Polizeigewalt gegen Jour­na­lis­t*in­nen: Es gibt kein Schmerzens­geld

Bei Urteilen spielt die Pressefreiheit oft keine Rolle. Auch im Fall einer Journalistin nicht, die von einem Beamten ins Gesicht geschlagen wurde.

Mehrere uniformierte Polizisten und Polizistinnen bilden einen Kreis

Dass ein Polizist sie niederschlägt habe sie sich nicht vorstellen können, sagt Journalistin Remmert Foto: Florian Boillot

Ihr Arbeitstag war schon so gut wie vorbei, als ein Polizist der Journalistin Lea Remmert ins Gesicht schlug. Es war der 1. Mai 2020 in Berlin, sie war Teil eines Filmteams der Nachrichtenagentur „Nonstop News“, das im Auftrag von Sat1 und Pro7 über die Proteste dort berichtete. Über den Tag hinweg hatten sie Demonstrationen gefilmt und den Polizeisprecher interviewt.

Unter anderem brachen zwei Zähne ab, sie ging blutend zu Boden

Dann, gegen Abend, wurde es dunkel und chaotisch. Überall Protestierende, Blaulicht, Polizei – das zeigen die Aufnahmen des Teams. Den Schlag haben sie nicht gefilmt. Aber Remmert ist sich sicher: Der war Absicht. Unter anderem brachen zwei Zähne ab, sie ging blutend zu Boden.

Von vornherein sei der 1. Mai eine krasse Situation gewesen, erzählt die Journalistin. Aber verletzt zu werden? Damit habe sie nicht gerechnet. Einen helmtragenden Kollegen habe sie sogar belächelt. „Es war ja nicht geplant, dass wir da so wirklich mittendrin stehen“, sagt sie. Und wenn, dann habe sie sich eher Gedanken wegen der De­mons­tran­t*in­nen gemacht. Von denen wurde am selben Tag ein Team der ZDF-„heute show“ angegriffen. Dass ein Polizist sie niederschlägt, habe Remmert sich nicht vorstellen können.

Die zwei Zähne musste ihr Zahnarzt rekonstruieren. „Schicht für Schicht“, erzählt sie. Die Krankenkasse habe nichts übernommen, weil ein Dritter beteiligt war. Schmerzensgeld bekommt sie aber auch nicht. Die Polizei konnte keinen Täter ermitteln und das Land Berlin will ihr keine Entschädigung zahlen. Remmert klagte daraufhin auf 10.000 Euro Schmerzensgeld und Übernahme der Behandlungskosten – doch das Landgericht Berlin hat ihre Klage in erster Instanz abgewiesen, obwohl der Schlag unstrittig ist.

Die Journalistin trage Mitschuld, wenn sie geschlagen wird

Es sei nicht bewiesen, dass der Polizist vorsätzlich oder fahrlässig zugeschlagen habe. Das Gericht hält hingegen „eine unbeabsichtigte Bewegung eines Polizeibeamten“ für möglich – und folgt damit der Darstellung der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen. Diese ist laut der Berliner Haftpflicht- und Eigenschädengrundsätze zuständig, wenn Geschädigte mehr als 200 Euro fordern.

Im Urteil steht: Vielleicht habe sich ein Polizist in einem Kabel verheddert und beim Versuch, sich zu befreien, Lea Remmert getroffen. Außerdem trage sie eine Mitschuld, weil sie sich „um spektakulärer Aufnahmen willen“ selbst in Gefahr begeben habe. Deshalb habe sie keinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Dass Remmert als Journalistin berichtete, spart die Richterin in ihrer Begründung hingegen aus. Das Wort „Pressefreiheit“ taucht nicht im Urteil auf, das der taz vorliegt.

Das ist nicht selten: Immer wieder geben Gerichte der Pressefreiheit in ihren Urteilen offenbar nur ein geringes Gewicht. Nachdem zum Beispiel Neonazis in Fretterode zwei Journalisten jagten und verletzten, verurteilte das Landgericht Mühlhausen die Angreifer zu vergleichsweise milden Strafen. Es sei unklar, ob sie die Journalisten als solche erkannt hätten. Deshalb schütze die Pressefreiheit nicht die Betroffenen.

Hausfriedensbruch statt journalistischer Arbeit

Das Amtsgericht Borna verurteilte einen Leipziger Journalisten wegen Hausfriedensbruch. Er war Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen und Po­li­zis­t*in­nen in den Tagebau Schleenhain gefolgt, um die Proteste zu dokumentieren. Das sei nicht von der Pressefreiheit gedeckt, urteilte das Gericht.

Dass zuletzt mehrere Urteile die Pressefreiheit wenig gewürdigt haben, beobachtet auch Lotte Laloire von Reporter ohne Grenzen. Die freiheitlich demokratische Grundordnung verlange, dass Pressefreiheit gewahrt werde. Gerichte sollten den Grund berücksichtigen, weshalb Jour­na­lis­t*in­nen vor Ort seien: „Nämlich nicht als Schaulustige, sondern im Interesse der Öffentlichkeit.“ Gerade wenn die Polizei gegen Bür­ge­r*in­nen vorgehe, sei wichtig, dass Re­por­te­r*in­nen „nah herangehen, etwa um rechtswidrige Festnahmen zu dokumentieren.“

Wegen Gewalt, verbaler Angriffe und Einschüchterungsversuchen rutschte Deutschland vergangenes Jahr in der Rangliste der Pressefreiheit von Platz 11 auf Platz 16 ab. Dabei spielte auch Gewalt durch die Polizei gegen Jour­na­lis­t*in­nen eine Rolle. Besonders bei Demonstrationen behinderte die Polizei Pressearbeit, betätigt das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit, das ECPMF in Leipzig.

Es muss auf ihren Beruf eingegangen werden

Im Urteil des Berliner Landesgerichts spielte dieser Kontext aber keine Rolle. Laloire bemängelt, das Gericht habe gar nicht in Betracht gezogen, dass die Polizei an bestimmten Aufnahmen kein Interesse hat und deshalb versucht haben könnte, diese zu verhindern. Angesichts der Zeugenaussagen sei das aber nicht auszuschließen.

Außerdem kritisiert sie, dass im Tatbestand nicht auf Remmerts journalistische Rolle eingegangen werde. „Dort heißt es nur knapp, sie sei ‚zum Zwecke von Filmaufnahmen vom Demonstrationsgeschehen in Berlin-Kreuzberg unterwegs‘ gewesen.“ Laloire ist selbst Journalistin, hat für den Berliner Tagesspiegel 2020 zu diesem Fall recherchiert und kennt die Details.

Zeugen widersprachen im Prozess der verantwortlichen Berliner Senatsverwaltung, dass sich ein Beamter im Kabel der Tonangel verfangen und beim Versuch, sich zu befreien, Lea Remmert dermaßen getroffen habe, dass sie verletzt zu Boden ging. Es sei unter normalen ­Umständen gar nicht möglich, sich im Kabel zu verfangen. Auf einem Video aus den Akten, ­welches die taz einsehen konnte, ist das ebenfalls nicht zu sehen. Der Schlag ist hingegen erkennbar.

Nicht mit Sicherheit erwiesen

Allerdings hat das Gericht diese Szene in der Verhandlung nicht angesehen. Lea Remmert sagt, wegen IT-Problemen. In der Urteilsbegründung verweist die Richterin auf eine Polizistin, die die Videos analysiert hat. Die sagte, es „wirke“ so, als würde ein Polizist nach hinten ausholen und Remmert ins Gesicht schlagen. Ein Anlass für den Schlag sei nicht erkennbar.

Auf Nachfrage bekräftigte das Landgericht die Urteilsbegründung. Ein vorsätzlich oder schuldhaft fahrlässiger Schlag sei trotz der Beweisaufnahme „nicht mit ausreichender Sicherheit erwiesen“. Die „verbleibende Unsicherheit“ gehe aber zulasten von Remmert, da es nach allgemeinen Grundsätzen Aufgabe der Klägerin sei, ihren Anspruch zu beweisen. Lea Remmert hat für das Urteil kein Verständnis. Aber ob sie in Berufung geht, hängt vom Geld ab.

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