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Polizeieinsatz gegen KirchenasylBremens Innensenator von der SPD gibt den Hardliner

Kommentar von Frida Schubert

In der Bremer Neustadt hat die Polizei versucht, ein Kirchenasyl zu beenden. Nur dem Widerstand vor Ort ist es zu verdanken, dass es nicht dazu kam.

Zeigt eine neue Härte: Bremens Innensenator Ulrich Mäurer Foto: Sina Schuldt/picture alliance/dpa

S ogar das von SPD, Linken und Grünen regierte Bremen will nun offenbar in den deutschlandweiten Abschiebewettbewerb einsteigen. Nur so lässt sich erklären, warum der Bremer SPD-Innensenator in der Nacht auf Dienstag die Polizei losschickte, um den jungen Somalier Ayoub I. aus dem Kirchenasyl zu holen. Mit drei Mannschaftswagen rückten die Einsatzkräfte an und umstellten die Zionskirche in der Neustadt. In deren Gemeindesaal hatten sich etwa hundert Menschen versammelt, um Ayoub I. zu schützen. Sie läuteten die Kirchenglocken. Die Polizei zog am Ende ab.

Wäre der Einsatz erfolgreich gewesen, hätte der junge Somalier gemäß der Dublin-Regelung zurück nach Finnland müssen, wo er die Abschiebung nach Russland befürchtet. Er möchte darum in Deutschland bleiben. Am Samstag wäre er ein halbes Jahr hier und könnte Asyl beantragen.

In den letzten Monaten wurde das Kirchenasyl bereits in Schwerin, im niedersächsischen Bienenbüttel und in Hamburg gebrochen. Jede Institution, auch die Kirche, habe sich dem Rechtsstaat unterzuordnen, rechtfertigte der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer die von ihm angeordnete Polizeiaktion.

Seiner Behörde sei, so Mäurer, gar nichts anderes übrig geblieben, als die Abschiebung zu versuchen. Schließlich habe das Bundesamt für Migration den Härtefallantrag von Ayoub I. zurückgewiesen. Über den Widerstand der Kirchengemeinde zeigte er sich empört: Das Läuten der Kirchenglocken mitten in der Nacht sei „an Zynismus nicht zu übertreffen“. Mit dem Widerstand verstoße die Kirche gegen eine Vereinbarung mit dem Staat, Kirchenasyle im Falle einer Ablehnung des Asylantrags zu beenden.

Bisher war die Politik auch in Bremen eine andere: Räumungen von Kirchenasylen wurden nicht vollzogen. Der Innensenator ist darum unter Rechtfertigungsdruck, weswegen er im Interview mit dem Bremer Fernsehmagazin „buten un binnen“ auf ein neues Argument umschwenkte: „Das Problem“ sei, „dass wir in früheren Jahren etwa zehn Fälle von Kirchenasyl im Jahr hatten. Das war händelbar. Jetzt sind wir bei weit über 100.“ Woran das wohl liegen mag?

Unterdessen schlägt die versuchte Abschiebung in der Bremer Politik hohe Wellen. Die Fraktionsvorsitzenden der Koalitionspartner von Linken und Grünen kritisierten den Polizeieinsatz als „Zäsur“ (Linke) und „politisch falsch und menschlich unanständig“ (Grüne), die Jusos schlossen sich an und nannten das Vorgehen der Polizei „eine gefährliche Respektlosigkeit gegenüber schutzsuchenden Menschen und denen, die ihnen helfen“.

Bürgermeister Andreas Bovenschulte dagegen hüllte sich zu dem Polizeieinsatz in Schweigen, ebenso die SPD-Fraktion in der Bremer Bürgerschaft. Beifall kam lediglich von der CDU und der Bremer Rechtsfraktion „Bündnis Deutschland“.

Innerhalb der Bremer SPD steht Mäurer mit seinem neuen Kurs also bisher ohne Unterstützung da. Will er sich als Hardliner profilieren? Die Abschiebung war einen Tag vor der Innenministerkonferenz angesetzt, bei der es um weitere Verschärfungen in der Asylpolitik ging.

Eine Abschiebung aus dem Bremer Kirchenasyl könnte ein fatales Signal senden. Der rot-grün-rot regierte Stadtstaat gilt als Vorreiter einer sozialen und liberalen Politik. Wird zukünftig das Argument der nicht so liberalen Bundesländer sein: Wenn Bremen das macht, dürfen wir es auch?

Unterdessen haben sich laut Zionskirche schon mehr als tausend Menschen zusammengeschlossen, um Ayoub I. zu unterstützen. Mehr als 100 haben die folgende Nacht wieder in der Kirche verbracht.

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9 Kommentare

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  • Eine andere Bezeichung für "Kirchenrecht" lautet "Scharia". Gleiches Recht für Alle! Sollten die Bremer Behörden dei Selbstermächtigung von Gläubigen anderer Religionen nicht respektieren, wäre das eine offensichtliche Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit.

  • Dass die SPD-Innenminister jetzt in dieser Frage den Schulterschluss mit ihren reaktionären Kollegen von der CDU/CSU vollziehen, ist das eigentlich Schlimme an der Geschichte. Früher war nicht nur mehr Lametta sondern da gab es auch noch deutlich erkennbare Unterschiede zwischen der ehemaligeb Reformpartei SPD und der Militär- und Wirtschaftspartei CDU/CSU. Mittlerweile sind diese beiden Parteien quasi miteinander verschmolzen, auch in der Asylfrage, die ja auf Grundsätzliches verweist, nämlich auf den schreienden Nord-Süd-Gegensatz - hier die reichen Industriestaaten, dort immer noch die "3. Welt", in der sich die sozialen, ökologischen und kriegerischen Probleme gegenseitig aufschaukeln.

  • Jetzt ist Abschiebung schon alternativlos..



    Meine Vorkommentatoren sollten mal überlegen ob das antikirchliche Argument hier angebracht ist, wenn sie hier nur den Schutz für bedrohte Menschen bietet der dem Staat offensichtlich abgeht.

  • Kirchenasyl hat keine rechtliche Grundlage und die Gemeinde hat die Vereinbarung zuerst missachtet. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 58 AufenthG steht der Behörde überhaupt kein Ermessen zu, ob sie abschieben lässt oder nicht. Es ist in einem Rechtsstaat völlig inakzeptabel und zeigt, dass SPD und Grüne gerne zu ihren Gunsten von dessen Primat Abstand nehmen.

  • Selbst die beiden größten christlichen Kirchen vertreten zusammen nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung. Also it dieser Punkt der Berechtigung ausgeschlossen. Auch historische Gründe für die Berechtigung zu illegalen Handlungen dürfen nicht mehr vorgebracht werden. Ansonsten könnten Vertreter einer gewissen geistigen Nachfolgepartei der Nazi-Verbrecher ja ebenfalls Anspruch auf Gesetzesbrüche. haben. Also gibt es sogar für extremistische Verteidiger religiöser Argumente keinen Grund für Widerspruch.

    Das Verhalten der religiösen Eiferer - ob kath. oder protestantisch - ist insgesamt empörend. Denken sie doch einmal an Arbeitsbedingungen, Löhne, Kündigungen usw bei Arbeitnehmern dieser dogmatischen Herren in mir seltsam erscheinenden Gewändern. Und vergessen sie nicht die Alimentierung in Milliardenhöhe durch den Staat.

    oh nein

    H

    i

    e

    r

  • Die Abschiebung ins lebensgefährliche Russland gewaltsam verhindert, nachdem Härtefallkommission und Bamf den Fall mindestens 2x geprüft haben.

    Langsam hab ich Verständnis für all die Protestwähler.

    • @Wonneproppen:

      Es geht ja nicht mal um Russland, sondern um Finnland. Es ist ein Dublin-Fall. Ich finde das Verhalten der Kirche auch ziemlich fragwürdig.

    • @Wonneproppen:

      Was soll er in Russland? Putin bietet jungen Männern bekanntlich eine Perspektive. Aussicht auf ein Asylverfahren in Finnland hat er wegen der Art der Einreise jedenfalls nicht.

      Das Problem ist, wenn er in D bleibt hat er dies Putins hybrider Kriegsführung mit Geflüchteten zu verdanken. Wenn man halbwegs die Kontrolle über Zuwanderung



      wiedererlange will kann man dies eigentlich nicht akzeptieren.

      • @testen:

        Wieso sollte er nicht Aussicht auf ein Asylverfahren in Finnland haben? Er will Asyl in der EU - Russland gehört nicht zur EU, Finnland schon. Also verstehe ich nicht, warum man das in Finnland nicht prüfen sollte. Würde man in Deutschland ja auch tun - hätte er nicht "Dublin-Finnland".