Polizeigewalt in Tschechien: Tschechiens George Floyd?
Ein Rom stirbt nach der Festnahme. Ein Polizist soll ihm sein Knie ins Genick gedrückt haben. Laut Autopsie haben Drogen den Tod des Mannes verursacht.
Kurz darauf ist der junge Mann, der der Minderheit der Roma angehört, tot. Er stirbt noch im Krankenwagen, den die Polizisten gerufen hatten. Wie der junge Mann, der nach diesem etwa vierminütigen Polizeieinsatz am Samstag im nordböhmischen Kurort Teplice (Teplitz-Schönau) gestorben ist, zu Lebzeiten genannt wurde, scheint irrelevant. Der Tod hat ihm einen neuen Namen gegeben: „George Floyd“. Um genau zu sein, der „tschechische George Floyd“. Denn da kommt einiges zusammen: Rom, Polizei, Knie, Hals, Tod.
Videoaufnahmen vom Polizeieinsatz und auch davon, was dazu geführt hat, unterstützen dieses Narrativ allerdings genauso wenig wie die Autopsie. Die hat bestätigt, was Aufnahmen, die den eigentlichen Grund des Polizeieinsatzes belegen, ahnen lassen: Der „tschechische George Floyd“ verfügte offensichtlich über eine weitaus niedrigere Methamphetamin-Toleranz, als das amerikanische Vorbild, das Roma und Menschenrechtsaktivisten seit dem Zwischenfall beschwören.
Laut Autopsie soll das Opfer eindeutig an einer Überdosis gestorben sein. Zudem bestätigen Zeugen des Polizeieinsatzes sowie eine Analyse der Videoaufnahmen, dass der Polizist nicht auf dem Hals des Festgenommen kniet, sondern ihm das Knie von hinten ins Genick drückt.
Verwirrt und aggressiv
Warum die Polizei überhaupt zugegriffen hat, ergibt sich aus einem Überwachungsvideo von der Straße, kurz vor dem Einsatz. Nur mit Hose bekleidet läuft der Mann, offensichtlich verwirrt und aggressiv schreiend, auf einer leer wirkenden Straße hin und her, bis er endlich ein Auto findet, auf das er immer wieder einschlägt.
Eine Kausalität zwischen Polizeieinsatz und Hautfarbe scheint in diesem Fall etwas zu konstruiert, da der Einsatz eindeutig auf das Verhalten und nicht die Herkunft des Mannes zurückzuführen ist. Das Narrativ eines „tschechischen George Floyd“ scheint dabei allerdings zu schön, um es so leicht aufzugeben.
Auch wenn die Geschichte bislang völlig anders aussieht und keine Beweise oder Indizien aufgetaucht sind, die die offizielle Version anzweifeln, halten Roma-Aktivisten daran fest, ihren „George Floyd“ gefunden zu haben. Sie versuchen, den Tod des jungen Mannes zu instrumentalisieren, um auf die Probleme der Roma in Tschechien aufmerksam zu machen.
Und diese haben in der Tat viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Und vor allem Aufklärung. In Tschechien ist Antiziganismus so alltäglich, wie das Bier nach Feierabend. Die tschechische Gesellschaft nimmt die Ausgrenzung der Roma, die schon in der Grundschule anfängt, nicht als Rassismus wahr. Sondern als natürliche Reaktion darauf, dass die Roma „unangepasst“ sind. Und anders.
Diskriminiert und stigmatisiert
Anders bedeutet in Tschechien, selbst in der tschechischen Sprache, auch andersartig. Die Roma wurden nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Slowakei nach Tschechien geholt. Sie sollten unter anderem den Bevölkerungsverlust ausgleichen, der durch die Vertreibung von 3 Millionen Deutschen entstanden war. Seitdem gelten sie als anders. Sie „hätten es halt im Blut“, sagen die Tschechen gern, aber Rassist sei man deswegen nicht. Die Roma, so der Konsens in der Gesellschaft, müssten sich anpassen.
Wie sie sich in einer Gesellschaft anpassen sollen, die sie diskriminiert, stigmatisiert und von Grund auf ablehnt, bleibt allerdings offen. Die Roma gelten als „Untouchables“, je weniger man von ihnen mitbekommt, desto besser ist das für die Mehrheitsgesellschaft. Statt Integration setzt man auf Ausgrenzung und Ghettoisierung. Es ist der alltägliche Rassismus, der den Roma in Tschechien den Atem nimmt und sie nach unten drückt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit