Polizei und Schusswaffen: Deutschland vorn
Wer sich auf die Suche nach tödlichen Polizeischüssen im europäischen Vergleich begibt, muss sich oft mit magerem Zahlenmaterial begnügen.
Steigt durch die vermehrten islamistisch-terroristischen oder dem Islamismus zugerechneten Anschläge in Europa auch der tödliche polizeiliche Schusswaffengebrauch? Betrachtet man die staatliche Hektik und die aufgeregten Berichterstattungen lässt sich der Eindruck leicht gewinnen. Betrachtet man polizeiliche Schusswaffeneinsätze jedoch in Ruhe, ist die Frage nicht so einfach zu beantworten.
Anfang des Jahres hat der in Berlin erscheinende Informationdienst Bürgerrechte & Polizei/CILIP den Versuch eines europäischen Vergleichs unternommen. Ist es momentan offenbar Spanien, so waren es seinerzeit Frankreich und Belgien, wo sich Anschläge häuften.
Trotz wiederholter CILIP-Nachfragen hat sich das belgische Innenministerium wie schon gewohnt nicht geäußert. Offizielle Zahlen gibt es auch vom französischen Innenministerium nicht. Laut dem Sozialwissenschaftler Fabien Jobard kam es dort 2014 indes zu lediglich fünf tödlichen Polizeischüssen und in einem weiteren Fall zu einem Schusswechsel bei dem unklar ist, von welcher Seite der tödliche Schuss letztlich abgefeuert wurde.
Für 2015 verzeichnet Jobard insgesamt sieben Tote durch Polizeischüsse. Wobei es sich in sechs Fällen um Schießereien in Zusammenhang mit den „IS“-Attentätern auf das Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar und die Diskothek Bataclan im November des Jahres handelt.
Niederlande, Österreich, Polen
Ebenso ist man für Großbritannien auf halboffizielle und die wenigen offiziell zugänglichen Materialien angewiesen, die Journalisten und Wissenschaftler des web-Archiv Special Branch Files zusammen getragen haben. Danach kam es 2014 lediglich zu einem Toten und 2015 zu dreien. Insgesamt wurden in den Jahren 1990 bis 2015 demnach 58 Menschen von der Polizei erschossen.
Dank des Politikwissenschaftlers Jaap Timmer, der sich mit Polizeigewalt beschäftigt, sind die Zahlen für die Niederlande aussagekräftiger. Demnach wurde dort sowohl in den Jahren 2014 und 2015 kein Mensch durch Polizeischüsse getötet sondern es kam lediglich zu Verletzten (2014:33 / 2015:30).
Ergänzend hierzu ist in der offiziellen Polizeizeitschrift Politie zu erfahren, dass 2014 von der niederländischen Polizei in insgesamt 158 Fällen von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wurde, wobei es sich um 61 gezielte Schüsse handelte. Die letzten Toten in Zusammenhang mit Polizeieinsätzen gab es nach CILIP -Recherchen demnach mit fünf Fällen im Jahr 2012. Insgesamt kam es – nach Timmers Erkenntnissen – in den Jahren 1978 – 2015 in den Niederlanden durch polizeilichen Schusswaffengebrauch zu 107 Toten und 619 Verletzten.
Tendenz weiter steigend
Von der „Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten Kompetenzzentrum Polizeitechnik und Informatik“ gibt es lediglich einige nackte Zahlen. Danach kam es 2015 landesweit zu 15 und 2014 zu 11 Schussabgaben (2013:9 / 2012:11 / 2011:25 / 2010:29). Aussagekräftiger sind diese Angaben nicht.
Ähnlich dünn sind auch die Angaben aus Österreich. Von den seit 1995 in der Alpenrepublik insgesamt 2.564 abgegebenen Polizeischüssen handelt es sich bei dreiviertel der Fälle um Warnschüsse oder Schüsse auf die Reifen von Fahrzeugen. Insgesamt starben in diesem Zeitraum 23 Menschen durch Polizeischüsse.
In Polen wiederum kam es im Jahr 2014 zu insgesamt 115 Fällen polizeilichen Schusswaffeneinsatzes. In 25 Fällen wurden die Waffen gegen Personen eingesetzt, wodurch zwei Menschen starben und 17 verletzt wurden. 2015 waren es 124 Schussabgaben, wobei in 18 Fällen auf Personen geschossen wurde und ein Mensch getötet und 13 weitere verletzt wurden.
In Europa vorn liegt damit die Bundesrepublik Deutschland mit 7 Toten in 2014, 10 Toten in 2015 und 13 in 2016 – Tendenz weiter steigend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge