piwik no script img

Polizei probt Kehrtwende

Neonazi-Wohnung

So etwas findet man nicht alle Tage: eine Wohnung, bis obenhin vollgestopft mit verbotenen NS-Orden, Ölgemälden von Nazi-Größen, geschichtsrevisionistischen Schriften, schussfähigen Waffen und Munition, mitten in Hamburg. Zu dem Fund kam es, als eine Nachlassverwalterin die Wohnung des im April verstorbenen Lutz H. in Hamburg-Hohenfelde inspizierte. Die hinzugerufene Polizei konfiszierte zwar die Waffen, interessierte sich aber nicht für den weiteren Nachlass des verblichenen Neonazis.

Stattdessen forderte sie die Nachlassverwalterin auf, das gesamte Material inklusive aller persönlichen Akten, Adressbücher und Computerdateien des wegen illegalen Waffenbesitzes vorbestraften Rechtsextremen unbesehen vernichten zu lassen. „Der leitende Beamte konnte keine Straftatbestände feststellen“, erklärte Polizeisprecher Holger Vehren.

Erst nachdem die taz am Mittwoch über den Fall berichtet hatte, folgte die Kehrtwende. Die Drähte zwischen Staatsschutz und Verfassungsschutz glühten heiß, die polizeilich angeordnete Entrümplung der Wohnung wurde von der Polizei in letzter Minute wieder gestoppt.

Am Freitagmorgen inspizierten Beamte des Landeskriminalamtes unter Hinzuziehung des Verfassungsschutzes erneut die Wohnung des Verstorbenen und sicherten kartonweise Akten und Datenträger. Deren Auswertung wird nun einige Wochen in Anspruch nehmen. „Wenn wir die Möglichkeit haben, solches Material zu sichten, schauen wir da natürlich drauf“, sagt Verfassungsschutzsprecher Marco Haase. Das aber hätte die Polizei mit ihrer Vernichtungsverfügung um ein Haar verhindert.

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Christiane Schneider, kritisierte das anfängliche Verhalten der polizeilichen Ermittler: „Im allerbesten Fall liegt hier ein Fall von totalem Desinteresse vor, das nach den Vorgängen um den NSU völlig unglaublich ist.“ Die Abgeordnete kündigte an, in der kommenden Woche eine umfangreiche parlamentarische Anfrage zu den Vorgängen zu stellen. KSch/MaC

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen