Postenrochade in Österreich: Endlich wieder geschachert
Österreich hat mit Karl Nehammer einen neuen Kanzler. Die Kabinettsbesetzung zeigt: Die ÖVP-Landeshauptleute haben wieder das Kommando.
Als Kanzler folgt Karl Nehammer, bisher als Innenminister für Polizei, Abschiebungen und Überwachung der Corona-Einschränkungen zuständig. Er hat in seiner Antrittsrede als designierter Parteichef am vergangenen Freitag die Pandemie als größte Herausforderung identifiziert. Schonzeit wird es nicht geben: Schon am Mittwoch steht die Entscheidung an, ob der gegenwärtige Lockdown beendet oder doch, zumindest teilweise, fortgesetzt wird.
Die Pandemiebekämpfung war auch der einzige inhaltliche Punkt, den Van der Bellen in seiner kurzen Rede vor der Vereidigungszeremonie ansprach: „Leider wissen wir nicht, womit uns das Virus noch überraschen wird.“ Und es wäre nicht Van der Bellen, wenn er die Gelegenheit nicht zu einer subtilen Rüge an die Adresse der Bundesregierung, speziell der ÖVP, genützt hätte: „Wir sollten keine falschen Erwartungen wecken und nichts versprechen, was sich später als nicht einhaltbar herausstellen wird.“ Eine klare Anspielung auf den Schwenk bei der Impfpflicht und auf die Schönwetterpolitik von Sebastian Kurz, der bereits das Ende der Pandemie für Geimpfte ausgerufen hatte.
Nehammer muss jetzt die durch den überraschenden Abgang von Sebastian Kurz erschütterte ÖVP zur Ruhe bringen und die seit 2020 bestehende Koalition mit den Grünen wieder in ruhiges Fahrwasser steuern. Jüngste Umfragen alarmierten die Spitzen der Politik mit dem Befund, dass nur mehr 25 Prozent der Bevölkerung Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Regierenden hätten. Mehrere Medien berichteten, Nehammer habe auch den Auftrag, die Grünen, die in jüngster Zeit zu selbstbewusst aufgetreten seien, wieder „einzufangen“.
„Mann fürs Grobe“
Dass Nehammers harte Linie gegenüber Asylbewerbern fortgesetzt wird, dürfte ihm der neue Innenminister Gerhard Karner garantieren. Er hat als Pressesprecher von Ernst Strasser vor 20 Jahren das damals rote Innenministerium binnen kürzester Zeit auf Schwarz umgefärbt, also durch Umstrukturierungen SPÖ-nahe Spitzenbeamte ausgebootet und loyale Parteigänger installiert. Karner, der zuletzt als zweiter Landtagspräsident in Niederösterreich waltete, gilt als „Mann fürs Grobe“. Seine Presseaussendungen, in denen er die Opposition wüst attackiert, sind Legende.
In den sozialen Medien unterstellt man ihm auch ein ambivalentes Verhältnis zur Demokratie – regiert er doch als Bürgermeister über die Heimatgemeinde des austrofaschistischen Diktators Engelbert Dollfuß, dem dort eine Gedenkstätte gewidmet ist. Sie setzt sich äußerst unkritisch mit dem Bundeskanzler der Ersten Republik auseinander, der 1933 das Parlament ausschaltete, die Sozialdemokratie verfolgen ließ und 1934 von den Nazis ermordet wurde.
Karl Nehammer hat sich bei seiner Personalauswahl erkennbar die Hand von den Landeshauptleuten führen lassen. Anders als Sebastian Kurz, der erkannt hatte, dass man die alte Tante ÖVP nur reformieren kann, wenn man die traditionellen Strukturen aufbricht: Kurz ließ sich 2017 bei seiner Kür zum Parteichef freie Hand geben, Posten mit Vertrauensleuten zu besetzen, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten von selbstherrlichen Landeshauptleuten oder die tradierten Ansprüche von Bünden.
Die ÖVP ist historisch gesehen eine Klammer für konservative Standesvertretungen, wie Bauernbund, Wirtschaftsbund und Arbeiter- und Angestelltenbund (ÖAAB). Zunehmende Bedeutung bekamen angesichts der alternden Anhängerschaft der Seniorenbund und zuletzt die Junge Volkspartei (JVP), das politische Sprungbrett für Sebastian Kurz.
Die alten Strukturen waren nie verschwunden
Die Besetzung von Posten war früher immer ein Balanceakt zwischen den Interessen von Bünden und Ländern. In sechs von neun Bundesländern stellt die ÖVP die Landeshauptleute. Niederösterreich ist das letzte Land, wo die Konservativen mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet sind und entsprechend selbstherrlich regieren.
Dass die alten Strukturen nie verschwunden waren, zeigte sich letzte Woche. Kaum war Kurz entmachtet, übernahmen die Landeshauptleute wieder das Kommando. Bildungs- und Wissenschaftsminister Heinz Faßmann, ein in Düsseldorf geborener Zuwanderer, musste über Nacht seinen Posten räumen, weil der steirische Landeshauptmann sein Bundesland in der Regierung vertreten wissen wollte. „Ich bin weder bündisch verankert noch einem Bundesland zuzuordnen“, nannte Faßmann in entwaffnender Offenheit den Grund für seine Abberufung.
Ihm folgt jetzt der 56-jährige Rektor der Universität Graz Martin Polaschek – vor allem deswegen, weil er Steirer ist. Der Jurist und Rechtshistoriker gilt als bunter Hund der akademischen Szene. Als vor zwölf Jahren die Studierenden in der Uni-brennt-Bewegung unter anderem gegen Zugangsbeschränkungen an den Unis rebellierten, kam er fast allen Forderungen der Revoluzzer entgegen. Sein besonderes Interesse gilt der NS-Justiz und deren Aufarbeitung durch die Nachkriegsjustiz.
Die 26-jährige Claudia Plakolm, derer Ernennung sich Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer rühmte, wechselt aus dem Nationalrat in ein neu geschaffenes Staatssekretariat für Jugend, das im Bundeskanzleramt angesiedelt ist. Einen Kevin Kühnert der ÖVP darf man dort nicht erwarten. Die Vorsitzende der Jungen ÖVP trägt ihr katholisch-konservatives Weltbild so demonstrativ vor sich her, dass es schon wehtut.
Das bisherige Staatssekretariat im Klimaministerium wird aufgelöst. Dessen Titular, der 49-jährige Jurist Magnus Brunner aus Vorarlberg, ist jetzt Finanzminister. In dieser Funktion dürfte Brunner die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler leichter in die Schranken weisen können, als bisher in deren Ministerium.
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