Präsidentschaftswahl in Nigeria: Gekaufter Jubel für alte Männer

Am Samstag sollte Nigeria wählen. Nun wurde die Wahl verschoben. Auch dann werden vor allem alte Männer kandidieren.

Drei Frauen tanzen bei einer Wahlkampfveranstaltung des Präsidenten von Nigeria Buhari

Gekaufter Jubel: Zu ihren Wahlkampfveranstaltungen lockt Präsident Buhari die Menschen mit Geld Foto: Ben Curtis

ABUJA taz | Dreißig Minuten nach der Verabredung schickt der jüngste Präsidentschaftskandidat in Nigerias Geschichte eine WhatsApp-Nachricht und entschuldigt sich für seine Verspätung. Er warte noch immer auf seinen Fahrer. „Ich rufe jetzt ein Uber“, schreibt der 35-jährige Chike Ukaegbu. 20 Minuten später sitzt er in einem kleinen Büro, das in einem mehrstöckigen Gebäudekomplex in Nigerias Hauptstadt Abu­ja liegt.

Es ist ein Neubau, die meisten Räume stehen noch leer. Nirgendwo ist ein Wahlplakat zu sehen oder ein T-Shirt mit seinem Gesicht drauf, so wie es die anderen Kandidaten haben. Chike Ukaegbu zieht alleine in den Wahlkampf, ohne einen großen Unterstützerkreis. Zum Interview wird er von seinem Bruder begleitet.

Aufgewachsen ist er in Abia, im Südosten des Landes. Mit 19 Jahren zog er in die USA. Dort gründete er Re:Life, eine gemeinnützige Einrichtung, um junge Menschen beim Abschluss ihres Studiums zu unterstützen. Vor vier Jahren rief er dann die Start-up-Plattform Startup52 ins Leben, deren Geschäftsführer er heute ist.

Vergangenes Jahr schaffte Chike Ukaegbu es auf die Liste der 100 einflussreichsten Menschen afrikanischen Ursprungs unter 40. Es war auch das Jahr, in dem er entschied: „Ich kandidiere.“ Politische Erfahrung hatte er keine. In Erinnerung geblieben ist ihm jedoch der Wahlkampf 2015. „Wie kann es nur sein, dass ein 72-Jähriger, der Militärdiktator war, der anscheinend einzige brauchbare Bewerber ist“, wunderte er sich damals.

Vier Jahre später sieht es im nigerianischen Wahlkampf nicht sehr viel besser aus.

Jubel in Vorleistung für 3,70 Euro

Gut 48 Stunden nach dem Gespräch mit Chike Ukaegbu warten auf dem Eagle Square mitten in Abuja, der Hauptstadt Nigerias, Tausende Menschen auf den 76-jährigen Präsidenten Muhammadu Buhari. Es ist Nachmittag, mitten in der Woche. Nicht etwa Beamte und Arbeiter halten die Wahlkampfplakate in die Luft, sondern junge Männer, die „Baba“ rufen – Buharis Spitzname.

Wenige Stunden vor dem geplanten Beginn der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Nigeria ist der Urnengang um eine Woche verschoben worden. Wegen Logistikproblemen sei es nicht möglich, einen freien, fairen und glaubwürdigen Urnengang zu garantieren, sagte Kommissionspräsident Mahmood Yakubu in der Nacht zum Samstag nach einer Krisensitzung. Die beiden wichtigsten Parteien verurteilten die Verschiebung und warfen sich gegenseitig vor, damit die Wahl beeinflussen zu wollen.

Zuvor hatte es zahlreiche Berichte über Probleme bei der Auslieferung von Wahlunterlagen und Stimmzetteln an die Wahllokale gegeben. Bereits im Wahlkampf waren zudem Vorwürfe gegen die Regierungspartei APC von Präsident Muhammadu Buhari und die oppositionelle PDP des ehemaligen Vizepräsidenten Atiku Abubakar Wahlbetrugsvorwürfe laut geworden. Beide Parteien sollen versucht haben, massenweise Wahlbenachrichtigungen und Ausweise aufzukaufen. (afp)

Wer kein Poster abbekommen hat, spreizt alle acht Finger, das Symbol für die zweite Amtszeit und insgesamt acht Jahre an der Macht. Die Gesten sind gut eingeübt, denn viele Unterstützer wurden gekauft. Ein junger Mann im schwarzen T-Shirt sagt auf Pidgin: „Sie haben uns noch kein Geld gegeben. Aber ich rechne mit 1.500 Naira.“ Etwa 3,70 Euro. Angekarrt worden ist er in einem der großen roten Busse.

Es war ein müder Wahlkampf. Die Abschlussveranstaltung ist nicht anders. Buhari liest seine Rede ab, sie dauert keine sieben Minuten. Er, der 2017 mehr als drei Monate in London zu einer medizinischen Behandlung war, wirkt gesundheitlich angeschlagen. So kraftlos sind auch seine Worte.

Vier Jahre nach dem friedlichen Machtwechsel schimpft er noch immer auf die Vorgängerregierung, lobt dann seine eigenen Initiativen: vor allem die Schaffung von Sicherheit im Nordosten und die Verbesserung der Infrastruktur. Wer dort unterwegs ist, weiß allerdings, dass die Terrormiliz Boko Haram jederzeit einen Anschlag verüben kann; und auch, wie holprig die Straßen überall im Land sind. Während das Bruttoinlandsprodukt 2014 noch bei 568,5 Milliarden US-Dollar lag, waren es drei Jahre später lediglich 375,8 Milliarden US-Dollar.

Von der Aufbruchsstimmung blieb nichts übrig

Beigetragen zu dem öden Wahlkampf hat auch die Nominierung von Atiku Abubakar, Spitzenkandidat der großen Oppositionspartei People’s Democratic Party, der 72 Jahre alt ist. Wie Buhari ist der Unternehmer seit Jahrzehnten in der nigerianischen Politik aktiv und brachte es bis zum Vizepräsidenten, von 1999 bis 2007. Vor vier Jahren war er noch Mitglied von Buharis Partei und unterstützte ihn. Heute wirbt er mit einer Liberalisierung der Wirtschaft und der Schaffung von zwölf Millionen Jobs in vier Jahren. Er mag für vieles stehen, aber nicht für eine Erneuerung Nigerias.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Sechs Kilometer vom Eagle Square entfernt nennt auch Dapo Olorunyomi den Wahlkampf uninspiriert: „Niemand hat eine Vision. Niemand schafft Vertrauen“, sagt der Herausgeber der investigativen Onlinezeitung Premium Times. „In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen Wahlkampf wie diesen erlebt.“ Dabei hatte Nigeria fast 30 Jahre brutale Militärherrschaft. „Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Der Optimismus hat sich verabschiedet“, lautet sein düsteres Fazit.

Dabei schien es in Nigeria noch vor einem Jahr eine Aufbruchstimmung zu geben. Der Jugendbewegung #NotToo­YoungToRun gelang es, dass passive Wahlalter zu senken. Davon profitiert heute Chike Ukaegbu, der sonst nicht hätte kandidieren dürfen. Mit Oby Ezekwesili von #BringBackOurGirls und dem Menschenrechtler Omoyele Sowore kündigten zwei bekannte Personen der Zivilgesellschaft ihre Kandidatur an. Aber dieser Elan ist verpufft. Oby Ezekwesili hat sich zurückgezogen, Omoyele Sowore ist nur in Abuja präsent. Die Wahlen werden in Afrika aber auf dem Land entschieden.

Dazu kommt: Die Opposition der kleinen Parteien hat sich auf keinen Kandidaten einigen können. Insgesamt treten 73 Menschen zur Wahl an.

Warum die Jungen keine Chance haben

Chike Ukaegbu hat kein Manifest geschrieben. Auf seiner Homepage finden sich von ihm auch keine detaillierten Aussagen zur Sicherheitspolitik, wie genau Arbeitsplätze geschaffen werden sollen und was die wichtigsten Maßnahmen gegen Korruption wären. Auch hütet er sich, auf Nigerias alte Politiker zu schimpfen. Denn: Nach Jahren und Jahrzehnten tauchen oft die alten Staatschefs wieder auf und recyceln sich selbst.

Eine realistische Chance hätte Chike Ukaegbu aber auch mit einem ausgefeilteren Wahlprogramm nicht gehabt. Er lebt vor allem in den USA – erfolgreich in Nigeria ist aber, wer überall in dem 923.768 Quadratkilometer großen Staat lokale Anhänger hat. Sie sind der direkte Kontakt zu den Wählern, sie kleben Plakate, verteilen T-Shirts, Fähnchen, Aufkleber, Geschenke und machen den Kandidaten sichtbar. Noch wichtiger ist jedoch Geld. Alleine die Teilnahme an den internen Vorwahlen um das Präsidentenamt der großen Parteien hat im Herbst bis zu 45 Millionen Naira gekostet. Umgerechnet sind das 110.000 Euro.

Ein Mann, Chike Ukaegbu, Präsidentschaftskandidat in Nigeria

Idealistisch, aber ohne Chancen auf den Sieg: Der junge Präsidentschaftskandidat Chike Ukaegbu Foto: Katrin Gänsler

In Ukaegbus Büro ist bis auf das Tropfen der Klimaanlage nichts zu hören. Nigerias jüngster Präsidentschaftskandidat hat in den vergangenen Monaten viel über Menschen, Wähler, politische Strukturen gelernt. „Das größte Hindernis, um die Politik zu wandeln, sind die jungen, gebildeten Nigerianer. Sie kritisieren, wählen aber nicht“, lautet sein Resümee. Dazu kommt mangelnde Solidarität. „Warum bist du dort und nicht ich“, hat er häufig gehört; aber nie, wie die Jungen unter 36, die mehr als 51 Prozent der Wählerstimmen haben, für eine neue Politik in Nigeria zusammenkommen könnten.

Zusammengebracht hätte Chike Ukaegbu, der am 29. Mai, dem Tag der Amtseinführung des künftigen Präsidenten, 36 Jahre alt wird, sein Heimatland gerne. Statt Diskussionen um Details brauche Nigeria zuallererst das Gefühl, eine Einheit zu sein, sagt er. Und das Land verdiene eine Entschuldigung. „Würde ich gewählt werden, wäre das der erste Schritt: eine Tour durch das ganze Land, um sich für die schlechte Regierungsführung zu entschuldigen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.