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Polizeigewalt am 8. MärzErwartbare Gewalt, erwartbares Schweigen

Lilly Schröder
Timm Kühn
Kommentar von Lilly Schröder und Timm Kühn

Die Polizeigewalt bei der Palästina-solidarischen Demo am 8. März kommt wenig überraschend. Wie so häufig, hält sich die breite Empörung in Grenzen.

Kein Kampftag ohne Polizeigewalt? Po­li­zis­t*in­nen am 8. März in Berlin Foto: IMAGO / Middle East Images

E in kleines Gedankenexperiment: Was wäre in Berlin los, wenn es am feministischen Kampftag die israel-solidarische „Feminism Unlimited“-Demo gewesen wäre, bei der Flinta* von Po­li­zis­t*in­nen mit Fäusten in Gesicht und Oberkörper geschlagen wurden? Wenn die Anklagen über sexualisierte Gewalt und Misshandlungen in Polizeigewahrsam aus ihren Reihen gekommen wären?

Eines steht fest: Der Aufschrei wäre wohl deutlich lauter gewesen. So war es vor allem die Palästina-Bewegung, die die massive Polizeigewalt auf der pro-palästinensisch ausgerichteten Demo „Until total liberation“ am 8. März anklagte.

Wieder einmal zeigte sich dabei die brutale Realität der deutschen Staatsräson, die jegliche Form von Palästina-Solidarität unter Generalverdacht stellt und mit Repressionen beantwortet. Laut UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit gehört Deutschland zu den Ländern, in denen Palästina-solidarische Proteste mit den schärfsten Einschränkungen unterdrückt werden.

Damit sei nicht gesagt, dass es an der Demo nichts zu verurteilen gebe. Aufgerufen hatte die Gruppe „Alliance of Internationalist Feminists“, zusammen mit „Palestine at the Forefront“ und „Young Struggle“, die den Hamas-Terrorangriff auf Israel als „Gefängnisausbruch“ und „Widerstand“ bezeichneten. Am Rande der Demonstration kam es zu gewalttätigen Übergriffen auf Pressevertreter. All das verdient keine Solidarität.

Fest steht auch: Sexismus und Polizeigewalt hat es auch auf Flinta*-Demos ohne direkten Bezug zu Palästina immer wieder gegeben. Ein gravierender Unterschied ist jedoch, dass im Falle der Palästina-Proteste die Repression offen von den höchsten politischen Stellen gefordert wird. Regelmäßig wirkt die Polizei, als lasse sie Palästina-Proteste eskalieren, um dieser Aufforderung Folge leisten zu können.

Die Gewalt ist kein Zufall

Zur Erinnerung: Eigentlich ist seit Jahren das Deeskalationsgebot die offizielle Berliner Antwort auf Ausschreitungen auf Demonstrationen. Seit 2021 ist die Polizei laut Versammlungsfreiheitsgesetz sogar gesetzlich verpflichtet, befriedigend auf Demos einzuwirken. Wie ein Hohn liest sich da das Wording der polizeilichen Pressemitteilung zur „Until total liberation“-Demo. Darin schreibt die Polizei, sie habe noch vor Beginn der Demo transparent angekündigt, „etwaige Straftaten“ aus dem Palästina-Block „konsequent und mit niedriger Einschreitschwelle“ zu verfolgen.

Der eigenen Darstellung der Polizei zufolge waren Sprechchöre der Anlass für folgende polizeilichen Eskalationen – allen voran „From the river to the sea“, ein Spruch, den die Polizei als strafbar einstuft. Um die Ru­fe­r*in­nen festzunehmen, ging die Polizei immer wieder in die Demo rein. Es kann für eine Polizei, die so gut in Sachen Deeskalation geschult ist, keine Überraschung sein, dass sich dagegen Widerstand entwickelte.

Die Polizei selbst spricht von „gewalttätigen Widerstandshandlungen, Landfriedensbrüchen, versuchten Gefangenenbefreiungen und tätlichen Angriffen“ – eine Sprache, die wohl auch die eigenen „Zwangsmaßnahmen in Form von Schieben und Drücken (…) sowie selektiv gezielte Faustschläge, Tritte und Pfefferspray“ zu rechtfertigen versucht. Man muss anerkennend hinzufügen: Selektiv waren sie, die Faustschläge, nämlich immer auf die Nase.

Aber sobald es um Palästina geht, scheint Kollektivbestrafung und Generalverdacht kaum verurteilt zu werden. Dass die Polizeigewalt am 8. März überhaupt Aufmerksamkeit erregt, dürfte wohl am Kontext des feministischen Kampftages liegen. Manche sprechen dem Protest deshalb schlicht den feministischen Charakter ab – ganz nach dem Motto: Die Polizeigewalt war doch okay, es ging ja gar nicht um Feminismus, sondern nur um Palästina.

Selektive Solidarität auf allen Seiten

Dabei hat das Bündnis die eigene Position klar formuliert: Der Protest richtete sich gegen einen weißen, westlichen Feminismus, der sich nicht solidarisch mit den Unterdrückten dieser Welt zeigt, der in seiner vermeintlich emanzipatorischen Haltung exklusiv ist und in seiner Extremform etwa Trans-Identitäten oder die Vereinbarkeit von feministischen Positionen mit dem Islam infrage stellt.

Apropos selektive Solidarität: Wo war eigentlich die breite Kritik anderer feministischer Bündnisse daran, dass die Polizei ihre Repression auch damit rechtfertigte, der Palästina-Block sei „hochemotionalisert“? Das ist eine alte sexistische und rassistische Strategie, um Frauen und Migrant*innen, die angeblich nicht zur rationalen Debatte fähig seien, aus dem Diskurs herauszuhalten.

Einen Lichtblick immerhin gab es: Das israel-solidarische Bündnis „Feminism Unlimited“ solidarisierte sich in einer Instagram-Story gegen jede Form von Polizeigewalt und sah damit über die unüberbrückbar erscheinenden Differenzen hinweg. Vielleicht gibt es ja doch noch eine Chance auf einen „antifaschistischen und universellen Feminismus“, den das Bündnis anstrebt.

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
Timm Kühn
Redakteur
Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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11 Kommentare

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  • Ich weiß nicht, ob es den Autoren aufgefallen ist: Gewalt und Hetze findet mit erschreckender Regelmäßigkeit seit dem 7. Oktober auf sog. propalästinensischen in Wahrheit aber antiisraelischen und antisemitischen Protesten statt. Mir ist nicht bekannt, dass es auf den will zu wenigen israelsolidarischen Veranstaltungen zu auch nur ein ansatzweise vergleichbaren Vorfällen gekommen wäre; ob nebenbei noch feministisch oder nicht. Frage: könnte es nicht sein, dass die Polizeieinsätze also weniger im Rassismus begründet sind als im Verhalten der Demoteilnehmer? Würde die Autoren der Polizei auch eskalierendes Verhalten vorwerfen, wenn die Krakeler verhetzender Parolen nicht vermeintlich Linke und Araber wären, sondern biodeutsche Neonazis? Ich glaube kaum und vermute vielmehr, dass hier Forderungen nach einem noch härteren Durchgreifen stehen würde. Und

  • Staatsräson ist einfach Mist. Menschenrechtsräson wäre gut, vor allem, wenn sie vom Staat unterstützt würde.

    Bei ausgewählten Demos geht es in erster Linie um Gehorsam und Brechen der aufrechten Haltung. Das sind in erster Linie soziale und menschenrechtliche Demos.

    Pro-Kriegsdemos oder Rechtsnationalistische Demos passen seltener in das Feindbildschema und werden höflich begleitet.

  • Ein kleines Gedankenexperiment: Nehmen wir an, in Berlin findet eine Demonstration statt, bei der auch Unterstützer der palästinensischen Sache mitlaufen und es gibt keine antisemitischen / verbotenen Parolen. Dann muss die Polizei auch nicht eingreifen. Im Grundgesetz ist das friedliche ! Recht zur Versammlung geschützt.

  • Das nenne ich mal apart, ausgerechnet für diese Aktivistinnen Solidarität einzufordern. Diese folgen einer bizarren post-kolonialen Ideologie, die die Menschheit in Kindergartenmanier in Opfer und Täter aufteilt, greifen auf ihren Demos Journalisten und Polizisten an, verwenden Symbole der Hamas, gefährden die Bewegungsfreiheit von Jüdinnen und Juden an den Unis, leugnen islamistischen Terror, Folter und Mord und wollen in einer Art Endsiegmanier die "totale Freiheit", also die Beseitigung von Patriarchat und Kapitalismus so erreichen: "There is only on solution, intifada revolution".

    Was ja nur bedeuten kann, mit den Methoden von Hamas und Islamischem Jihad. Das frauenfeindlichste aller Ideologien kommt dann bizarrerweise als Feminismus daher.

    Und: Das "Beweis-Video" zeigt wohl nur einen Teil der ganzen Geschichte.

    Police Speaker so:

    www.ardmediathek.d...WNfcHVibGljYXRpb24

  • Mit einer derartig irrationalen und emotionalisierten Argumentation verweigert man sich jeder weiteren lösungsorientierten Diskussion. Die unerschütterliche Selbstgewissheit, auf der "richtigen" Seite zu stehen und die Fundamentalverweigerung, Menschen außerhalb der eigenen Bubble in ihren Ansichten zu ertragen, ist destruktiv und nicht besonders intelligent. Gesellschaftliche Veränderungen brauchen gesellschaftliche Mehrheiten. Wenn ich so einen Kommentar lese, dann vergeht mir jede Motivation, mich mit diesen Argumenten weiter zu befassen. Die Hamas wird bis heute von weiten Teilen der erwachsenen Zivilbevölkerung unterstützt. Ich hätte vor dem 7. Oktober keine zwei Stunden in Gaza überlebt, hätte ich mich als FLINTA* zu erkennen gegeben. Es fällt mir schwer, mich nun ausgerechnet mit diesen Menschen zu solidarisieren.

  • Wenn eine "Pro-Palädtina" Demonstration unter dem Motto "Until total liberation" steht, dann ist der Vorwurf des Antisemitismus wohl mehr als ein "Generalverdacht"'..!



    Meine Solidarität gilt den Beamtinnen und Beamten, die sich diesem judenhasseden Mob in Berlin entgegenstellen!

  • "... Am Rande der Demonstration kam es zu gewalttätigen Übergriffen auf Pressevertreter. All das verdient keine Solidarität."



    Aber dagegen vorgegangen muss nicht unbedingt, oder wie soll ich das verstehen?



    Die "Until Total Liberation" - Demo war zu großen Teilen von "Palästina" geprägt. Offenbar der neue Hauptwiderspruch.



    Die Angriffe der Polizei auf die Demo wurden von dieser nicht nur mit verbotenen Parolen, sondern auch mit Gewalt-Straftaten (Flaschen- und Steinwürfe) begründet.



    Auf den 1. Mai-Demos in den 90ern gab es jedes Jahr exzessive Polizeigewalt, die von "ganz oben" auch gefordert und gedeckt wurde. Und in Berlin sind viele der Demos mit "Palästina-Bezug" extrem antizionistisch und dort wird teilweise der islamistische Terror verherrlicht.



    Das rechtfertigt nicht "exzessive Gewalt". Trotzdem ist die Polizei zur Verfolgung von Straftaten verpflichtet.



    Anderes Gedankenexperiment: Wäre denn im umgekehrten Fall die "Until total liberation" mit der "Feminism Unlimited"-Demo solidarisch gewesen? Ich kann es mir leider nicht vorstellen.

    • @Kai Ayadi:

      Nichts hinzuzufügen

    • @Kai Ayadi:

      on point

    • @Kai Ayadi:

      Jep, ich mir auch nicht.

  • "Der Protest richtete sich gegen einen weißen, westlichen Feminismus, der sich nicht solidarisch mit den Unterdrückten dieser Welt zeigt, der in seiner vermeintlich emanzipatorischen Haltung exklusiv ist und in seiner Extremform etwa Trans-Identitäten oder die Vereinbarkeit von feministischen Positionen mit dem Islam infrage stellt." Und trotzdem ich Frau bin und weiß und westlich, komme ich genau mit diesem Feminismus auch nicht klar. Der liberale westl. Feminismus ist nicht das Maß aller Dinge, perfekt ist er sowieso nicht. Nicht für jede Frau dieser Erde ist das erstrebenswert und das ist völlig ok. Ziel sollte es immer sein Frauenrechte universal zu sehen und das jede Frau ein selbstbestimmtes Leben führt, egal wie das für sie aussieht (nicht wie andere Frauen meinen das es aussehen sollte). Und da muss man sich auch mit den pol., soz., okön., historischen, kulturellen und religiösen Gegebenheiten auseinandersetzen und akzeptieren das es unterschiedliche Sichtweisen und Ziele gibt und man trotzdem für ein gleiches Ziel kämpfen kann: das Selbstbestimmungsrecht jeder Frau.



    Auch in diesem Konflikt gibt es weibl. Opfer auf beiden Seiten, die alle Gerechtigkeit bekommen sollten.