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Polizeiruf 110: „Little Boxes“Ein bisschen Gesellschafts­satire

Ein Mord am Institut für Postcolonial Studies löst eine Grundsatzdebatte aus. Der Krimi spielt mit überzeichneten Figuren – was teilweise gelingt.

Kommissarin Cris Blohm beobachtet ihren Kollegen Nebenraum Fnan Berhe bei der Vernehmung Foto: Hendrik Heiden/BR

Der Titel des Münchner „Polizeirufs“ führt zu einem Trugschluss. Denn „Little Boxes“ passt ganz und gar nicht in irgendeine Box des klassischen Sonntagskrimis. Wer sich auf nervenaufreibende Spannung, unlösbare Verstrickungen und am Ende einen sprühenden Geistesblitz der Ermittelnden freut, wird hier enttäuscht.

Trotzdem ist die Analogie zum Song der US-amerikanischen Aktivistin Malvina Reynolds aus den 60ern klug gewählt. In ihrem Lied fungieren die „Little Boxes“ als satirische Metapher für vorgefertigte Häuser in den Vorstädten. Im neuen Polizeiruf sind damit die festgefahrenen Haltungen der Personen gemeint.

Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Postcolonial Studies wird tot aufgefunden. Auf seinem Rücken steht in blutroter Farbe „Rapist“. Es ist der erste Fall für Kommissarin Cris Blohm (Johanna Wokalek). Sie führt ihre Kollegen Dennis Eden (Stephan Zinner) und Otto Ikwuakwu (Bless Amada) ins Universitätsmilieu.

Schnell merken sie, dass sie hier nicht willkommen sind, sie stoßen auf Schweigen und hämische Zurufe. Die Ermittlungen gehen nur schleppend voran. Häppchenweise werden neue Erkenntnisse serviert: Tatzeit, Todesursache, Tatverdächtige. Doch der Mord wird zweitrangig, im Fokus stehen der Vergewaltigungsvorwurf und Grundsatzdiskussionen über Rassismus und Sexismus.

Der Krimi

„Polizeiruf 110“: „Little Boxes“, So., 17.9., 20.15 Uhr, ARD und in der ARD-Mediathek

Starre Standpunkte und scheiternde Kommunikation

Blohm, Eden, Ikwuakwu sowie die Studierenden und Lehrenden – sie alle verkörpern die unterschiedlichsten Positionen in diesen Diskussionen. Ihre Haltungen prallen kompromisslos aufeinander. Die Schau­spie­le­r:in­nen setzen diese überzeichneten Figuren überzeugend um: Etwa Lise Risom Olsen als Unidozentin, die sich als „Professex“ nicht der binären Geschlechterordnung unterordnen möchte. Oder Stephan Zinner als gutbürgerlicher Kommissar Eden, der mit den intellektuellen Sexismus- und Rassismusdiskussionen wenig anfangen kann und das Ganze auf Stammtischniveau bringt.

Der Plot lebt von der überspitzten Darstellung starrer Standpunkte und scheiternder Kommunikation. Zwischen Aussagen wie „Ehrgeiz ist nicht unbedingt eine attraktive Eigenschaft für eine Frau, vor allem für eine gutaussehende“, „Es ist grundsätzlich immer Vorsicht geboten, wenn ein Hetero-cis-Mann einen Raum betritt“ oder „Is ois oiwei gleich Rassismus?“ gibt es keinen gemeinsamen Nenner. Durch den ironischen Ton wirken die Positionen bizarr. Genau da macht dieser Krimi vieles richtig: Er provoziert. Als Zu­schaue­r:in fühlt man sich ertappt in den eigenen Vorurteilen, egal in welcher Box man sitzt.

Doch so gut man sich auch unterhalten fühlt, an einem Punkt scheitert die Ironie. Denn all jene mit liberalen Haltungen kommen durchweg schlecht weg. Die Studierenden und Lehrenden der Postcolonial Studies wirken befremdlich, fast schon bekloppt. Alle anderen werden humoristisch normalisiert, in die Kom­mis­sa­r:in­nen kann man sich emotional hineinversetzen.

Doch zum Glück gibt es genug, was davon ablenkt: die Musik von Dolly Parton über Paul McCartney bis Michael Jackson. Oder die schauspielerische Leistung von Wokalek, die mit ihrer humorvollen Art der Rolle als Hauptkommissarin mehr als gerecht wird. Die szenische Aufbereitung punktet mit langen Fernaufnahmen. Und schlussendlich schafft auch der Inhalt eines zweifellos: Er rüttelt auf, er ist unangenehm. Und er beweist einmal mehr: Nur wer zuhört, kann verstehen.

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16 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Was die Auseinandersetzung mit Diskriminierung, insbesondere im postkolonialen Zusammenhang angeht, war diese Folge durchaus vielschichtig. Allerdings hat sie eben auch diejenigen bedient, denen an der Bestätigung von Klischees gelegen ist, um ihre Ressentiments zu unterfüttern. Es mag durchaus sein, dass "Wokeness", wenn sie ad absurdum geführt wird, manchen auf die Nerven geht. Auch kann der Vorwurf der Diskriminierung in passiv-aggressiver Weise genutzt werden, um jemand in die Enge zu treiben, der sich vielleicht einfach nur unbedacht verhalten oder missverständlich ausgedrückt hat. Perfider Missbrauch der Rolle eines vorgeblichen Opfers oder Beschützers ist nicht ausgeschlossen. Aber ich verstehe andererseits auch nicht, was dagegen sprechen sollte, sich etwa mit eigenen Privilegien - ob nun ethnisch oder anderweitig bedingt - reflektiert auseinanderzusetzen. Entweder scheint dies an einer antiintellektualistischen Abneigung gegen Reflexion als solche zu liegen, oder den betreffenden Leuten liegen ihre Privilegien eben ungemein am Herzen, auch wenn sie letztlich auf (freilich historisch verjährten) Begebenheiten beruhen, die heute vom Standpunkt der Menschenrechte aus betrachtet als Unrecht erscheinen müssen. Aber viele sind offenbar der Meinung, dass durch Gewohnheitsrecht rückwirkend die Mittel geheiligt werden. Was allgemein verbreitet ist und gesellschaftlich als Kavaliersdelikt durchgeht - Diskriminierung im Alltag und struktureller Rassismus - wie kann es das wert sein, den braven Bürger in seiner behaglichen Selbstgefälligkeit zu irritieren? Nun, er wird es sich gefallen lassen müssen, wobei es freilich auch den Kritikern gut ansteht, nicht selbst in eine solche Rolle, nur mit umgekehrten Vorzeichen zu verfallen. Und so bleibt eine Feststellung Adornos zeitlos aktuell: "Die rastlose Selbstzerstörung der Aufklärung zwingt das Denken dazu, sich auch die letzte Arglosigkeit gegenüber den Gewohnheiten und Richtungen des Zeitgeistes zu verbieten."

  • ich hatte es eben schon in einer Antwort erwähnt, aber vielleicht auch noch mal als eigener Beitrag: der ganze Film war aus meiner Sicht auch eine Hommage an diesen Artikel:

    taz.de/Kolumne-Besser/!5068913/

    Ob Herr Yüksel beteiligt wurde, ist mir allerdings nicht bekannt, geehrt fühlen darf er sich allemal.

  • Ich schlage vor, Sie und Fragezeichen sehen sich auf Youtube ein paar Dokus mit den Stichworten "Weinstein" und "Evergreen" an, wo sehr ausführlich auch die Aktivisten zu Wort kommen (was allerdings für diese kein Vorteil ist). Danach werden Sie möglicherweise den Vorwurf nicht mehr erheben, hier wäre ein Zerrbild entworten worden.

    Übrigens war für ältere taz-Leser ein schönes Zitat untergebracht....aus einer sehr umstrittenen Veranstaltung zu einem sehr umstrittenen Thema. Allein das unterstreicht schon den satirischen Anspruch des Films.

  • Ich bin auch alt und weiß und tue mich mit Veränderung mitunter schwer, aber was hier im Kopf des alten weißen Autors spukt, entsetzt mich.



    Satirisch verarbeiten und karikierend darstellen kann man nur, was man verstanden hat. Weder Autor noch Schauspieler*innen haben hier irgendetwas verstanden.



    Mit all ihrem Unverständnis zeichnen sie ein komplett unreflektiertes, rechtsentgleisendes Zerrbild der (wissenschaftlichen) Auseinandersetzung mit Patriarchat, Mackerkultur und Rassismus. Lustig ist daran goa nix.



    Über solch eine flache 1:1-Wiedergabe patriarchaler Stammtisch-Klischees und hysterischer Angstphantasien von angeblicher "Cancel-Culture" können womöglich nicht mal mehr Privilegien-Junkies, Gewohnheits-Sexisten oder Herrenwitzbolde wie Harald Schmidt, Thomas Gottschalk oder Didi Hallervorden lachen. Satire ist das nicht.



    Das ist dümmliche "Kackscheiße", dem Zementieren eh schon festgefahrener Strukturen in unseren Köpfen und unserer Gesellschaft und dummrechter Instrumentalisierung zu Diensten.



    Was bitte soll so eine »In-1000-Jahren«-Floskel?

    Und was hat eigentlich das Zerrbild der vermeintlich "linken" WG mit 1980er-Schluffityp und veganer Speziesismuskritik in dem Kontext zu suchen? Ziemlich lost. Noch ne schräge Phantasie.



    Aber Phantasien haben ja auch Kritiker*innen: wo Franziska Mayr "Professex" hört, heißt es im Film ganz profan "Profex", und wo @Fragezeichen ein Messer in einer Vagina sieht, ist nur eine aufgeschlitzte Pulsader.

  • Was ist daran humorvoll, dass die Menschen in den queeren Genderstudies entweder als Eisberg oder dumm und als Beispiele von privilegierter Unmenschlichkeit repräsentiert werden? Und die Mitarbeiterin aus Afrika so, dass sie sich am Ende ein Messer in die Vagina sticht? Welche und wesssen Phantasien und Humorbedürfnisse werden da befriedigt.



    Der Tatort verdient den Titel: Angstmachen vor Genderstudies frü Dummies

    • @Fragezeichen:

      "Und die Mitarbeiterin aus Afrika so, dass sie sich am Ende ein Messer in die Vagina sticht?"

      Da hast du wohl den falschen Film geguckt, derartiges ist in Polizeiruf 110 Little Boxes nicht passiert.

      Übrigens hat der Film Menschen "in den queeren Genderstudies" als sehr engagiert dargestellt.

      Aber wer nur nach negativem sucht, erfindet es halt notfalls auch einfach

      ¯\_(ツ)_/¯

      • @Freeflight:

        sorry, da hab ich wohl zu früh weggesehen - sie hat sich 'nur' die Pulsader aufgeschnitten, während die Kamera auf sie und ihren Unterleib hielt; tut mir leid. Ansonsten finde ich die Darstellung engagierter inhumaner Eisberge halt nicht lustig, sondern humorlos verzerrend

  • AfD, Rechte und Nazis werden ihre helle Freude haben an den überzeichneten Karikaturen der "Wokeness". Genauso stellen sie diese hin. Die wenigen zarten Realtivierungen (meistens durch die Komissar*) und der aufrüttelnde Schluss reißen da nicht wirklich was raus.

    • @ASRA:

      AfD, Rechte und Nazis (=Faschisten), würden diese überzeichneten Karikaturen nicht als solche erkennen, sondern für eine sachlich neutrale Darstellung halten. Würden, weil die eh keine Öffis schauen. Die sind aus deren Sicht "linksgrünversiffter Staatsfunk". Sollte die AfD jedoch weiterhin erfolgreich die Demokratie mit demokratischen Mitteln überwinden (wie schon ihre Vorläufer vor ca. 90 Jahren), dann werden die Staatsfunk plötzlich auch ganz toll finden. Ähnliches hat sich ja auch schon bei unseren östlichen Nachbarn mit der FPÖ angedeutet. Oder bei der Affinität rechter "Staatsfunkkritiker" zum russischen Staatsfunk.

    • @ASRA:

      AfD, Rechte und Nazis werden den Film nach 5 Minuten abgeschaltet haben.

  • Glückwunsch Frau Mayr,



    ich habe die Kommentare - Zerrisse - im Spiegel und in der FAZ gelesen. Humor in Bezug auf Gendern, das geht für die nicht. Die haben solche Angst, als Sexisten bezeichnet zu werden.



    Gott sei Dank, es gibt die TAZ.



    (Normalerweise lese ich die TAZ, wenn ich mich mal richtig ärgern will, aber diesmal hat's nicht geklappt)

    • @Stumm Roland:

      Ich habe den Film aus der "Polizeirufreihe" gestern mit Interesse angesehen und genauso die Filmkritik von Franziska Mayr hier. War dann neugierig und habe die entsprechende in der FAZ gelesen. Die verblasst nur so gegen das, was Franziska Mayr hier an Qualitätsarbeit "Filmkritik" bietet. Schon dass sie den "ironisch-satirischen Modus" des Films berücksichtigt und nicht abtut, ist eben klug. Dass geht dann beobachtend und gedanklich differenzierend weiter, so dass der Standpunkt, die Meinung der Autorin am Ende des Artikels zu überzeugen versteht.



      Will hier nicht auf Oberzensor machen. Ich sage nur: Da hat eine Autorin etwas zu sagen.

  • "Im neuen Polizeiruf sind damit die festgefahrenen Haltungen der Personen gemeint."

    Ich kannte den Song "Little Boxes" von früher und hatte ihn immer als ein ironisch-sarkastisches Lied über eine gleichförmige Gesellschaft mit gleichförmigen "Karrieren" verstanden. Wogegen die Intro-Sequenzen des Films die extreme Verschiedenheit der Menschen in der Großstadt zeigten: Diversity. Und dann die - durchaus übersteigerten - Folgen ins extrem getriebener Ideologien, die hier aufeinander trafen und jegliche Verständigung im Sinne eines rationalen Umgangs verunmöglichten.

  • Leider sind die Studenten keineswegs komplett überzeichnet. Die gibt es durchaus auch an dt Universitäten und ich habe vor längerer Zeit mal eine Dokumentation über einen Professor (Weinstein, nicht der Produzent) an einer fortschrittlichen Uni gesehen mit realen Bildern. Die Studenten dort, die gezeigt wurden, waren exakt so.

    • @Dr. McSchreck:

      Das Profex gab es auch real ...

      • @Erwin Schiebulski:

        stimmt - und spätere reale Vorfälle in Berlin an der HU in diesem Fachbereich könnten durchaus Einfluss aufs Drehbuch gehabt haben.