Polizeieinsatz gegen HDP in der Türkei: „Politische Lynchjustiz“
Die türkische Polizei hat Oppositionspolitiker der prokurdischen HDP festgenommen. In Diyarbakir kam es zu einer Detonation, mehrere Menschen starben.
Auf Betreiben von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan war im Mai die Immunität zahlreicher Abgeordneter aufgehoben worden. Die auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte Maßnahme richtete sich vor allem gegen die HDP: 55 der 59 HDP-Abgeordneten verloren meist wegen Terrorvorwürfen ihre Immunität. Sie weigerten sich aber, gerichtlichen Vorladungen Folge zu leisten. Erdogan beschuldigt die zweigrößte Oppositionspartei im Parlament, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.
Die HDP sprach am Freitag von „politischer Lynchjustiz“ und rief zu Protesten auf. Nach den Festnahmen kam es in der Kurdenmetropole Diyarbakir zu einem tödlichen Anschlag.
In der Nähe des Polizeihauptquartiers in Diyarbakir wurden am Freitag nach Angaben von Ministerpräsident Binali Yildirim mindestens acht Menschen getötet und bis zu 100 weitere verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich nach Angaben des örtlichen Gouverneursbüros die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, wurde bei dem Anschlag ein mit Sprengstoff beladener Minibus eingesetzt. Unter den Toten seien zwei Polizeibeamte und fünf Zivilisten, gab Yildirim bekannt.
Die Behörden verhängten eine Nachrichtensperre über den Anschlag. Anwohner sagten, die schwere Explosion sei in der ganzen Stadt zu hören gewesen.
Festnahmen als rechtskonform bezeichnet
Ministerpräsident Yildirim bezeichnete die Festnahmen als „rechtskonforme Prozedur“. Vielmehr missachteten die betroffenen Parlamentarier die „Hoheit des Rechts“, sagte Yildirim am Freitag vor Journalisten in Istanbul. Es handele sich um diejenigen, die „den Terror fördern, den Terror ermutigen und den Terror logistisch unterstützen“. Die Abgeordneten seien in Gewahrsam genommen worden, weil sie zuvor Vorladungen der Staatsanwaltschaft ignoriert hätten.
Auch Justizminister Bekir Bozdag sagte, die Festnahmen von Abgeordneten seien rechtskonform gewesen. Weder Kanzlerin Merkel noch EU-Kommissare hätten das Recht, der Türkei „Lehren zu erteilen“, betonte er. „Sie müssen sehen und verstehen, dass die türkische Justiz genauso neutral und unabhängig ist wie die deutsche.“
Bozdag griff zugleich Deutschland scharf an. „Rechtsstaat und Freiheiten gibt es nur für Deutsche“, sagte der Minister. „Wenn Sie ein Türke in Deutschland sind, haben Sie überhaupt keine Rechte.“
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bestellte den türkischen Geschäftsträger ein. Das Gespräch solle noch am Freitag stattfinden, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. „Die nächtlichen Festnahmen von Politikern und Abgeordneten der kurdischen Partei HDP sind aus Sicht des Außenministers eine weitere drastische Verschärfung der Lage“, hieß es zur Begründung. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini äußerte Bedenken wegen der Festnahme der Politiker. Sie erklärte über Twitter, dass sie ein EU-Botschafter-Treffen in Ankara einberufen habe.
Die Grünen rufen indes zu scharfen Reaktionen auf. Nötig seien jetzt starke gemeinsame Signale, die in Ankara auch verstanden werden würden, sagte Parteichef Cem Özdemir am Freitag in Berlin. „Ich schlage vor, dass alle demokratischen Parteien, die im Bundestag vertreten sind, gemeinsam agieren.“
Pressekonferenz in der HDP-Parteizentrale verhindert
Die Polizei hatte wenige Stunden zuvor elf HDP-Abgeordnete festgenommen, darunter die Parteichefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Demirtas wurde laut Anadolu in seiner Wohnung in Diyarbakir festgenommen, Yüksekdag in Ankara. Auch Fraktionschef Idris Baluken wurde in Gewahrsam genommen. Der Sender NTV meldete am Freitag die Festnahme eines zwölften Abgeordneten.
Eine Pressekonferenz in der HDP-Parteizentrale in Ankara verhinderte die Polizei. Diese lasse Journalisten auch mit dem Presseausweis der Regierung nicht durch die Absperrungen an der Zentrale, berichteten mehrere Reporter vor Ort. In den Kurdengebieten in der Südosttürkei und in anderen Regionen sperrten die Behörden in der Nacht den Zugang zu Teilen des Internets. In der Millionenmetropole Istanbul war zeitweise das mobile Internet per Handy nicht zu erreichen.
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