Prävention im Karneval: Awareness alaaf!
Kurze Röckchen, straffe Organisation, alkoholisierte Erwachsene – in Köln sensibilisiert eine Kampagne für die Rechte von Kindern im Karneval.
Die blauhaarige Prinzessin will einen kleinen Pinguin küssen, ein Kind im Froschkostüm versucht, ihn oder sie davon abzuhalten. „Kein Bützchen auf Kommando!“, steht unter dem Bild. Ein anderes zeigt eine Hand, die auf einen Hintern im knappen Röckchen klatscht. „Geiler Arsch!“ ist der Kommentar des Angreifers. Dazu erklärt die Bildunterschrift: „Stop! Das ist sexuelle Belästigung und strafbar!“.
Kinder nicht ungefragt küssen oder auf den Po hauen, das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Doch in der „närrischen Jahreszeit“ ist manches anders – und in den traditionellen Karnevalsvereinen das Bewusstsein für Grenzen nicht immer vorhanden. Das zeigte ein Skandal zum Auftakt der Karnevalssaison am 11. 11. im rheinischen Sankt Augustin.
Der Präsident der Prinzengarde machte beim „Garde-und Tollitätentreffen“ auf der Bühne anzügliche Kommentare gegenüber einer 10-Jährigen, sprach vom Knutschen mit „Zungenschlag“. Auf Kritik der Anwesenden verteidigte er sich zunächst mit: „Wir sind immer noch im Karneval“ – bevor er schließlich sein Amt niederlegen musste.
In Köln versucht man nun, Kinderrechte im Karneval zu stärken: Das Festkomitee des Kölner Karnevals, das knapp drei Dutzend Kinder- und Jugendtanzgruppen mit mehr als 1.000 minderjährigen Mitgliedern vertritt, hat zusammen mit der Beratungsstelle „Zartbitter“ einen Kinderrechtepass entwickelt. Die 28 „Pänzrechte“, wie es im Dialekt heißt, wurden zusammen mit jungen Tänzer*innen entwickelt und von der Zartbitter-Hausillustratorin Dorothee Wolters illustriert. „Alle Pänz haben das Recht, sich in ihren Kostümen und Uniformen wohlzufühlen“, heißt es darin. Oder: „Auch Erwachsene müssen die Privatsphäre von Pänz beachten!“
100.000 Broschüren wurden bislang in den Tanzgruppen und an Kölner Schulen verteilt. 50.000 sind überregional unter dem Titel „Kinderrechte im Karneval“ erhältlich. „Die Nachfrage ist riesig“, sagt Zartbitter-Gründerin Ursula Enders. Eltern sowie Kita- und Grundschulpädagog:innen bestellten die Broschüren massenweise, der Webshop breche zusammen, man habe bereits nachdrucken müssen. Besonders groß sei das Interesse übrigens in der Region um Sankt Augustin gewesen.
Es bewegt sich langsam etwas
Der Pänzrechtepass ist nur ein Teil des Schutzkonzepts, das die Kölner Karnevalist*innen derzeit entwickeln. „Kinder sind unser höchstes Gut, darum müssen wir sie schützen. Dafür haben wir uns die Profis von Zartbitter an die Seite geholt“, sagt Christine Flock, Vizepräsidentin des Komitees, in dem rund 30 Kinder- und Jugendtanzgruppen mit Mitgliedern zwischen 5 und 18 Jahren organisiert sind.
Als Nächstes will man eine interne Präventionsbeauftragte ernennen, Notfallpläne und ein Beschwerdemanagement entwickeln – und regelmäßig Trainer*innen und Kinder mit Workshops weiterbilden. „Es ist wichtig, Erwachsene für die Bedürfnisse von Kindern zu sensibilisieren und im Vereinsalltag sichere Räume zu schaffen“, findet Flock. Zu Anfang sei die Zusammenarbeit mit Zartbitter bei manchen der ehrenamtlichen Funktionsträger*innen auf Skepsis gestoßen – doch der positive Fokus auf die Rechte junger Menschen habe dann doch alle überzeugt.
In der laufenden Karnevalssaison können Kinder nun erstmals per E-Mail Belästigungen und sexualisierte Anmache melden. Bei Zartbitter, die eine ehrenamtliche Fachkraft dafür abgestellt haben, rechnet man mit einem großen Andrang.
Das Interesse an der Pänzrechtekampagne zeigt, dass sich langsam etwas bewegt in der Welt des organisierten Frohsinns. „Viele Eltern atmen auf, dass Themen jetzt sichtbar und besprechbar geworden sind“, sagt Zartbitter-Leiter Philipp Büscher. Zu thematisieren gibt es einiges: Dass sich Kindergruppen in einem Umfeld bewegen, in dem die Mehrheit der Erwachsenen alkoholisiert ist. Dass nicht abschließbare Umkleiden oder Unter-den-Rock-Fotografieren keine Seltenheit sind.
Mehr Mitbestimmung
Oder dass meist Männer über Choreografie und Kostüme der überwiegend weiblichen Tanzenden bestimmen. In vielen Vereinen gebe es aber einen Bewusstseinswandel, meint Büscher, der selbst aus Köln stammt: weg von ultrakurzen Röckchen, starker Schminke und Hebefiguren mit handfestem Zupacken, hin zu mehr Mitbestimmung. Was dazu führen kann, dass Traditionen überarbeitet werden.
Büscher berichtet von einer lebhaften Diskussion bei einem Verein, dessen Tänzerinnen bislang immer in Reifröckchen aufgetreten seien, die Teile des Pos entblößten. Früher habe es geheißen: Ist halt Tradition. Doch: „Es stellte sich heraus, dass die meisten Mädchen sich darin nicht wohlfühlten. Jetzt tragen sie andere Röcke.“
Die Präventionsfachleute von Zartbitter hoffen, dass die Kölner Kampagne zum Karneval zum Vorbild wird für den überregionalen Dachverband Bund deutscher Karneval, der bislang noch kein Schutzkonzept hat. Oder für andere Brauchtumsgruppen wie Schützen- oder Heimatvereine.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Umwälzungen in Syrien
Aufstieg und Fall der Familie Assad
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“