerhalb der zwei Jahre Ukrainekrieg wenig gehört.



    Rückblickend wirkt die Berichterstattung sehr von Kriegspropaganda gefärbt.



    Es wird, zu Recht, auf das in der Ukraine derzeit geltendede Kriegsrecht verwiesen.



    Hierzulande gilt dies allerdings nicht.



    Der Artikel "Krieg gegen Medienfreiheit", hier in der taz, ist aus deutscher Perspektive noch interessanter, da die Situation auch selbstkritisch betrachtet wird.



    Außerdem ist interessant, dass es bisher genau 4 Kommentare zum Thema in der kommune gibt .



    Das fällt schon auf, in Gegensatz dazu gibt es ja zig Kommentare durch LeserInnen, wenn es um Waffenlieferungen geht, von denen die Meisten nichts verstehen.



    Ebenfalls wird die Meinungsfreiheit im Rahmen der Diskussion um den Palästinakomplex heiß diskutiert.



    Im Zusammenhang mit der Ukraine hat sich die Selbstzensur offenbar bereits auf die NormalbürgerInnen ausgeweitet.



    Zu schön ist auch das naive Bild, das "die Ukraine" als Verteidiger der Demokratie zeichnet.



    Es ist unzweifelhaft, dass Putin einen



    völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine führt.



    Aber sind wir deshalb verpflichtet, demokratische Werte



    im Bezug auf die Ukraine nicht anzuwenden?



    Warum wurden, von der UN aufgedeckte, Völkerrechtsverstöße, durch die ukrainische Armee,



    kleingeredet oder wider besseres Wissen gutgeheißen?



    Gibt es zwei Völkerrrechte?



    Ist Meinungsfreiheit etwas, dass als inexistent in Russland kritisiert wird, als eingeschränkt in der Ukraine aber verschwiegen wird?



    Ist das Völkerrecht nach Belieben formbar und gilt ein Völkerrecht für "Freunde" und ein Anderes für "Gegner"?



    Schon im obigen Artikel relativiert ein Journalist und spricht von Verständnis für die Einschränkung der Pressefreiheit.



    Ist das jetzt (noch) " Meinungsfreiheit" oder schon (wieder) Propaganda?

    • @Philippo1000:

      "Warum wurden, von der UN aufgedeckte, Völkerrechtsverstöße, durch die ukrainische Armee,

      kleingeredet oder wider besseres Wissen gutgeheißen?

      Gibt es zwei Völkerrrechte"

      Belege?

      • @Hannes Mustermann:

        Sehr geehrter Herr Mustermann,



        es ist durchaus in der Presse erschienen, dass die UN Belege für diverse Verstöße gegen das Völkerrecht vorgebracht hat.



        Seltsam dass Ihnen das entgangen ist.



        Ihr Desinteresse muss ich nicht aufklären.

    • @Philippo1000:

      Die Antwort hat Ihnen doch die Schemes-Chefredakteurin gegeben: " „Das Schlimmste wäre, den Krieg zu verlieren. Doch noch schlimmer wäre die russische Besatzung, weil es dann keine Redefreiheit mehr gäbe“, sagt Sedletska."

      Dass in der Ukraine nicht alles zum Besten bestellt ist, wissen eigentlich alle, die sich mit dem Thema beschäftigen. Und das wissen eben auch viele Ukrainer. Sie sehen allerdings auch, was ihnen noch drohen könnte, und das wäre weitaus schlimmer.

      Aber darum geht es Ihnen gar nicht. Die Probleme mit der Pressefreiheit in der Ukraine (und andere) interessieren Sie nur insofern, als Sie glauben, damit wieder etwas gefunden zu haben, um die westliche Unterstützung des Landes diskreditieren zu können.

      Und das Geraune um "Verschweigen", "Kleinreden" oder gar "Gutheißen" geht am tatsächlichen Sachverhalt völlig vorbei. Berichte über Misstände in der Ukraine können Sie überall nachlesen. Sie nehmen aber halt nicht den Platz ein, den Sie aus den oben genannten Gründen gerne hätten. Aber angesichts der massiven äußeren Bedrohung, in deren Folge den Ukrainern weitaus Schlimmeres droht, ist das dann halt tatsächlich eine Frage der Maßstäbe.

      • @Schalamow:

        Umgekehrt wird ein Schuh daraus:



        - Es wird uns immer eingeredet, dass in der Ukraine irgendwie "unsere Werte" verteidigt werden, um irgendwas zu finden, um eine Unterstützung und keine Verhandlungen zu rechtfertigen



        - Dies wird kritisiert, da die Ukraine alles andere "unsere Werte" vertritt.



        Und immerhin ist es doch so, dass über die Frage, ob wir einen Drittstaat (kein NATO-Mitglied) mit Waffen unterstützen sollen eine ehrliche Debatte geführt werden sollte.



        Und wenn eine Seite nachweislich beständig lügt ("Ukraine verteidigt auch unsere Demokratie"), dann diskreditiert sich diese Seite selbst.

        • @Kartöfellchen:

          Wir führen doch eine ehrliche Debatte; ich weiß nicht, was sie mit "ehrlich" insinuieren wollen.

          Wer die Entwicklung der letzten Jahre einigermaßen aufmerksam verfolgt hat, dem ist klar, dass Putin, abgesehen von seinen imperialen Großrussland-Plänen, vor allem die Aussicht besorgte, die Ukraine könnte sich zu einem demokratischen Staat entwickeln und damit sein eigenes autoritäres Herrschaftsmodell in Frage stellen. Dass Putin den liberalen Westen und die Demokratie verachtet, ist ohnehin hinlänglich bekannt.

          Und auch wenn die Ukraine auf dem Weg zu einer Demokratie noch einige Baustellen offen hat: Sie versucht eine Demokratie aufzubauen (übrigens das erste Mal in der Geschichte dieses Landes) und genau deshalb hat sie unsere Unterstützung verdient und genau deshalb verteidigt sie auch unsere Werte. Wer aber die unübersehbaren Unvollkommenheiten einer noch jungen Demokratie nur instrumentalisieren möchte, um dieses Land umso bedenkenloser der Gewaltherrschaft eines Dikators auszuliefern, muss sich dann halt schon selbst fragen lassen, wieviel ihm eigentlich tatsächlich an einer demokratischen Ukraine gelegen ist.

      • @Schalamow:

        Herr Schalamow,



        ich bin durchaus in der Lage für mich selbst zu sprechen und benötige Niemanden der mir Worte in den Mund legt.



        Ihre Einschätzung der Nachrichtenlage teile ich allerdings nicht!



        Ich verfolge die Berichterstattung zu dem Thema durchaus und komme zum obigen Ergebnis.



        Ihre agressive Haltung mir gegenüber ist keineswegs neu, wenn auch völlig unangebracht.



        Es liegt mir fern, "westliche Unterstützung zu diskreditieren", das habe ich noch nie gemacht und mache es auch nicht.



        Einzig wende ich mich gegen Tauruslieferungen, HIER geht es aber, wie erwähnt GLÜCKLICHERWEISE einmal NICHT um Waffenlieferungen!