Porno regulieren: Nicht zu ignorieren
Eine von der Landesmedienanstalt NRW beauftragte Studie zeigt, dass Minderjährige oft unfreiwillig auf pornografische Inhalte im Netz stoßen.
Dass ungehinderter Pornozugang für Kinder und Jugendliche schädlich sein kann, liegt auf der Hand. Jetzt belegt eine aktuelle Studie, die die Landesmedienanstalt NRW (LfM) in Auftrag gegeben hatte, dass die Konfrontation Minderjähriger mit pornografischen Inhalten häufig unfreiwillig passiert und einen großen Einfluss auf die eigene Sexualität und das eigene Sexting-Verhalten ausübt. Über ein Drittel der befragten 11- bis 17-Jährigen gab an, einen Porno gesehen zu haben, der Großteil von ihnen sei dabei nicht freiwillig auf die Inhalte gestoßen.
Nur ein Drittel in der Evaluationsgruppe schätzte die Darstellungen als unrealistisch ein. Knapp ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen hat demnach auch schon Erfahrungen mit Sexting gesammelt. Von denjenigen, die bereits mehrfach Sexting-Nachrichten versendet haben, tun das Mädchen im Alter von 11 bis 13 Jahren besonders häufig. Ein Drittel der Minderjährigen hat solche Inhalte ohne Zustimmung versendet, fast genauso viele haben entsprechende Nachrichten weitergeleitet.
„Dabei kann es sogar rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, denn die Verbreitung von Kinder- und Jugendpornografie ist strafbar“, mahnt die Medienaufsichtsbehörde.
„Wie sollen Kinder und Jugendliche ein Verständnis für die gesetzlichen Grenzen von ‚sexueller Kommunikation‘ im Netz, also Sexting, entwickeln können, wenn sie bereits mit 14 regelmäßig und ungewollt mit stärksten Formen der Pornografie konfrontiert werden?“, empört sich LfM-Chef Tobias Schmid. Die Studie mache „einmal mehr“ deutlich, dass das Durchsetzen der gesetzlichen Jugendmedienschutz-Standards vor allem zum Schutz von Kindern gar nicht hoch genug bewertet werden könne.
Zahlreiche Prozesse
Schon seit Längerem versucht die Behörde, Pornoportale wie Pornhub oder Xhamster zu verpflichten, Altersverifikationssysteme für den deutschen Markt einzurichten, damit der gesetzlich verankerte Jugendmedienschutz gewährleistet ist. Dazu hat sie bereits zahlreiche Prozesse geführt und auch gewonnen, so zuletzt beim grenzüberschreitenden medienrechtlichen Verfahren gegen die Portale YouPorn, Pornhub und MyDirtyHobby mit Sitz in Zypern, die als Tochterfirmen zu der in Kanada ansässigen Ethical Capital Partners gehören. Das Verwaltungsgericht in Düsseldorf hatte zuletzt, Ende April, die Rechtsauffassung der LfM bestätigt und die Klagen der Ethical-Capital-Partners-Firmen abgewiesen.
Theoretisch müssten die Anbieter die Forderungen nach Altersverifikation jetzt sofort umsetzen. Theoretisch. Da sie es nicht tun, muss die Landesmedienanstalt sich nun an den technischen Dienstleister wenden, der die Angebote ins Internet bringt. Doch der sitzt in den USA und wird wahrscheinlich die Forderungen ignorieren. Erst wenn das feststeht und die nötigen Verfahren abgeschlossen sind, kann sich die LfM an die Access-Provider hierzulande, beispielsweise Telekom oder Vodafone, wenden, damit die unverschlüsselten Sex-Seiten gesperrt werden. Ob die Provider in Deutschland dem Anliegen der Medienhüter dann nachkommen, bleibt ebenfalls fraglich, denn sie sehen die Freiheit der Zugänglichmachung von Inhalten als hohes Gut.
Bei der LfM indessen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht um ein Verbot der Inhalte, sondern um die Darreichung der Inhalte, also den nicht vorhandenen Jugendschutz, geht. Die Vorsitzende Richterin in Düsseldorf hatte allerdings bereits klargemacht, dass sie wegen vieler offener Fragen beim EU-Recht eine Berufung am Oberverwaltungsgericht zulassen werde. Und die Portale aus Zypern haben jetzt Berufung eingelegt.
Dabei geht es weniger um die Frage der Inhalte, sondern darum, ob eine deutsche Behörde solch weitreichende Restriktionen in der digitalen Welt anordnen und umsetzen darf und ob der Kinder- und Jugendmedienschutz höher zu bewerten ist als der freie Zugang zu nicht strafbaren Inhalten.
In Staaten wie Frankreich und England mehren sich inzwischen ebenfalls die Stimmen, die den ungehinderten Zugang zu Pornografie einschränken wollen.
Ob und wie das jemals umgesetzt werden kann, muss wohl auf EU-Ebene geklärt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin