Politologin über „Care Revolution“: „Sorgearbeit geht alle an“
Das Netzwerk Care Revolution fordert ein neues Bild von Hausarbeit und Pflege. Charlotte Hitzfelder hat in Leipzig die erste sächsische Regionalgruppe mitgegründet.
taz: Frau Hitzfelder, Sie fordern eine Care Revolution. Was verbirgt sich hinter dem Begriff Care Arbeit?
Charlotte Hitzfelder: Jeder Mensch ist auf die Fürsorge anderer angewiesen. Ob nun als Kind, Kranke*r oder Pflegebedürftige*r. Selbst als gesunder erwachsener Mensch ist man abhängig von seinen sozialen Beziehungen. Der Begriff Care Arbeit umfasst alles, was mit dem Sorgen für andere und sich selbst zu tun hat. Dazu zählen neben bezahlten Tätigkeiten, wie der Arbeit als Pfleger*in, auch unbezahlte Arbeiten, wie den Haushalt führen oder Kinder erziehen.
Sich um andere kümmern – viele würden das als klassisch weibliche Fähigkeit bezeichnen. Sie auch?
Das ist Quatsch! Wir müssen weg von der Vorstellung, dass Frauen das natürlicherweise besser könnten als Männer. De facto aber wird die Arbeit meistens von Frauen erledigt. Das wollen wir sichtbar machen. Geplant ist etwa eine Aktion zum 1. Mai, den wir zum „Tag der unbezahlten Arbeit“ umwidmen wollen.
Die Politikwissenschaftlerin, 27, hat vor ihrem Studium eine kaufmännische Ausbildung in einem Krankenhaus absolviert. Die Erfahrung motivierte sie zur Mitarbeit beim Netzwerk Care Revolution.
Was wollen Sie noch verändern?
Sorgearbeit wird zunehmend nach Effizienzkriterien ausgerichtet. Krankenhäuser werden wie Unternehmen geführt. Aber Pflege braucht Zeit. Wenn man immer weiter rationalisiert, leidet die Qualität. Unbezahlte Sorgearbeit hingegen wird häufig als privates Problem abgetan. Die steigenden Burn-out-Zahlen zeigen jedoch, dass viele Menschen mit der Doppelbelastung aus Lohn- und Sorgearbeit überfordert sind. Uns geht es darum, sie nicht allein zu lassen.
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Ihre Regionalgruppe will Hausfrauen, Pfleger*innen aus Osteuropa und neue Väter erreichen. Was ist das Verbindende?
Wir alle haben menschliche Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen. Dabei ist uns die Herkunft oder das Geschlecht egal. Bei unserem ersten Treffen im Januar waren wir knapp 30 Leute. Der Großteil waren junge Frauen und Männer. Es waren aber auch einige Ältere dabei. Sie kamen aus dem bezahlten und unbezahlten Sorgebereich. Es ist natürlich herausfordernd, wenn Leute mit solch unterschiedlichen Erfahrungen aufeinandertreffen. Aber wo trifft man sich denn sonst? Wo kann man denn miteinander reden, sich zuhören? Das macht diese Begegnungen umso wichtiger.
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