Popkultur aus Südkorea: Die koreanische Welle
Koreanische Filme, Bands und Beautytrends begeistern weltweit. Doch der Aufstieg koreanischer Popkultur hat auch Schattenseiten.
Warum willst du weg?“, fragen ihre Klassenkameraden. „Weil Koreaner:innen nie den Nobelpreis gewinnen“, antwortet die Protagonistin Nora im Film „Past Lives“ von 2023. Nur ein Jahr später wird die Geschichte neu geschrieben: Mit Han Kang gewinnt das erste Mal eine Person aus Südkorea den Literaturnobelpreis.
Es ist nicht nur ein Triumph für südkoreanische Literatur, sondern auch ein Symbol für die wachsende kulturelle Bedeutung Südkoreas auf der Weltbühne in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Südkorea ist aus der globalen Popkultur heute nicht mehr wegzudenken. Was einst als lokales Phänomen begann, hat sich dank Streaming-Plattformen und sozialer Medien zu einem globalen Hype entwickelt.
Serien wie „Squid Game“, Filme wie „Parasite“ und Bands wie BTS haben das Land international bekannt gemacht. Dabei ist die wachsende Begeisterung für koreanische Kultur nicht nur auf Musik und Serien beschränkt – auch die Sprache, Beautytrends und die Küche des Landes haben eine globale Anhängerschaft gefunden.
Dieser kulturelle Aufstieg Südkoreas hat einen Namen: Hallyu, die „koreanische Welle“. Nach der Asienkrise von 1997 befand sich Südkorea in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Die damalige Regierung erkannte das Potenzial der Kulturindustrie als wirtschaftlichen Motor und Rettung aus der Krise.
Startschuss in den 1990ern
Von da an wurde viel Geld in den Export und die Globalisierung koreanischer Kultur investiert mit dem Ziel, koreanische Filme, Serien, Musik und andere kulturelle Produkte auf der Weltbühne zu etablieren und das Image Südkoreas im Ausland grundlegend zu wandeln.
Startschuss der ersten koreanischen Welle war die Serie „What is Love“ 1997, die zum ersten Mal nicht nur im koreanischen Fernsehen, sondern auch in China ausgestrahlt und zu einem großen Erfolg wurde. Lange dauert es nicht und die Welle schwappte auch in benachbarte Länder wie Japan, Taiwan, Vietnam und Thailand. Nicht nur koreanische Serien, auch die ersten K-Pop-Bands fanden hier großen Anklang.
Bis K-Pop zu einem weltweiten Phänomen wurde, vergingen einige Jahre. 2012 galoppierte dann Psy mit seinem viralen Hit „Gangnam Style“ über die globale Bühne. Der schrille Ohrwurm und die dazu passende, einprägsame Choreografie waren plötzlich überall zu sehen – in TV-Shows, bei Flashmobs und in unzähligen Online-Parodien. Als erstes Video überhaupt knackte „Gangnam Style“ die Marke von einer Milliarde Youtube-Aufrufen und katapultierte K-Pop damit ins Rampenlicht.
Den tatsächlichen Durchbruch schaffte die koreanische Gruppe BTS, die 2013 ihr Debüt feierte. Ihnen gelang etwas, was für koreanische Künstler zuvor unerreichbar schien: Sie platzierten mehrere Alben auf Platz 1 der US Billboard 200 und durchbrachen damit die westliche Musikszene.
K-Pop begeistert die Massen
Die 2010er Jahre waren das Jahrzehnt, in dem die „Hallyu“-Welle, angeführt vom K-Pop, die Welt eroberte. Bands wie BTS, EXO und Blackpink dominierten nicht nur die internationalen Charts, sondern standen auch auf den größten Bühnen der Welt und versammelten eine globale Fangemeinde hinter sich. Heute gibt es weltweit über 200 Millionen Hallyu-Fans, und die Zahlen wachsen stetig.
Mein Einstieg in die koreanische Popkultur begann nicht etwa mit dem weltweiten Phänomen „Gangnam Style“ von Psy oder der Megaband BTS, sondern auf ganz andere Weise – über Serien, genauer gesagt K-Dramen. Zu Beginn der Coronapandemie hatte ich das Gefühl, wirklich alles auf Netflix gesehen zu haben. „O.C.“, „California“ und „Gilmore Girls“ zum zigsten Mal durchzubingen, war auch keine Option mehr.
Als mir dann eine koreanische Serie empfohlen wurde, war ich zunächst skeptisch. Doch meine Neugier siegte, und so klickte ich auf Play – und war augenblicklich gefesselt. Die Handlungen sind oft vertraut: Es geht um Erfolge wie vom Tellerwäscher zum Millionär oder unerwartete Liebe zwischen zwei Welten (zum Beispiel reicher Erbe und einfache Arbeiterin). All dies wird in einer hochwertig produzierten Form präsentiert, mit überattraktiven Schauspieler:innen und in der Regel in einer „bingeable“ Länge von 16 Episoden.
Durch diese Serien entdeckte ich nicht nur die koreanische Kultur, sondern entwickelte auch ein Interesse für die Sprache und Musik. In diesem Jahr kam dann eine besondere Gelegenheit: Ich hatte mir ein Ticket für das Lollapalooza Festival in Berlin gekauft. Dort trat die K-Pop-Band Seventeen auf. Die 13-köpfige Band ist schon fast ein Jahrzehnt im Geschäft und zählt zu den etablierten Gruppen im K-Pop, ist bisher aber noch nie in Deutschland aufgetreten. Der Gedanke, dass sie dort ihre Premiere feiern würden, löste bei mir Vorfreude aus.
Banner und T-Shirts von Seventeen
Die Begeisterung der Fans war unübersehbar: Die Anhänger*innen – die sogenannten Carats – campten bereits im Morgengrauen und waren mit typischen K-Pop-Fanartikeln wie den ikonischen Lightsticks ausgestattet. Überall liefen Fans in selbstgemachten T-Shirts und mit Bannern herum, die Seventeen gewidmet waren. Der Auftritt selbst war ein klassisches K-Pop-Spektakel – energiegeladen und perfekt synchronisierte Choreografien. Die gesamte Performance unterstrich einmal mehr, warum K-Pop-Stars als Allround-Performer gelten.
Doch hinter dem Glanz und der Perfektion des Auftritts verbirgt sich eine harte Realität, die nicht immer so strahlend ist. Der Balanceakt zwischen Erfolg und enormem Druck wurde einige Monate später, auch durch einen Instagram-Post des Seventeen-Bandmitglieds Seungkwan, beleuchtet.
Der 26-Jährige sprach Ende Oktober offen über die oft toxische Unternehmenskultur, den mentalen Druck und die gesundheitlichen Auswirkungen der Branche: „Ich wollte nur mein Bestes geben und Verantwortung für meine Arbeit übernehmen, meinen Fans, die mich lieben, etwas zurückgeben und ihnen positive Energie auf verschiedenste Weise zukommen lassen. Tatsächlich ist die Belastung für Körper und Geist, die ich empfinde, oft so groß, dass ich es kaum in Worte fassen kann.“
Während die Welt auf die glamouröse Seite des K-Pops schaut, so sieht man hinter den Kulissen die Schattenseite der Industrie, die die tief verwurzelten Probleme Südkoreas widerspiegelt. Wie viele andere K-Pop-Idole durchliefen auch Seventeen das strikte und intensive Training, das typisch für die Industrie ist. In Interviews erzählen K-Pop-Stars von ihren Erlebnissen.
Trainees verbringen oft 12 bis 16 Stunden täglich in langen Trainingseinheiten. Gesangs- und Tanzunterricht wechseln sich mit Sprachtrainings in Englisch und Japanisch ab, um die Jugendlichen auf den internationalen Markt vorzubereiten. Bereits im Alter von 12 oder 13 Jahren unterzeichnen die Trainees restriktive Verträge mit ihren Agenturen.
Keine Beziehungen, keine Handys
Diese Verträge beinhalten nicht nur Vorgaben für den künstlerischen Werdegang, sondern auch Kontrollen über ihr persönliches Leben. Romantische Beziehungen sind verboten, ebenso der Zugang zu Handys. Auch das äußerliche Erscheinungsbild wird genau überwacht, mit strengen Diäten und Schönheitsoperationen. Es ist verstörend und besorgniserregend, dass diese talentierten Jugendlichen in einer Zeit, in der sie sich körperlich und psychisch entwickeln, durch exzessives Training und unrealistische Schönheitsideale stark belastet werden.
Der extreme Karrieredruck, dem K-Pop-Idole ausgesetzt sind, spiegelt den umfassenden Leistungsdruck wider, der die südkoreanische Gesellschaft durchdringt. Das Streben nach Erfolg treibt einen unerbittlichen Konkurrenzkampf und eine Kultur der Perfektion an. Dieser immense Druck hat in einigen Fällen zu Suiziden geführt – sowohl unter Idolen als auch in der breiten Gesellschaft.
Der Begriff „Hell Joseon“ beschreibt die Wahrnehmung vieler, dass die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Joseon-Dynastie (1392 bis 1910) heutigen Problemen ähneln, in denen eine kleine Elite herrscht und der Großteil der Bevölkerung in erheblicher Armut lebt.
Junge Menschen fühlen sich in einer gnadenlosen Wirtschaft gefangen, in der nur wenige Zugang zu renommierten Universitäten und gut bezahlten Jobs haben. Die „koreanische Welle“ hat zweifellos beeindruckende Erfolge und kulturelle Bereicherung für die Welt gebracht hat, doch sie hat auch einen hohen Preis.
Kein reiner Erfolg
Als K-Pop-Fan fällt es mir schwer, das glänzende Bild, das uns vermittelt wird, völlig unkritisch zu feiern. Die kraftvolle Performance auf der Bühne, die perfekten Choreografien und die makellosen Gesichter verbergen oft ein System, das von Leistungsdruck und Kontrolle geprägt ist und junge Talente an ihre Grenzen bringt.
Für mich bleibt die Hoffnung, dass die Begeisterung für die koreanische Kultur auch als Chance gesehen wird, um über Missstände und nötige Veränderungen zu sprechen. Fortschritt zeigt sich nicht nur im globalen Erfolg, sondern auch darin, wie eine Gesellschaft auf das Wohl ihrer Menschen achtet – und genau das darf man bei aller Faszination für K-Pop nicht vergessen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!