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Präsidentschaftswahl in BrasilienKein strahlender Sieg

Niklas Franzen
Kommentar von Niklas Franzen

Der Linke Lula hat die Wahl knapp gewonnen. Aber Bolsonaro hat Brasilien bereits bleibend verändert.

Brasiliens Linke feiern das Ende von vier Jahren mit einem rechtsradikalen Präsidenten Foto: Diego Vara/reuters

I n den vergangenen Jahren war Brasilien wahrlich nicht mit guten Nachrichten gesegnet. Doch nun hat das größte Land Lateinamerikas endlich mal wieder einen Grund zum Jubeln: Luiz Inácio „Lula“ da Silva setzte sich am Sonntag in der Stichwahl gegen den rechtsradikalen Amtsinhaber Jair Bolsonaro durch.

Für viele Menschen in Brasilien, die nun feuchtfröhliche Wahlpartys feiern, war Bolsonaros Amtszeit vor allem eins: eine Katastrophe. Sein schulterzuckender Umgang mit dem Coronavirus stürzte das Land ins Pandemiechaos, wegen seiner Kahlschlagpolitik im Regenwald gilt Brasilien als Paria im Ausland, die Verarmung hat im ganzen Land zugenommen. Bolsonaro hat alte Wunden aufgerissen, neue hinzugefügt. Er hat die politische Kommunikation auf den Kopf gestellt. Und er hat eine Kultur des Hasses etabliert. Brasilien wird lange brauchen, um sich davon zu erholen.

Deshalb ist erschreckend, dass er nicht an der Wahlurne abgestraft wurde. Zwar lag der Pöbelpräsident am Ende eines langen Wahltages hinter seinem sozialdemokratischen Widersacher Lula – doch das Ergebnis war denkbar knapp. Lula kam auf 50,90 Prozent der Stimmen, Bolsonaro auf 49,10 Prozent – und damit mehr als die Meinungsforschungsinstitute vorausgesagt hatten. Etwas mehr als zwei Millionen Stimmen trennten die beiden Politiker voneinander. Somit hat die Wahl vor allem eine Tendenz bestätigt: Brasilien ist tief gespalten, ein Riss geht durch das Land.

Besonders beängstigend ist, dass viele Bolsonaro-Anhänger*innen in keiner Weise mehr empfänglich sind für Informationen von außen. Und die Wahl dürfte ihren Hass auf „das Establishment“ noch weiter verstärken. Es ist davon auszugehen, dass sich Teile seiner Anhängerschaft weiter radikalisieren.

Für Bolsonaro ging es außerdem nie darum, einfach nur Wahlen zu gewinnen. Die extreme Rechte schaut nicht nur auf Mandate – sie will die Gesellschaft nachhaltig verändern. Und in vielen Punkten waren sie damit erschreckend erfolgreich. Die Stichwahl haben sie verloren, ja. Aber sie konnten sich überall festsetzen. Ohne Lulas Wahlsieg schmälern zu wollen: Es wird nicht einfach für ihn werden.

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Niklas Franzen
Autor
Niklas Franzen ist Journalist und ehemaliger Brasilien-Korrespondent. Im Mai 2022 erschien sein Buch “Brasilien über alles - Bolsonaro und die rechte Revolte” bei Assoziation A.
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9 Kommentare

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  • Naja, als Lula 2002 die Wahl gewonnen hat, hat er auch das Land nachhaltig verändert - so stark dass die Idee von Lula auch nach 20 Jahren war trotz aller Bolsonaro-Tricks gewinnen kann. Und ich bin mir ziemlich sicher Lula wird schon auch die richtige Politik finden um Brasilien auch dieses Mal merklich zu verändern…

  • Figure 2g in Ripple et al 2022 [1] (scientist warning report) zeigt Die Flächenänderungen des brazilianischen Regenwaldes über die letzten 30 Jahre. Unter Lula hat die Rodung noch abgenommen. Der war bis 2012 ja glaube ich Präsident. Schon vor Bolsanaro kehrte dieser Trend wohl ins Gegenteil.

    [1] academic.oup.com/b...ci/biac083/6764747

  • Ein Aufatmen war's für mich dennoch - bezüglich der Wälder, der Arten, der Indigenen und ihrem Schutz. Im Grunde müsste man sämtliche Areale mit verbliebenem Primärwald durch Kauf und gesetzlichen Schutz der weiteren Ausbeutung entziehen.

  • Fast 50 % der Bevölkerung Brasiliens haben sich für die Unterstützung eines Faschisten, Befürworters der Folter , Leugners des Klimawandels, Homo- und Transphoben, Zerstörer des Regenwaldes entschieden.

    In der Tat wird dies nicht ohne Folgen sein, die Folgen sind längst eingetreten, nicht nur in Brasilien.

    Der Krieg gegen die Natur, der aktuell weltweit geführt wird, und der bei weitem von seinen Folgen schlimmer sein wird als der russische Krieg gegen die Ukraine, wird über die Politik der totalen Desinformation geführt.

    Dieser Krieg droht, die Klimakatastrophe unaufhaltsam zu machen, verbrannte Erde zu hinterlassen, abermillionen Menschen und ein vielfaches an Tieren zu töten, eine unvorstellbare Anzahl an Geflüchteten zu produzieren - und in der Folge die gesamte Welt noch stärker zu brutalisieren, als sie bereits brutalisiert ist.

    Dieser Krieg der Umweltzerstörung und der Desinformation wird nach wie vor nicht als der Krieg erkannt, der er ist. Weil er nicht als Krieg erkannt wird, kann er auch nicht gestoppt werden.

    In Brasilien wurde dieser Krieg jetzt nur ein Stück weit zurückgeworfen, trotzdem schreitet er fort.

    Wenn es nicht gelingt, die Desinformation zu durchbrechen, machen Begriffe, wie freie Meinungsäußerung, keinen Sinn mehr.

    Der Fast-Sieg von Bolsonaro ist Ausdruck einer tiefgreifenden Systemkrise mit einem System, was nur an Kurzzeitfolgten orientiert ist (ob in 10 Jahren eine Flutwelle kommt, wirkt sich auf sein Handeln kaum aus) und was es gleichzeitig als Meinungsfreiheit missversteht, es zuzulassen, dass ein Großteil der Menschheit zu Opfern von Verschwörungsgeschichten wird - und damit erst recht nicht mehr handlungsfähig werden.

    Mit solchen Menschen kann dann keine Klimakatastrophe mehr aufgehalten werden. Hoffentlich ist all das nur ein böser Traum und es gibt ein Erwachen, bevor es zu spät ist.

    • @PolitDiscussion:

      "… Krieg der Umweltzerstörung …" - offensichtlich ist Ihnen die Bezeichnung als Krieg sehr wichtig. Wollen Sie hinaus auf Umweltschutz mit militärischen Mitteln international durchsetzen?

  • Es ist trotzdem großartig, dass Lula Bolsonaro besiegt hat. Ich war mir da vorher nicht so sicher. Die Welt wird nicht besser dadurch, dass man jede gute Botschaft hinter einer Negativschlagzeile versteckt.

  • Noch ist kein Kraut gewachsen gegen die mit der zunehmenden Faschisierung von Gesellschaften einhergehende Immunisierung gegen Humanität, Vernunft und Rechtsstaatlichkeit … das denkbar knappe Wahlergebnis in Brasilien - das mich persönlich eher enttäuscht hat -, bestätigt die düstere Prognose nur.



    Nein, der Bolsonarismus in Brasilien ist nicht geschlagen, ebenso wenig wie der Trumpismus in den USA oder rechtspopulistische Bewegungen bei uns in Europa. Und ihre wichtigsten Verbündeten sind religiöser Fanatismus und vor allem die politische Apathie/Desinteresse auch derjenigen, die keinem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild anhängen.

    • @Abdurchdiemitte:

      Die Schneise zwischen Arm und Reich drifted weiter auseinander. Öffentliche Güter wurden wegprivatisiert in den letzten Jahrzenten.

      Die Menschen haben Existenzängste und wählen leider oft rechtspopulistisch in solchen Situationen.

      KI selektierte Kommentar und Contenteinblendung - Zensur durch Computer von nicht gewinnbringenden Inhalten - tut den Rest. Und Musk hat nun Twitter. Schauen wir mal was das noch für folgen gerade für den Trumpismus hat, welchen Sie ansprechen.

    • @Abdurchdiemitte:

      Stimme dir voll zu. Wir haben in so vielen Ländern diese 50/50 Situation die ein regieren fast unmöglich und Opposition leicht macht. Lula übernimmt doch einen Bolsonaro Apparat und wird nicht alle Figuren austauschen können.



      Und dann, wie du ja auch schreibst diese lethargischen Nichtwähler oder Opportunisten. Sie können blitzschnell umschwenken (wenn ihnen etwas weh tut) und auf jeden Fall immer sagen: wusste ich doch, dass die das nicht besser machen.

      Ganz schwierige Situation für die Demokratien wo doch eigentlich gerade wichtige Richtungsänderungen anstehen (Klima, arm/reich, Biodiversität etc)