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Praktiken in BundeswehrkaserneGewollte Überforderung von Soldaten

Bei einem Trainingslauf brachen im Januar Rekruten zusammen. Jetzt gibt es schwere Vorwürfe gegen die Ausbilder. Es ist von einem „Selektionslauf“ die Rede.

Die Staufer-Kaserne in Pfullendorf Foto: dpa

Berlin dpa | Rund zehn Wochen nach dem Zusammenbruch mehrerer junger Soldaten bei einem Trainingslauf hat die Bundeswehr schwere Vorwürfe gegen Ausbilder der skandalumwitterten Staufer-Kaserne in Pfullendorf erhoben. Der Spiegel berichtete am Mittwoch unter Berufung auf einen ihm vorliegenden Bericht des Verteidigungsministeriums, der Trainingslauf am 9. Januar sei von den Ausbildern der Spezialausbildungskompanie 209 „überfordernd“ und „nicht angemessen durchgeführt“ worden.

Laut dem Bericht besteht nach den internen Recherchen sogar „der Verdacht, dass der Geländelauf als „Selektionslauf“ angelegt und zumindest die Überforderung einiger Rekruten beabsichtigt war“.

Nach Angaben der Bundeswehr brachen sechs Soldaten den Geländelauf wegen körperlicher Erschöpfung oder Verletzung ab. Einer musste ins Krankenhaus. Gegen zwei Soldaten wurden dem Bericht zufolge bereits Strafen verhängt, wie das Nachrichtenmagazin weiter berichtete.

Ein Hauptfeldwebel, der das Training an dem Tag begleitete, wurde von seinem Posten versetzt. Der Zugführer, ein Oberleutnant, bekam laut dem Papier wegen des Verstoßes gegen die Fürsorgepflicht und die nicht ausgeführte Dienstaufsicht eine Geldstrafe von 2000 Euro.

Die Bundeswehr musste schon mehrfach in der Staufer-Kaserne ermitteln, nachdem Anfang 2017 Berichte über angebliche sexuell-sadistische Praktiken die Öffentlichkeit schockiert hatten. Die Justiz bestätigte diese Vorwürfe nicht. Darüber hinaus ging es um qualvolle Aufnahmerituale. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte die Vorgänge als „abstoßend und widerwärtig“ bezeichnet. Wegen der Aufnahmerituale wurden vier Soldaten entlassen.

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8 Kommentare

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  • Das verstehe ich nicht! Selektion ist doch allgegenwärtig heutzutage. In Beziehungen und Freundeskreisen, in Schulen und Universitäten, in Bewerbungsgesprächen und bei der Arbeitsagentur, in Behörden und im Supermarkt – überall wird selektiert: Die „Guten“ ins Töpfchen, die Anderen anderswo hin. Aus den Augen, aus dem Sinn. Man kennt das ja.

     

    Und nun soll ausgerechnet bei der Bundeswehr nicht selektiert werden dürfen? Ausgerechnet da, wo jede Überforderung leicht mal nicht nur das eigene Leben kosten kann, sondern auch das der Kameraden, sollen potentielle Loser nicht ausgesiebt werden? Wofür soll ich die Bundeswehr denn halten? Für eine Insel der Glückseligen in einem endlosen Ozean des Grauens? Ist das jetzt Werbung oder was?

     

    Da werden Bauern in der Uniform eines Hauptfeldwebels, eines Zugführers und eines Oberleutnants geopfert, damit der König und die Dame sich und andere weiter belügen können. Aber nein, kein Mitleid! Das war der Deal. Wir alle wissen: Menschen in Uniform sind nicht nur (potentielle) Mörder. Sie sind auch potentielle Opfer. Wer eine Uniform anzieht, ist damit einverstanden. Auch dann, wenn der Soldaten-“Beruf“ in der Familie schon so lange Tradition hat, dass man ihn nie-nicht hinterfragt.

     

    Ist ja noch immer alles gut gegangen. Man wäre sonst nicht auf der Welt...

  • Hoffentlich liest das der Putin nicht.

    Könnte auch totlachen.

  •  

    Das Problem ist doch, dass die Bundeswehr - jedenfalls war das so, als ich meinen Wehrdienst ableistete - kein vernünftiges Konzept hat, um die körperliche Fitness der Soldaten zu erhöhen.

     

    Entweder man ist von Anfang an fit, um die Belastungen aushalten zu können, oder man bekommt Probleme und empfindet das Training als sinnlose Schinderei.

     

    Vielleicht sollte die Bundeswehr einfach mal überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, die Grundausbildung eines Soldaten auf ein halbes Jahr, ein Jahr oder mehr zu verlängern und dann in die Ausbildung ein individuelles Aufbautraining integrieren.

     

    Jeder Soldat in der Grundausbildung bekommt einen Fitnesstrainer.

     

    Der kann natürlich auch Soldat sein und muss sich umgekehrt nicht nur um einen Soldaten kümmern.

     

    Aber dieser Fitnesstrainer legt für jeden Soldaten einen individuellen Trainingsplan fest und ist dafür verantwortlich, dass dieser eingehalten wird und der Soldat innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit das geforderte Fitnesslevel erreicht.

     

    Wenn man so aus Waschbärbäuchen durch gezieltes Training - und nicht durch sinnloses Schinderei - Waschbrettbäuche machen kann, dann kann man auch auch Rekruten mit Waschbärbäuchen aufnehmen.

     

    Die notwendige Fitness können diese nämlich durch gezieltes Training noch erlangen.

     

    Das, was solche Rekruten aber sonst noch mitbringen, kann man meistens den Rekruten, denen dies fehlt, sehr viel schwerer antrainieren.

     

    Insofern halte ich es für einen Fehler, bei der Rekrutierung vor allem auf die körperliche Fitness zu achten, die antrainiert werden kann, anstatt auf andere Qualitäten, die wichtig sind, aber nur sehr viel schwerer antrainiert werden können.

    • @Michael Laube:

      Wer wissen will, was durch ein gutes Training möglich ist, muss sich nur einmal den Artikel

       

      "Abgenommen Von einer schwer Übergewichtigen zur Triathletin"

      https://www.welt.de/vermischtes/article135010870/Von-einer-schwer-Uebergewichtigen-zur-Triathletin.html

       

      durchlesen.

       

      Natürlich geht so etwas nicht in einer Allgemeine Grundausbildung , die nur 3 Monate dauert.

       

      Aber was für ein Gewinn könnte es für die Bundeswehr sein, wenn sie einfach ein wenig mehr in die Ausbildung und vor allem das Fitnesstraining ihrer Soldaten investiert und so nicht nur darauf angewiesen ist, die zu rekrutieren, die schon von Anfang an über eine gewisse Grundfitness verfügen.

      • @Michael Laube:

        Womit sich die Frage stellt, in welchen Aspekten man unsere Berufsarmee eigentlich als "professionell" bezeichnen kann.

  • Lächerlich niedrige Strafen. Im Grunde müßte man die wegen vorsätzlicher Körperverletzung drankriegen. Aber die BW darf eben alles.

  • "Gewollte Überforderung von Soldaten" - ja, das ist so, denn das Austesten der physischen und psychischen Leistungsgrenzen ist Teil der Ausbildung. Jeder Rekrut, der - mittlerweile freiwillig - zur Bundeswehr geht sollte sich darüber im Klaren sein und die Bundeswehr sollte bei der Einstellung explizit darauf hinweisen. Gleichwohl ist es Aufgabe der teilweise systematisch versagenden inneren Führung der Bundeswehr qualvolle Aufnahmerituale und zum Sadismus ausufernde Geiselnahmeübungen zu verhindern.

  • „abstoßend und widerwärtig“

     

    Die Frau ist als Verteidigungsministerin richtig. Deutsche BWler sollen nicht überfordert werden.

     

    Es wäre allerdings schön, wenn potentielle Gegner - Taliban, Russen, Dschihadisten aller Art - sich entsprechend verhalten würden, damit den BWlern durch die pc-Ausbildung im Kampfeinsatz kein Nachteil entsteht.