Prager Frühling und Kuba: Castros Machtmanöver
Kubas Revolutionsführer Fidel Castro hielt im August 1968 eine bemerkenswerte Rede zum Einmarsch in Prag. Sie spaltete die Linke – auch in Kuba.
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Zwei Tage nach dem Einmarsch der sozialistischen Interventionstruppen in die ČSSR, die den Prager Frühling beendete, nahm auch Kubas Revolutionsführer Fidel Castro zu den Ereignissen Stellung. Die im kubanischen Fernsehen übertragene Ansprache vom 23. August 1968 gehört zu den bemerkenswertesten Meinungsbeiträgen, die aufseiten der internationalen Linken seinerzeit zu dem Thema veröffentlicht wurden.
Castro machte klar, dass die Militärintervention jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrte. „Man kann nicht bestreiten, dass die Souveränität des tschechoslowakischen Staates verletzt wurde. Unter juristischen Gesichtspunkten gibt es dafür keine Rechtfertigung“, sagte Castro. Man müsse daher analysieren, ob es politisch gerechtfertigt sei, dem tschechoslowakischen Volk diese traumatische Erfahrung aufzubürden. Sein Schluss: Da die politische Entwicklung der ČSSR unter Dubček und Swoboda darauf hinausgelaufen wäre, das Land in die Hände des Imperialismus zu geben, sei die Intervention gerechtfertigt gewesen.
1968 war Kuba noch nicht voll im sozialistischen Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) integriert. Seit der Kubakrise 1962 allerdings, als die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen auf Kuba im Austausch gegen eine Nichtangriffsgarantie der USA gegenüber Kuba beendet worden war, war Kubas Abhängigkeit vom sowjetischen Lager überdeutlich. Mit der 1960 von den USA verkündeten nahezu vollständigen Wirtschaftsblockade hingen Kubas ökonomische Perspektiven ebenfalls am sozialistischen Lager.
In dieser Hinsicht zeitigte Castros Gutheißen der Intervention in der ČSSR positive Folgen für die Insel: Drei Jahre später war Kuba Vollmitglied des RGW, und es begannen die goldenen Jahre der kubanischen Entwicklung nach der Revolution.
Antiimperialistische Grundhaltung
Ideologisch bedeutete Castros Positionierung einen Bruch nicht nur mit großen Teilen der lateinamerikanischen Linken und linken Intellektuellen, sondern auch mit eigenen Mitkämpfern in Kuba. Wenn man gegenüber den USA, dem westlichen Hegemonen, das Recht auf nationale Selbstbestimmung in dessen Einflussbereich forderte, wie konnte man akzeptieren, dass dieses Recht in der Tschechoslowakei mit Füßen getreten wurde?
In ganz Lateinamerika war – und ist bis heute – linke Politik mit einer antiimperialistischen Grundhaltung, mitunter auch mit übersteigertem Nationalismus verbunden. Sie war gegen die USA als regionalen Hegemonen gerichtet. Kuba hatte sich auch deshalb trotz seiner Zuwendung zum sozialistischen Lager und der Abhängigkeit von ihm in der Blockfreienbewegung engagieren können – ein Hohn, den Einmarsch in Prag zu befürworten.
Im Jahr 1968 wurden unter Alexander Dubček, dem Generalsekretär der tschechoslowakischen Kommunisten, Gesetze beschlossen, um den Sozialismus in der Tschechoslowakei zu transformieren. Dubčeks Politik beendete die Zensur, es wurden Wirtschaftsreformen durchgeführt. Viele Menschen in der Tschechoslowakei, aber auch über die Grenzen des Landes hinaus, schöpften dadurch Hoffnung auf ein besseres Leben.
Die Führung der Sowjetunion hieß die Reformen allerdings nicht gut. In der Nacht zum 21. August 1968 marschierten schließlich Soldaten des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei ein und beendeten damit das Experiment eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. In einer Sonderausgabe beschäftigt sich die taz am 21. August 2018 mit dem Ende des Prager Frühlings.
Castro wusste, dass die Intervention die Linke spalten würde. Westeuropäische Intellektuelle, die in den ersten Jahren der Revolution an der Seite Castros und seines Mitkämpfers Che Guevara gestanden hatten, lehnten die Militärintervention in Prag ab und hatten Probleme mit Castros Position.
Die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez erinnert sich, dass für die Revolutionäre der Generation ihrer Eltern Castros Solidaritätserklärung zum Einmarsch einen Bruch darstellte, für viele gar ideologisch-emotional das Ende der Revolution bedeutete, für die sie eingetreten waren. Sicher ist, dass Castro allen KubanerInnen klarmachte, was bis heute gilt: Dreh- und Angelpunkt allen Denkens und Handelns ist der Machterhalt. Darüber steht kein Prinzip, keine Ideologie und erst recht keine Mehrheit.
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