Porträt des Performers Minh Duc Pham: „Mein Körper ist politisch“
Die Kunst von Minh Duc Pham ist queer und befreiend. Aufgewachsen ist er mit dem Gebot, niemals aufzufallen. Die Geschichte einer Verwandlung.
„Du musst dich immer anpassen und leistungsstark sein“, so beschreibt Minh Duc Pham die Maxime seiner Erziehung. Er wuchs als erster Sohn vietnamesischer Vertragsarbeiter*innen im sächsischen Erzgebirge und Vogtland auf. Gehorsam und gut in der Schule war er, unsichtbar fühlte er sich – das verinnerlichte Erbe einer Einwanderergeneration, die in Deutschland lange Zeit in Unsicherheit lebte.
Heute lebt Minh Duc Pham alles andere als angepasst; als queerer Künstler und Performer in Berlin und der Welt. Seine Skulpturen und Kostüme brechen konventionelle Geschlechterrollen auf. Hier wachsen und überwuchern Stoffe in Form von Lilien oder Lotus den Körper. Meterlange Schmuckketten ziehen sich wie Absperrungen durch den Raum. Blüten, Dekors und Körperhüllen erscheinen ebenso als Schmuck wie als Käfige in diesen Bildern. Seine Arbeiten begeistern die Dragkultur ebenso wie die Kunstgalerien.
In dem Spielfilm „Neubau“ von Johannes M. Schmidt, dessen geplanter Start im Dezember verschoben wird, verkörpert er die Liebe eines jungen Transsexuellen in der brandenburgischen Provinz. Der preisgekrönte Film steht für eine „neue Selbstverständlichkeit“ queerer Lebensweisen.
Als Performer trat Minh Duc Pham unter anderem im Haus der Kulturen der Welt in der Leseperformance „1000 Serpentinen Angst“ von Olivia Wenzel auf. Singend, lesend und frei erzählend lotet er dabei eine Identität aus, die noch auf der Suche und ständig gefordert ist. Da ist der Wunsch nach gleichberechtigter Zugehörigkeit und die dauernde Erinnerung daran, anders zu sein. Da ist die Angst vor Rassismus, aber auch die Erkenntnis der unbewussten Selbstablehnung durch ständige Herabschätzung. Da ist das Fehlen einer inklusiven Kultur und gleichzeitig die Erwartung, für die eigene Minderheit zu sprechen.
Zuschreibungen abstreifen
Pham kann viele Rollen spielen, vielleicht auch deshalb, weil es lange Zeit für ihn nur darum ging, sich von ihnen zu trennen; von dem Charakter, der sexuellen Identität, dem Verhalten, wie andere es ihm zuschrieben.
Minh Duc Pham wurde 1991 im erzgebirgischen Schlema geboren und wuchs in verschiedenen Kleinstädten der Region auf, wo seine Eltern Ladengeschäfte betrieben. Er besuchte wie seine beiden Geschwister das Gymnasium, erhielt aufgrund seines musikalischen Talents sogar eine vertiefte musikalische Ausbildung am Clara-Wieck-Gymnasium in Zwickau.
Die Erziehung zu Hause war streng. Mit den Kindern wurde ausschließlich Deutsch gesprochen wegen ihrer schulischen Leistungen. Als Junge durfte Pham nicht weinen. Und ein Teenagerleben nach westlichem Modell war nicht denkbar. Nach Hause kommen, wenn es dunkel wurde, um zehn in die Betten.
Von Gleichaltrigen wurde er oft nicht ernst genommen – zu angepasst, zu weich, zu feminin war er den Jugendlichen in seinem Alter. Er wurde auch gemobbt, manchmal wegen seines vietnamesischen Aussehens. Er färbte sich helle Strähnchen ins Haar um nicht die typisch asiatischen schwarzen Haare zu haben. „Ich wollte in der Masse verschwinden“, erklärt er. Seine schönsten Erinnerungen hat er an das Singen im Chor, denn „in einem Chor ist man gemeinsam an einer Sache dran. Jeder hat seinen Part und ist wichtig“.
Obwohl Pham einer sogenannten „Model Minority“ innerhalb der deutschen Gesellschaft angehört, fand er kaum Vorbilder für sich selbst. Weder in der Schule noch in den Medien sah er ein Gesicht wie seines, wurde eine Geschichte wie die seine oder die seiner Eltern erzählt, erinnert er sich. Seine besondere Disposition als Kind von Vertragsarbeiter*innen wurde nie zum Thema gemacht und lag wie ein unsichtbarer Schleier über ihm.
Anfang der 80er Jahre waren Phams Eltern in die DDR gekommen. In der Regel auf sechs Quadratmetern wurden die jungen Menschen aus Vietnam in Wohnheimen untergebracht. Ihre Arbeitsverträge waren befristet, Integration war nicht vorgesehen. Kontakt zu Einheimischen wurde nicht gern gesehen. Nach der Wende war ihr Aufenthaltsstatus noch bis 1997 unsicher. Wer keine Arbeit hatte, wurde zurückgeschickt. Viele – wie Phams Eltern auch – machten sich selbstständig. Schwer genug in der Nachwendezeit, in der die fremdenfeindliche Stimmung im Land, die auch in Gewalt ausbrach, wuchs. Es waren die Jahre von Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen.
Doppelt so gut
„Du musst immer doppelt so gut sein wie die anderen, du musst gehorsam sein und darfst nicht auffallen.“ So beschreibt Pham die (Über-)Lebensstrategie der vietnamesischen Gemeinschaft in Deutschland. Diese „Strategie der Unsichtbarkeit“ wird heute langsam als verbreitetes Phänomen in der Einwanderergruppe erkannt, der größten der ehemaligen DDR. Auch ihre Kinder verinnerlichten sie. „Ich bin unsichtbar gemacht worden. Und ich habe mich selber klein gemacht“, sagt Minh Duc Pham.
Noch heute ist Pham überdurchschnittlich diszipliniert, was ihn zum Teil dahin brachte, wo er heute ist: in den White Cubes der Hauptstadt und auf den Bühnen Europas. Aber anders als viele andere Kinder von Einwandererfamilien wählte er keinen sicheren naturwissenschaftlichen Beruf. Er studierte Architektur sowie Szenografie und Ausstellungsgestaltung in Karlsruhe und wandte sich dann der Performance, der Medien- und Designtheorie an der Universität der Künste in Berlin zu.
„Ich nahm mir immer mehr Raum“, sagt er. Nicht aus Selbstbewusstsein hätte er diesen kreativen, unsicheren Weg gewählt. „Mein Selbstbewusstsein war eigentlich unten. Das war Naivität. Und da war eine Dringlichkeit.“
Noch heute atmen seine Werke die Kraft dieser ersten großen Freiheit. Seine Kostüme verbinden die Extravaganz der Haute Couture mit dem queeren Pop der Dragkultur. In der bunten und offenen Ästhetik dieser Subkultur bricht Pham radikal die verinnerlichte Unsichtbarkeit auf. „Die Performance war der Zugang zurück zu meinem Körper“, sagt er, so als hätte er ihn einmal verloren.
Den Blick von außen brechen
Durch das Spiel mit Motiven und Praktiken der vietnamesischen Alltagskultur wie tropischen Blumenarten oder dem Nähen – typischer Frauenarbeit – versucht er, den „allgemeinen Blick auf diese Dinge zu brechen“. Dies ist ein Blick, den er kennt, der „sie“ oft bezeichnete; still, vorbildlich und gehorsam zu sein.
In der Performance holt sich Pham ein Stück weit die Kontrolle darüber zurück, wie sein Körper gesehen wird, welche sexuelle Orientierung, welche Eigenschaften und Rollen ihm zugeschrieben werden. „Mein Körper ist ein Medium. In dieser Funktion fühlt sich mein Körper sicherer an“, sagt er. Er vergleicht die Performance mit einer beliebigen Situation auf der Straße: „Hier ist mir nicht unbedingt klar, wie mein Körper da gesehen wird.“
Dass seine Kunst politisch ist, machte sich Pham erst vor etwa zwei Jahren so richtig bewusst. Da begann er sich mit anderen Menschen mit vietnamesischen Wurzeln zu vernetzen und über seine Erfahrungen zu sprechen – und erkannte, dass er nicht der Einzige ist, der sich unsichtbar fühlte. Er spricht von einem „internalisierten Rassismus“, der lange Zeit in Selbstablehnung umschlug.
Die Unsichtbarkeit kann Pham mit seiner überbordenden wie feinsinnigen Kunst aufbrechen, die Blicke von außen nur bedingt. Aber heute ist er sich – anders als früher – dessen bewusst: „Ich habe gar keine andere Wahl, als politisch zu sein, weil für meine Umwelt allein schon mein Körper politisch ist.“
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