Präsidentschaftswahl in Polen: Polen rückt nach rechts
Die Wahl des PiS-Kandidaten Karol Nawrocki zum Präsidenten Polens könnte innenpolitische Unruhen, sowie die Spannungen mit der EU weiter verschärfen.

Das Wahlergebnis wirft schon jetzt seine Schatten voraus: Die tief gespaltene Gesellschaft, von der über zehn Millionen Menschen proeuropäisch und für liberale Werte gestimmt hatten und ebenfalls über zehn Millionen antieuropäisch und für ein nationalistisches Weltbild, wird sich noch tiefer zerstreiten. Innenpolitisch steht die Zukunft der Mitte-links-Regierung auf dem Spiel. Da Nawrocki aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Politik mit seinem Veto blockieren wird, scheinen vorgezogene Neuwahlen vor dem regulären Termin im Jahr 2027 sehr wahrscheinlich.
Wäre die Situation umgekehrt und Trzaskowski knapp siegreich, hätte die PiS die Wahl wohl angefochten und vor das Oberste Berufungsgericht gebracht. Dafür hatte die Partei schon 2018 die „Kammer für außerordentliche Kontrolle und öffentliche Angelegenheiten“ geschaffen, die mit ausschließlich mit PiS-nahen Richtern besetzt ist. Die Parlamentswahl 2023 focht die PiS nur deshalb nicht an, weil sie gewonnen hatte. Doch da sie keine Koalitionsmehrheit erreichte, konnte Tusk mit einer breiten Viererkoalition die Regierung bilden. Theoretisch könnte nun die Bürgerplattform (PO) versuchen, die Präsidentschaftswahl für ungültig erklären zu lassen und Neuwahlen zu fordern. Doch der Antrag ginge an die neue (PiS-)Kammer am Obersten Berufungsgericht, die die Wahl für rechtens und gültig erklären würde. Dieses Urteil dann nicht anzuerkennen, weil es von einer verfassungswidrigen Kammer mit PiS-Richtern gefällt wurde, würde der PO und Trzaskowski gar nichts bringen, sondern wahrscheinlich die PiS nur noch weiter stärken.
Ähnlich sieht es mit dem gesamten Gerichtswesen in Polen aus. Tusk wollte mit Trzaskowski als Staatspräsident und Partner an seiner Seite die Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederherstellen. Dutzende Gesetzesprojekte liegen fertig in den Schubladen. Doch nun – mit Nawrocki als Präsident – steht Tusk vor Trümmern seiner Politik. Ohne die Unterschrift des Präsidenten geht kein einziges Gesetz durch. Auch das Verfassungsgericht, das ausschließlich mit PiS-nahen Richten besetzt ist, kann Gesetze verhindern. Es wird wie bisher mit dem PiS-nahen Präsidenten und dem mächtigen PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski zusammenarbeiten und die Politik der polnischen Mitte-Links-Regierung boykottieren.
Widerstand dürfte aus Warschau zunehmen
Nach Tusks Wahl 2023 hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ohne Zögern Milliarden an EU-Geldern freigegeben, die wegen Rechtsstaatsproblemen eingefroren waren. Doch nun dürften die versprochenen Reformen kaum vorankommen – Nawrocki kann sie blockieren. Damit stellt sich die Frage nach den EU-Zahlungen neu. Probleme werden in Brüssel auch in der Energiepolitik und bei der Migration erwartet. Polen lehnt die laufende Reform der Asyl- und Migrationspolitik ab; mit Nawrocki dürfte der Widerstand aus Warschau noch zunehmen.
Sogar das Verhältnis zu den USA könnte jetzt schwieriger werden. Von der Leyen fordert mehr Unabhängigkeit, doch Nawrocki will Polen wieder enger an Amerika binden. Er gilt als großer Fan von US-Präsident Donald Trump, der seine Wahl denn auch nach Kräften unterstützt hat.
Schon lange vor einem Rechtsruck gewarnt
Die Regierungspolitiker fragen sich, was im Wahlkampf schiefgelaufen ist: Warum wählten so viele junge Menschen rechte, teils antisemitische Kandidaten? Warum verfängt die antideutsche und antiukrainische Rhetorik der PiS erneut? Und warum dominiert Angst vor Migration, obwohl sie faktisch kaum ein Problem darstellt? Das alles sind Themen der polnischen Rechten, die hochemotionale Gefühle in der Gesellschaft auslösen. Statt dem eigenen Programm treu zu bleiben und auch die eigenen Werte vehement zu verteidigen, schielten sowohl Trzaskowski und sein Wahlstab als auch Tusk und seine Regierung auf die Umfragen und griffen das Narrativ der PiS auf. Plötzlich wollte Trzaskowski den ukrainischen Müttern das Kindergeld streichen, wenn diese nicht in Polen arbeiteten und Steuern zahlten.
Tusk setzte mitsamt seiner Regierung sogar das Menschenrecht auf Asyl außer Kraft und wetteiferte mit Kaczyński darum, wer die migrationsfeindlichsten Parolen verbreitete. Dadurch verloren die einst liberalkonservativen Politiker in den Augen vieler Wähler ihre Glaubwürdigkeit. Wenn die Liberalen plötzlich das Gleiche erzählten wie zuvor schon die Rechten, dann wäre es wohl besser, gleich das Original zu wählen, mögen viele gedacht haben und am Sonntag ihr Kreuzchen neben den Namen von Nawrocki gesetzt haben.
Offiziell geben sich europäische Spitzen jedoch optimistisch: „Ich bin zuversichtlich, dass die EU ihre sehr gute Zusammenarbeit mit Polen fortsetzen wird“, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag auf X. Gemeinsam werde man die Nato „noch stärker“ machen, kommentierte deren Generalsekretär Mark Rutte in Brüssel. Doch in Wahrheit müssen sich Rutte und von der Leyen einige Sorgen machen. Nawrocki lehnt den Nato-Beitritt der Ukraine ab. Außerdem gilt er als Nationalist, der die EU in die Schranken weisen will. Polnische Gesetze müssten in Warschau gemacht werden, nicht in Brüssel, meint er. Damit setzt er sich vom polnischen Regierungschef Donald Tusk ab, der – nachdem er einige Jahre lang als Ratspräsident in Brüssel gearbeitet hatte – auf eine enge Zusammenarbeit mit der EU setzt.
Sozialdemokraten und Grüne haben dies auch schon oft angeprangert und vor einem Rechtsruck gewarnt. Nun hat der Rechtsdrruck auch Polen erreicht – mit möglicherweise weit reichenden Folgen für die gesamte EU.
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