Polizeigewalt am 8. März: Erwartbare Gewalt, erwartbares Schweigen
Die Polizeigewalt bei der Palästina-solidarischen Demo am 8. März kommt wenig überraschend. Wie so häufig, hält sich die breite Empörung in Grenzen.

E in kleines Gedankenexperiment: Was wäre in Berlin los, wenn es am feministischen Kampftag die israel-solidarische „Feminism Unlimited“-Demo gewesen wäre, bei der Flinta* von Polizist*innen mit Fäusten in Gesicht und Oberkörper geschlagen wurden? Wenn die Anklagen über sexualisierte Gewalt und Misshandlungen in Polizeigewahrsam aus ihren Reihen gekommen wären?
Eines steht fest: Der Aufschrei wäre wohl deutlich lauter gewesen. So war es vor allem die Palästina-Bewegung, die die massive Polizeigewalt auf der pro-palästinensisch ausgerichteten Demo „Until total liberation“ am 8. März anklagte.
Wieder einmal zeigte sich dabei die brutale Realität der deutschen Staatsräson, die jegliche Form von Palästina-Solidarität unter Generalverdacht stellt und mit Repressionen beantwortet. Laut UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit gehört Deutschland zu den Ländern, in denen Palästina-solidarische Proteste mit den schärfsten Einschränkungen unterdrückt werden.
Damit sei nicht gesagt, dass es an der Demo nichts zu verurteilen gebe. Aufgerufen hatte die Gruppe „Alliance of Internationalist Feminists“, zusammen mit „Palestine at the Forefront“ und „Young Struggle“, die den Hamas-Terrorangriff auf Israel als „Gefängnisausbruch“ und „Widerstand“ bezeichneten. Am Rande der Demonstration kam es zu gewalttätigen Übergriffen auf Pressevertreter. All das verdient keine Solidarität.
Fest steht auch: Sexismus und Polizeigewalt hat es auch auf Flinta*-Demos ohne direkten Bezug zu Palästina immer wieder gegeben. Ein gravierender Unterschied ist jedoch, dass im Falle der Palästina-Proteste die Repression offen von den höchsten politischen Stellen gefordert wird. Regelmäßig wirkt die Polizei, als lasse sie Palästina-Proteste eskalieren, um dieser Aufforderung Folge leisten zu können.
Die Gewalt ist kein Zufall
Zur Erinnerung: Eigentlich ist seit Jahren das Deeskalationsgebot die offizielle Berliner Antwort auf Ausschreitungen auf Demonstrationen. Seit 2021 ist die Polizei laut Versammlungsfreiheitsgesetz sogar gesetzlich verpflichtet, befriedigend auf Demos einzuwirken. Wie ein Hohn liest sich da das Wording der polizeilichen Pressemitteilung zur „Until total liberation“-Demo. Darin schreibt die Polizei, sie habe noch vor Beginn der Demo transparent angekündigt, „etwaige Straftaten“ aus dem Palästina-Block „konsequent und mit niedriger Einschreitschwelle“ zu verfolgen.
Der eigenen Darstellung der Polizei zufolge waren Sprechchöre der Anlass für folgende polizeilichen Eskalationen – allen voran „From the river to the sea“, ein Spruch, den die Polizei als strafbar einstuft. Um die Rufer*innen festzunehmen, ging die Polizei immer wieder in die Demo rein. Es kann für eine Polizei, die so gut in Sachen Deeskalation geschult ist, keine Überraschung sein, dass sich dagegen Widerstand entwickelte.
Die Polizei selbst spricht von „gewalttätigen Widerstandshandlungen, Landfriedensbrüchen, versuchten Gefangenenbefreiungen und tätlichen Angriffen“ – eine Sprache, die wohl auch die eigenen „Zwangsmaßnahmen in Form von Schieben und Drücken (…) sowie selektiv gezielte Faustschläge, Tritte und Pfefferspray“ zu rechtfertigen versucht. Man muss anerkennend hinzufügen: Selektiv waren sie, die Faustschläge, nämlich immer auf die Nase.
Aber sobald es um Palästina geht, scheint Kollektivbestrafung und Generalverdacht kaum verurteilt zu werden. Dass die Polizeigewalt am 8. März überhaupt Aufmerksamkeit erregt, dürfte wohl am Kontext des feministischen Kampftages liegen. Manche sprechen dem Protest deshalb schlicht den feministischen Charakter ab – ganz nach dem Motto: Die Polizeigewalt war doch okay, es ging ja gar nicht um Feminismus, sondern nur um Palästina.
Selektive Solidarität auf allen Seiten
Dabei hat das Bündnis die eigene Position klar formuliert: Der Protest richtete sich gegen einen weißen, westlichen Feminismus, der sich nicht solidarisch mit den Unterdrückten dieser Welt zeigt, der in seiner vermeintlich emanzipatorischen Haltung exklusiv ist und in seiner Extremform etwa Trans-Identitäten oder die Vereinbarkeit von feministischen Positionen mit dem Islam infrage stellt.
Apropos selektive Solidarität: Wo war eigentlich die breite Kritik anderer feministischer Bündnisse daran, dass die Polizei ihre Repression auch damit rechtfertigte, der Palästina-Block sei „hochemotionalisert“? Das ist eine alte sexistische und rassistische Strategie, um Frauen und Migrant*innen, die angeblich nicht zur rationalen Debatte fähig seien, aus dem Diskurs herauszuhalten.
Einen Lichtblick immerhin gab es: Das israel-solidarische Bündnis „Feminism Unlimited“ solidarisierte sich in einer Instagram-Story gegen jede Form von Polizeigewalt und sah damit über die unüberbrückbar erscheinenden Differenzen hinweg. Vielleicht gibt es ja doch noch eine Chance auf einen „antifaschistischen und universellen Feminismus“, den das Bündnis anstrebt.
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