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Preise im GesundheitssystemWie teuer ein Medikament ist

Kommentar von Andreas Gerber-Grote

700 Euro für eine einzige Pille, ist das ethisch vertretbar? Kosten-Nutzen-Berechnungen im medizinischen Bereich sind machbar.

Nicht jeder kommt mit einem Billig-Medikament aus Bild: dpa

W enn ein neues Arzneimittel auf den Markt kommt, stellt sich die zentrale Frage: Haben die Patientinnen und Patienten einen Vorteil davon? Leben sie länger, haben sie weniger Beschwerden und Nebenwirkungen oder eine verbesserte Lebensqualität als mit den bisherigen Medikamenten? Und daran schließt sich an: Wie viel soll ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem mit gesetzlichen Krankenkassen für diesen sogenannten Zusatznutzen bezahlen? Die erste Frage kann eine Nutzenbewertung, die zweite Frage eine Kosten-Nutzen-Bewertung (KNB) beantworten. Beide sind seit vielen Jahren im Sozialgesetzbuch V verankert.

Bei Verhandlungen fehlt oft die KNB

Seit 2011 müssen Hersteller nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) den Zusatznutzen eines neuen Wirkstoffs im Vergleich zur derzeit besten Versorgung belegen. Dieser wird in einer Nutzenbewertung überprüft. Um den Preis verhandeln Hersteller und Kassen aber hinter verschlossenen Türen. Dabei fehlen die Informationen aus einer KNB, die erst nach dem Scheitern eines Schiedsverfahrens vorgesehen ist.

Bild: privat
Andreas Gerber-Grote

studierte evangelische Theologie, hat als Arzt in der Kinderheilkunde gearbeitet und habilitierte zu den Kosten von Umweltkrankheiten bei Kindern und Jugendlichen. Seit 2009 leitet er das Ressort Gesundheitsökonomie am IQWiG - dem nationalen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln. Das IQWiG wird aus Beiträgen der Mitglieder aller Gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert.

Doch die Ergebnisse einer KNB könnten ein wichtiger Baustein in diesen Preisverhandlungen sein. Das hat das IQWiG mit seiner KNB von vier Antidepressiva im Jahr 2013 gezeigt. Bei einer KNB stellt man den Nutzen verschiedener Arzneimittel oder anderer Therapien in einem Krankheitsgebiet allen Kosten für die Versorgung der Patienten gegenüber: Kosten für ambulante und stationäre Behandlung, Kosten für die Arzneimittel selbst, aber auch für weitere Therapien wie eine Psychotherapie und Anschlussbehandlungen. Man vergleicht also nicht einfach nur die Preise von Arzneimitteln. Die Wege, die Patienten während ihrer Versorgung gehen (etwa vom Allgemeinarzt zur Fachärztin oder in die Klinik und so weiter), bildet man dann in einem mathematischen Modell des Behandlungsablaufs einer Krankheit ab. Anschließend werden in dieses Modell Daten zum Nutzen, zum Schaden durch Nebenwirkungen sowie zu allen Kosten der Behandlung eingespeist.

Der Preis eines Lebensjahres

Schließlich betrachtet man ein solches Modell über einen festgelegten Zeithorizont, zum Beispiel zehn Jahre. Für eine große Zahl von Modellpatienten wird saldiert, wie viele Herzinfarkte beispielsweise vermieden werden könnten und wie sich dies auf die Kosten auswirkt. Sowohl für den Nutzen als auch für die Kosten bildet man dann eine Differenz der Ergebnisse für jeweils zwei Therapien. Daraus resultiert ein Kosten-Nutzen-Verhältnis, das sich beispielsweise so ausdrücken lässt: Um ein Lebensjahr durch einen vermiedenen Herzinfarkt zu gewinnen, würde die Versorgung mit Arzneimittel X 3.000 Euro mehr kosten als die Versorgung mit einer Vergleichstherapie Y.

Ein solches Kosten-Nutzen-Verhältnis sagt aber noch nichts darüber aus, ob der Preis angesichts des Zusatznutzens angemessen wäre. Für diese Entscheidung benötigt man eine Orientierung, bis zu welchem Kosten-Nutzen-Verhältnis die Solidargemeinschaft bereit wäre, eine Therapie zu erstatten. In Großbritannien wurde dafür ein Schwellenwert festgelegt. Wenn für ein zusätzliches Lebensjahr in vollständiger Gesundheit mehr als 30.000 Pfund durch eine neue Therapie aufgewandt werden müssen, wird sie eher nicht zur Erstattung empfohlen. Andere Länder entscheiden dagegen von Fall zu Fall.

Vorschlag: Die Effizienzgrenze immer berücksichtigen

In Deutschland hat das IQWiG die sogenannte Effizienzgrenze vorgeschlagen. Mit dieser Methode lassen sich die Ergebnisse so darstellen, dass auf einen Blick erkennbar wird, welche Arzneimittel im Verhältnis zu ihrem Nutzen einen angemessenen oder unangemessenen Preis haben. Konkret müssen Arzneimittel, deren Nutzen und Kosten unterhalb der Effizienzgrenze liegen, ihren Preis senken, diejenigen, die darüber liegen, dürften ihren derzeitigen Preis beibehalten. Vor dem Hintergrund der aktuellen „Marktlage“ gibt sie somit eine Orientierung.

Allerdings werden in keinem Land der Welt die Ergebnisse einer KNB eins zu eins umgesetzt. Vielmehr werden auch andere Kriterien berücksichtigt wie etwa Fragen der gerechten Verteilung oder der Schwere der Krankheit. Überhaupt ist die KNB kein Allheilmittel, da sie keinen centgenauen Preis für ein neues Arzneimittel liefern kann. Sie schafft Transparenz und damit Entscheidungsgrundlagen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Wie in jedem Feld gibt es auch hier Kontroversen: So gehen die Ansichten auseinander, wie man unterschiedliche oder sogar gegenläufige Wirkungen eines Arzneimittels, etwa die Verbesserung der Lebensqualität bei gleichzeitiger Verstärkung einer Nebenwirkung, auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann. Strittig ist auch, ob und wie berücksichtigt werden soll, wenn sich zum Beispiel ein vermiedener Herzinfarkt auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt. Die Ausgaben der Kassen betrifft dies nicht.

Die Kosten-Nutzen-Bewertung könnte einen höheren Stellenwert bei der Entscheidungsfindung im deutschen Gesundheitssystem haben. Sie ist methodisch fundiert und brächte Transparenz in die Preisgestaltung. Wecken wir das Dornröschen Kosten-Nutzen-Bewertung aus seinem Schlaf.

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4 Kommentare

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  • Das Beispiel aus England zeigt es doch ganz deutlich: Eine "größere Bedeutung" von KNB bedeutet vor allem eine weitere Pauschalierung dessen, was der Solidargemeinschaft ein Leben oder die Gesundheit eines Menschen in Euro und Cent wert ist. Noch knallhärter wird es, wenn, wie in den zahlreichen Beispielen zur "Effizienzberechnung" primär berücksichtigt wird, was an Gesundheitskosten durch den Einsatz eines bestimmten Mittels eingespart wird oder nicht. Der Mensch verkommt so zum abstrakten Kostenfaktor, den es möglichst klein zu halten gilt.

     

    Das wäre alles gar nicht so schlimm, wenn es nicht so verbindlich wäre. Auf der einen Seite war Solidarität (und die Mittel dafür) immer schon endlich. Also ist es auch grundsätzlich kein Fehler, ihren Leistungen klare Grenzen zu setzen, ab denen die Eigenverantwortung beginnt.

     

    Aber in unserem Pflichtversicherungssystem gibt es aus diesen Grenzen praktisch kein Entrinnen. Ein Kassenmitglied hat nur die Wahl, zu nehmen, was das immer mehr auf Pauschalbehandlung "nach Schema F" getrimmte Leistungsangebot der Krankenkassen ihm zubilligt, oder die gesamte Behandlung selbst zu bezahlen, wenn er auch nur ein Fünkchen mehr will. Eigenverantwortung findet also entweder nicht statt oder muss mit dem kompletten Verlust der Solidarleistung erkauft werden.

     

    Daher ist es richtig, dass die standardisierten KNB mehr Einfluss auf die Anwendung von Medikamenten und Heilmitteln haben "könnte", aber ein Segen, dass sie ihn in unserem System (noch) nicht hat.

  • im Prinzip ist es so, dass gut bis sehr gute versorgte Menschen mit Chefarztbetreuung über die Gesundheit/Lebensdauer/ medizinische Versorgung der nicht so gut gestellten Menschen entscheiden !

  • In Bezug auf unser Gesundheitssystem sollten wir mehr Fragen stellen.

     

    Warum z:B.: verdienen viele Ärzte umso mehr Geld, je mehr Patienten Sie behandeln (auch in Millionenhöhe). Irgend wie werden die Gehälter zu einem Großteil in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen ermittelt.

     

    Man sollte besser die Qualität der Behandlung und nicht die reine Quantität dafür heranziehen!

    • @Stefan Mustermann:

      Es ist nichts Angewöhnliches, dass Menschen nach der Leistung, die sie erbringen bezahlt werden. Ärzte behandeln Patienten. Das ist ihre Leistung, und wenn sie mehr davon erbringen, ist es völlig natürlich, dass sie dafür auch mehr Geld erhalten.

       

      Die Entscheidung, zum Arzt zu gehen, liegt immer noch primär beim Patienten, also wäre es schlicht unfair, dem Arzt aus dieser Entscheidung eine Pflicht zur Behandlung erwachsen zu lassen, für deren Erfüllung er nicht bezahlt wird.

       

      Das Problem der qualitätsabhängigen Bezahlung ist eines der Messbarkeit. Jeder Patient ist individuell zu behandeln, und bei jedem Krankheitsverlauf gibt es Varianzen, die mit der Qualität der Behandlung nichts zu tun haben. Sonst bräuchte man keine Ärzte, sondern nur eine einfache Computerdatenbank mit Standardprozeduren.

       

      Auch ist der Erfolg einer Behandlung niemals garantiert. Eine Lungenentzündung z. B. kann selbst bei einem fitten, jungen Patienten tödlich verlaufen, ohne dass selbst die allerbeste medizinische Versorgung daran etwas ändern könnte.

       

      Man müsste schon hinter jeden Arzt ein ebenso kompetentes ganzes Gremium von theoretisch wie praktisch gleich befähigten Experten (also im Zweifel wieder Ärzten) setzen, die seine Behandlungsschritte fallabhängig beurteilen. Das wäre unbezahlbar.