Porträt einer Shoa-Überlebenden übermalt: Angriff auf die Erinnerung
Unbekannte übermalen in Jerusalem ein Foto der Hamburgerin Peggy Parnass. Die Menschen hinter der Ausstellung vermuten religiöse Motive.
„Einzigartige Porträts“
Mehr als 250 Fotograf_innen aus über 20 Ländern haben sich inzwischen mit Porträts beteiligt, gerne werden die Porträtierten zu Hause gezeigt, in einer ihnen vertrauten Umgebung also. Erstmals präsentiert wurden diese „einzigartigen und unvergesslichen Statements“ Anfang 2020 zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz.
Seither sind in diesem Rahmen entstandene Fotos vielfach ausgestellt worden, so ist im Berliner Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD, am 27. Juni gerade ein „Lonka“-Gastspiel zu Ende gegangen. Unter den Gezeigten war dort auch Peggy Parnass, geboren 1927 in Hamburg, wo sie heute wieder lebt.
Ihr Bild, fotografiert von Axel Martens, ist wiederum in Jerusalem gerade das Opfer von Verunstaltung geworden – zum inzwischen dritten Mal. Umsonst und draußen, auf dem Safra-Platz gleich neben dem Jerusalemer Rathaus, sind seit April – und geplant noch bis August – 60 Fotos des „Lonka Project“ zu sehen, auch Martens’ drei Meter hohes Doppelportät der Schauspielerin, Publizistin und langjährigen Gerichtsreporterin.
Wie am Montag das Nachrichtenportal Times of Israel berichtete, haben Unbekannte Parnass’ Gesicht mit goldener Farbe übersprüht. Nicht frei von Ironie kommentierten schrieben die „Lonka“-Macher_innen selbst, die ausgestellten Fotos seien glücklicherweise mit Plastik überzogen: „Das trägt bei zu Textur und Farbreichtum der Reproduktion, aber auch zu ihrer Halt- und Waschbarkeit. In diesem Fall reichten Verdünnung, Papierhandtücher und reichlich Muskelkraft, die Farbe zu beseitigen.“
Es folgt in dem Statement die Hoffnung, der oder die Übeltäter_innen mögen nicht für ein viertes Mal wiederkommen – allerdings ohne weitere Mutmaßungen, wer hinter den Aktionen stecken könnte. Demgegenüber hatte Times of Israel noch den Halbsatz zitiert, wahrscheinlich sei eine Beteiligung „ultra-orthodoxer Jugendlicher aus der direkten Nachbarschaft“.
Viertel in besonderer Lage
Das ist plausibel aus zwei Gründen: Das umgebende Viertel Morasha – Arabisch „Musrara“ – trennt strenger orthodox geprägte Quartiere im Norden von eher säkularen im Süden. Rathaus und Safra-Platz liegen überhaupt auf der historischen Grenze zwischen West- und Ost-Jerusalem – und auf letzteren, historisch arabisch geprägten Teil der Stadt richten sich in diesen Tagen verstärkt die Begehrlichkeiten einiger radikaler jüdischer Siedler_innenfraktionen.
Und dass weiten Teilen des streng orthodoxen Spektrums die Darstellung von Frauen in der Öffentlichkeit als anstößig erscheint, dafür gibt es reichlich Belege: Der Möbelhersteller Ikea etwa legte vor einigen Jahren eine Fassung seines beliebten Katalogs für Haredim vor – aus der sämtliche Frauen getilgt waren. Medien des haredischen Spektrums verpixeln regelmäßig etwa Ministerinnengesichter.
2017 verpixelte das reichweitenstarke streng orthodoxe Medium Mishpacha alle Frauen – ausgerechnet auf einem Bild, das Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau zeigte. Und nachdem Haredi Wahlplakate von Rachel Azaria verunstaltet hatten, konterte die Jerusalemer Bürgermeisterinnenkandidatin, indem sie 2019 dafür sorgte, dass Poster mit Frauengesichtern auf die Busse in der Stadt kamen.
Times of Israel zitiert jetzt die Frauenrechtsorganisation Israel Women’s Network: mit den Worten, die Sache mit Parnass und dem Goldlack sei „schockierend, aber nicht überraschend“: Frauen-Bilder im öffentlichen Raum werden demnach täglich im ganzen Land zerstört. Das Jerusalemer Rathaus hat angekündigt, es werde erhöhte Sicherheitsmaßnahmen für die „Lonka“-Ausstellung prüfen.
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