Polizeieinsätze gegen Geflüchteten: Tödliche Schüsse bleiben ungeklärt
Drei Jahre nach dem Tod von Aman Alizada haben mehrere Initiativen in Stade demonstriert. Sie fordern eine bessere Ausbildung der Polizei.
Bereits zum vierten Mal hat die „Initiative Aman Alizada“ am vergangenen Samstag zu einer Kundgebung in Stade aufgerufen. Anlass war der dritte Jahrestag des tödlichen Polizeieinsatzes, bei dem Aman Alizada starb, der Bruder des Mannes, dem die Stimme auf dem Handy gehört.
Am 17. August 2019 wurde der 19-jährige Afghane in einer Geflüchtetenunterkunft in Stade-Bützfleth von einem Polizisten getötet. Die Initiative beklagt, dass die Umstände des Einsatzes bis heute nicht geklärt seien. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen bereits zweimal eingestellt. Die Begründung in beiden Fällen: Die Polizist:innen sollen von Alizada bedroht worden sein, die Schüsse demnach Notwehr.
Alizada kam mit 15 Jahren nach Deutschland, nachdem er 2015 unbegleitet aus Afghanistan geflüchtet war. Als er am 17. August in der Unterkunft in Stade randaliert, ruft ein Mitbewohner die Polizei. Als diese eintrifft, hat sich Alizada in seinem Zimmer eingesperrt. Die Polizist:innen treten seine Tür ein, wenige Augenblicke später ist er tot.
Psychische Ausnahmesituation
Allein in Niedersachsen starben in den vergangenen drei Jahren vier Geflüchtete bei oder in Folge von Polizeieinsätzen: Erst im Oktober 2021 wurde Kamal Ibrahim bei einem ähnlichen Polizeieinsatz im Landkreis Stade getötet. Den Geflüchteten aus dem Sudan trafen während des Einsatzes elf Kugeln. Wie es genau dazu kam, ist bisher nicht geklärt. Auch dieses Verfahren wurde eingestellt, aus dem gleichen Grund wie bei Alizada: Die Polizei handelte laut Staatsanwaltschaft aus Notwehr.
Laut dem Flüchtlingsrat Niedersachsen hatten sowohl Ibrahim als auch Alizada psychische Probleme. Zum Zeitpunkt des Einsatzes seien beide außerdem in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen, die den Polizist:innen bekannt gewesen sei. Beide Opfer sollen die Beamt:innen bedroht haben, in beiden Fällen ist das nicht bewiesen. In jedem Fall hätte die Polizei deeskalierend einwirken müssen, kritisiert ein Sprecher der Initiative Aman Alizada am Samstag.
Dass die Situation trotz dieses Wissens eskalierte und mit dem Tod des Geflüchteten endete, beklagt auch Ingrid Smerdka-Arhelger von der Stader Bürgerinitiative Menschenwürde. Sie fordert deshalb eine Qualifizierungsinitiative innerhalb der Polizei im Umgang mit psychisch labilen Personen. Außerdem bemängelt sie das unzureichende Angebot der sozialpsychiatrischen Dienste, das dringend ausgebaut werden müsse.
Janine Wagener vom Flüchtlingsrat Hamburg forderte in ihrer Rede eine bessere psychologische Schulung von Polizist:innen. Laut Wagener befinden sich überdurchschnittlich viele Personen, die bei Polizeieinsätzen getötet werden, in psychischen Ausnahmesituationen. Sie argumentiert aber auch aus der Perspektive der Polizei: eine Fortbildung sei auch wichtig, „um diese vor sich selbst zu schützen“.
Die Organisationen pochen außerdem auf die Einrichtung einer unabhängigen polizeilichen Beschwerdestelle mit Ermittlungsbefugnis. So eine Stelle gebe es zwar in Niedersachsen, allerdings sei diese dem Innenministerium unterstellt und damit keinesfalls unabhängig. Denn das Ministerium sei gleichzeitig für die Arbeit der Polizei zuständig – laut dem Bündnis ein klarer Interessenkonflikt.
Untersuchungsausschuss zurückgewiesen
Zusammen mit dem Flüchtlingsrat Niedersachsen fordern die Initiativen auch politische Konsequenzen: Es solle ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im niedersächsischen Landtag eingerichtet werden, der sich mit den tödlichen Polizeieinsätzen und den Lebensumständen Geflüchteter in Niedersachsen beschäftigt.
Diese Forderungen weist der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Ulrich Watermann, auf taz-Nachfrage zurück: „Wir brauchen keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss“, sagt Watermann. Die niedersächsische Polizei sei so aufgestellt, dass Fehlern sofort nachgegangen werde. Die Polizei sieht Watermann „sehr gut ausgebildet, sodass solche Situationen möglichst mit anderen Mitteln gelöst werden“. Stattdessen sehe er ein Problem in der Unterbringung Geflüchteter, wo häufig „zu viel geballtes Konfliktpotential an einer Stelle ist“.
Wie sich der Einsatz, bei dem Alizada zu Tode kam, genau abgespielt hat, bleibt also weiter ungeklärt. Die Initiative möchte aber auch in Zukunft Alizadas Geschichte erzählen und auf das „strukturelle Problem Rassismus“ aufmerksam machen. Für das nächste Jahr kündigte die Gruppe bereits eine erneute Kundgebung an.
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