piwik no script img

Polizeigewalt in FrankreichAnklage gegen Polizisten

Gegen die vier Beamten, die einen schwarzen Musikproduzenten attackierten, wurde Anklage erhoben. Am Wochenende gab es landesweite Proteste.

Ruhmreiche Republik? Ein Graffito fordert den Rücktritt des Innenministers Foto: Thomas Coex/AFP/dpa

Paris afp | Wegen eines Angriffs auf einen schwarzen Musikproduzenten ist in Frankreich in der Nacht zum Montag Anklage gegen vier Polizisten erhoben worden. Das berichtete die Agentur AFP am Montagmorgen unter Berufung auf die Justizbehörden. Drei Einsatzkräfte müssen sich demnach wegen „vorsätzlicher Gewalt“ und „Fälschung“ verantworten. Zwei Männer kamen in Untersuchungshaft, die anderen beiden wurden unter Auflagen freigelassen. Innenminister Gérald Darmanin sagte, dass die Beamten aus dem Dienst entlassen werden sollten, wenn ein Fehlverhalten festgestellt werde.

Der brutale Polizeieinsatz in Paris hatte in den vergangenen Tagen in Frankreich landesweit für Empörung und Proteste gesorgt. Innerhalb von einer Woche hatten zwei Filmaufnahmen Polizeigewalt dokumentiert: Am vergangenen Montag hatten PolizistInnen Geflüchtete brutal vom Platz der Republik vertrieben. Am Donnerstag zeigte ein neunminütiges Video des Onlinemagazins Loopsider, wie vier Beamte den schwarzen Musikproduzenten Michel Zecler am Eingang seines Produktionsstudios verprügelten und ihn dabei rassistisch beschimpften. Die vier Polizisten hatten behauptet, Zecler habe versucht, ihnen eine Waffe zu entreißen, was sich als Lüge herausstellte.

Falsche Aussagen der Beamten

Einer der Beamten wird beschuldigt, eine Tränengasgranate in den Keller des Gebäudes geschmissen zu haben, in dem der Angriff stattfand. Er wurde am Sonntagabend wegen „vorsätzlicher Gewalt“ angeklagt. Gegenüber Ermittlern hatten die vier Polizisten angegeben, der Produzent habe auf der Straße keine Coronaschutzmaske getragen und sei dann übergriffig geworden. Die Videobilder zeigen jedoch nur, wie die Polizisten den Produzenten ins Gesicht schlagen, ihn treten und mit dem Schlagstock traktieren. Zecler selbst sagte, die Polizisten hätten ihn ohne jeden Grund angegriffen.

Am Wochenende hatten über 100.000 Menschen in Frankreich gegen Polizeigewalt und ein geplantes Sicherheitsgesetz demonstriert. Es kam zu Gewalt durch Demonstrierende und Festnahmen durch die Polizei. Das umstrittene Gesetz soll es verbieten, Bilder von PolizistInnen im Einsatz zu veröffentlichen, wenn das „in schädigender Absicht“ geschehe. Die Kritik an Polizeiübergriffen wird in Frankreich immer größer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Auch in Frankreich untersteht die Justiz nicht dem Innenminister, sondern ist unabhängig. Wenn Polizisten kriminelles Unrecht tun, z.B. in Form von ungerechtfertigter Anwendung von Gewalt, dann gibt es also bereits eine unabhängige Instanz, die rechtsstaatlich dagegen ermittelt. Und genau das passiert ja jetzt auch.

    Das Video wäre auch unter dem neuen geplanten Sicherheitsgesetz als Beweismaterial in dem Fall relevant gewesen. Das Filmen soll nämlich gar nicht verboten werden - auch wenn das in vielen Medien immer wieder fälschlicherweise behauptet wird. Es geht nur um das Verbreiten von Filmmaterial. Dem Staatsanwalt darf und soll man es natürlich weiterhin liefern, damit der seine Arbeit gegen kriminelle Polizisten machen kann.

  • Die Parallelen sind interessant: hier wie da wird zurecht auf Polizeigewalt und -rassismus als strukturelles Problem hingewiesen.

    Hier wie da antworten Polizei und Innenbehörden im Schulterschluss, man dürfe nicht pauschalisieren, es seien nur Einzelfälle, die meisten Polizisten seien gut -- und überhaupt, die Gewalt gegen die armen Polizisten. Bla, bla, bla.

    Also zur Klärung:

    - pauschal bedeutet die meisten Polizist*innen hätten ein (Gewalt-, Rassismus-) Problem



    - strukturell bedeutet, die Strukturen seien nicht so beschaffen, dass solche Probleme angegangen werden. Meist zu Lasten der einzelnen Polizist*innen, die kriegen's dann nämlich ab.

    Wenn also Darmanin oder Seehofer mit "pauschal" auf "strukturell" antworten, dann wollen sie nur davon ablenken, dass sie Teil des (strukturellen) Problems sind. Auf unser aller Kosten. Ich behaupte: sie wissen genau, was sie tun.

    Bei den Polizeigewerkschaften (die hier wie da, mit wenigen Ausnahmen dieser Rhetorik auf den Leim gehen) bin ich mir nicht darüber im klaren.

    Jedenfalls handeln sie damit nicht im Interesse ihrer Mitglieder.

    • @tomás zerolo:

      Sehr gut differenziert, vielen Dank. Gute Strukturen sind unersetzlich. Dazu gehört auch tatsächlich unabhängige Strafverfolgung gegen übergriffige Polizist:innen. In Frankreich gibt es dafür "la police des polices" (IGPN), deren Rolle und Unabhängigkeit durchaus noch gestärkt werden kann.

      Trotz aller Proteste kann man aber auch jetzt schon feststellen, dass in Frankreich der Rechtstaat grundsätzlich funktioniert und die Justiz unabhängig ist - anders als vielleicht mittlerweile in Polen und Ungarn, von vielen anderen Ländern der Welt mal ganz abgesehen. Die Franzosen jammern auf hohem Niveau.

      Pauschalurteile sind dagegen immer populistisch. Das ist bei pauschalen Aussagen bei Ausländerkriminalität nicht anders als bei Pauschalurteilen gegen die Polizei.